Rezension von Burga Kalinowski


Wer einmal lügt ...

Gunter Holzweißig: Zensur ohne Zensor
Die SED-Informationsdiktatur.
Bouvier Verlag, Bonn 1997, 239 S.

Wie der Herre, so's Gescherre - volkstümlich ausgedrückt findet sich in diesem Spruch die Quintessenz des Buches wieder. Zensur ohne Zensor ist ein einfaches Buch, dessen Gegenstand im Grunde so was von öffentlich war, daß es für den Autor schlicht nichts zu enthüllen, wohl aber eine Unmenge Papier zu sichten gab. Nach Herzenslust konnte in Archiven gestöbert und aus gut sortierten Beständen das Passende dem Buche zugeführt werden. Ergänzt wird die dokumentare Sichtung durch authentische Mitteilungen damaliger Macher, von denen ein Jugendzeitungschefredakteur in farbig-reuevollen Berichten so schön über sein bis zur letzten SED-Minute angepaßtes und karrieristisches Treiben stöhnt, daß es durchaus zu einem Stehplatz im Sünderhimmel reichen könnte. Der alte Antrieb funktioniert noch: Dabeisein - wie auch immer. Na ja.

Jedenfalls trifft das, was Gunter Holzweißig gesammelt und thematisch strukturiert hat, sowohl im Detail als auch in der Verallgemeinerung zu: Die Informationspolitik war natürlich Teil des politischen Systems, und selbstverständlich sicherte sich die SED „mit ausgeklügelten Leitungsmechanismen das Monopol auf die veröffentlichte Meinung”. Die herrschende Meinung ist immer die Meinung der Herrschenden, so oder so. Keine neuen Erkenntnisse also, nicht für den Zufallsleser und gleich gar nicht für den informierten Leser. Dennoch entsteht durch die weitgehend sachliche Beschreibung gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen Medien Zweigstellen der Parteiideologie waren und Journalisten mehr oder weniger Befehlsempfänger, ein korrektes Bild vom sozialistischen Redaktionsalltag. Den mag der eine oder andere oder viele anders erlebt haben, er hat auch nicht den individuellen Charakter des Schreibens aufgehoben und führte gewiß nicht zur totalen Verödung des Journalismus - wie normal also das Damals auch erinnert wird: Der Herrschaftsanspruch der SED war allgegenwärtig. Seine Folgen verheerend. Gunter Holzweißigs Buch ist ein Katalog dirigistischer, manipulierender, repressiver Eingriffe, die im übrigen dem selbstgesetzten humanistischen Anspruch widersprachen, was auf Dauer auch gutwilligen Bürgern auffiel. Die Summe der vielen kleinen und großen Lächerlichkeiten, Lügen, Dummheiten, Gemeinheiten, Tricks und Halbwahrheiten war Unglaubwürdigkeit einerseits und DDR-Verdrossenheit andererseits - der Anfang vom Ende. Man liest es - und schüttelt sich. Um so bemerkenswerter ist, wie die Medien in der Endphase der DDR ab Spätherbst 89 zum unabhängigen, kritischen Journalismus zurückfanden und für eine kurze Zeit so frei und pluralistisch und konkurrenzfähig waren wie nirgends sonst. Doch genau da wurde dann abgewickelt, und die Quote kam.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
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