Rezension von Waldtraut Lewin


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Time to say good bye

 

Evita Wolf: Lebe ewig
Roman.

Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1999, 464 S.0

 

Der Tenor Matteo ist nicht nur blind (wie Andrea Bocelli), sondern auch der größte Sänger unserer Zeit (was Andrea Bocelli nicht ist). Er ist darüber hinaus groß, schön, seine nichtsehenden Augen versprühen grüngoldene Funken, er ist aufgrund seiner Behinderung besonders einfühlsam und sensibel, überdies psychisch stark, lebensfroh, positiv, zärtlich. Daß er nicht nur ein hervorragender Reiter, sondern auch ein guter Komponist ist, die Natur und die Tiere liebt und edel, hilfreich und gut ist, versteht sich von selbst.

Das erweist sich auch als sehr notwendig, denn die Dame, in die er sich verliebt, ist ein Ausbund an Neurosen und Krankheiten. Die Reporterin Elisabeth, die für eine Zeitung ein Porträt über ihn schreiben soll, ein zerbrechliches und verkrampftes Wesen von (selbstverständlich) ätherischer Schönheit, leidet an einer besonders malignen Form von Krebs und hat außerdem nichts mit Männern am Hut aufgrund einer psychischen Traumatisierung, die diesmal, o Wunder, nicht von Kindesmißbrauch herrührt, wie wir das im allgemeinen gewohnt sind, sondern von einem bösen Ehemann, Ausländer, der sie nur benutzt hat, um in Deutschland Bleiberecht zu erlangen, sich dann von ihr aushalten läßt und sie schließlich vergewaltigt und mißhandelt.

Elisabeth also ziert sich den Werbungen Matteos gegenüber wie die Zicke am Strick, bis dieser von einem mysteriösen Attentäter schwer mit dem Messer verletzt wird. Man verdächtigt einen jungen Kellner, der in Elisabeth verliebt war und der es natürlich nicht war.

Am Krankenbett Matteos, der in Zukunft mit zwei Bodyguards durch die Gegend zieht, lernt Elisabeth den Star-Arzt des Sängers kennen (Geld spielt zum Glück keine Rolle), der sie zu einem asiatischen Heilverfahren namens Rei-Ki überredet, bei dem eine Art Geistheilerin universelle Energie bündelt und ausschickt. Dergleichen und natürlich Matteos Liebe lassen Elisabeth zu neuer Lebensfreude finden, mit deren Hilfe sie den tödlichen Krebs besiegt und endlich in Matteos Armen landet.

Doch mit des Geschickes Mächten ... Schon die ganze Zeit ist uns aufgefallen, daß der eine der Bodyguards sich so merkwürdig aufführt. Er ist denn auch der eigentliche Unhold, der den Mordbefehl hat. Auftraggeber ist Matteos einstiger Lehrer, der es nicht ertragen kann, daß ihn dieser vom Rang des größten Tenors auf der Welt verdrängt hat. Ja, diese Künstler! Die liebende Elisabeth jedoch stürzt sich zwischen den Geliebten und den tödlichen, vom Schnürboden herabgeworfenen Scheinwerfer und haucht wenig später im Krankenhaus ihr Leben aus, nicht ohne dem Sänger das Versprechen abgenommen zu haben, nicht zu verzagen, sondern ihre Liebe mit in seine Kunst einzubringen. Was er denn auch prompt tut. Tja, da bleibt kein Auge trocken.

Die ganze steinerweichend schöne Love-Story gäbe bestimmt ein gutes Exemplar dessen ab, was man in meiner Jugend ein „Jungmädchenbuch” zu nennen pflegte. Jede Leserin von „Trotzköpfchen” (ich hab mir sagen lassen, daß dergleichen immer noch als Lektüre kursiert) oder „Heidi” würde ihre helle Freude an dem Ding haben, wenn es man bloß um 250 Seiten dünner wäre, denn der dürftige Plot ist ja von Anfang an durchschaubar, da gibt es keine Überraschungen. Leider dehnt die unendliche Geschwätzigkeit der Autorin das Rührstück auf mehr als das Doppelte. Gleich einer Hofberichterstatterin erzählt sie uns, was Matteo und Elisabeth gerade speisen, wie sie sich eine Schokolade zubereiten, was sie anziehen (Kleidung von zeitloser Eleganz!) und wie das Wetter ist. Formulierungen von hilfloser Umständlichkeit („Je weiter sie den Weg entlanggingen, desto ferner klang der Großstadtlärm zu ihnen.” - „Der resolute Schlag des Taktstocks unterbrach den Zauber.” - „Deine Lebenskraft hat beinah die Geräte gesprengt.”) wechseln mit wirklich erstaunlichen Beobachtungen: „Er hörte, daß sie die Nase rümpfte.” Donnerwetter, diese Blinden hören wahrscheinlich auch das Gras wachsen.

Dafür wird der Bereich wirklicher körperlicher Intimität völlig ausgespart. Mehr als ein keusches Aneinanderschmiegen und ein Kuß sind da gar nicht drin, und über künftige Kinder redet man nur mit Erröten. Schon merkwürdig, da es ja doch auch um Elisabeths neue Bereitschaft zu Sex und Nähe gehen soll.

So bewegt sich dies Buch mit Konsequenz auf trivialem Niveau, und Trivialität ist unsterblich. Ich prophezeie Evita Wolf einen Platz in den Bestsellerlisten.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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