Rezension von Henry Jonas


Zwischen Ehehölle und politischem Programm

Philip Roth: Mein Mann, der Kommunist
Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz.
Carl Hanser, München 1999, 376 S.

Unter dem Buchtitel fehlt die Bezeichnung „Roman”. Und in der Tat: Was hier vorliegt, erfüllt nicht die Erwartungen, die mit der Gattungsbezeichnung traditionell verbunden sind. Der Verlag propagiert das Buch als Lebensbild von Ira Ringold, der etwa 1914 bis 1964 in Newark, Sussex County, Manhattan und Zinc Town gelebt haben muß. Er war Jude, kam aus untersten Kreisen, schlug sich als Grabenarbeiter, Kellner, Bergmann durch, schuftete in einer Schallplatten-, später in einer Konfektfabrik, ehe er einberufen wurde und in den Krieg mußte. Dort kämpfte er neben Johnny O'Day, einem Stahlarbeiter und idealistischen Kommunisten, der sein Mentor für Gesellschaftswissenschaft und sein Vorbild wurde. Heimgekehrt, wirkte er in der Gewerkschaft und der Kommunistischen Partei gegen Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Krieg, gegen Rassentrennung und Antisemitismus. Dank einer natürlichen Begabung wurde er Rundfunksprecher, Schauspieler und Kommentator und als Iron Rinn überaus populär. Er heiratete die schöne, reiche und gebildete Hollywood-Schauspielerin Eve Frame, die ein paar Jahre älter war. Obwohl kaum unterschiedlichere Menschen denkbar waren, hielt jedermann die beiden für das Traumpaar.

Gegensätze ziehen sich an, können aber auch nach einiger Zeit als Sprengsätze wirken. Aus der Idealehe wurde eine Ehehölle. Nicht nur, daß sich Eves erwachsene Tochter aus einer der drei vorangegangenen Ehen raffiniert zwischen das Ehepaar drängte und ihrem Haß gegen Ira freien Lauf ließ. Iras politische Haltung und Eves Lebensfremdheit und ihr konservativer Bekanntenkreis paßten auf die Dauer einfach nicht zusammen. Es war schließlich die Zeit McCarthys, der Hexenjagd auf Linke aller Coleur, der schwarzen Listen, der Berufsverbote, des Spitzelwesens, eine Zeit der Drohungen, Anschuldigungen und Schikanen, des politischen Pogroms gegen Andersdenkende. Ira floh immer öfter aus dem Prachthaus West Eleventh Street von Manhattan in eine Proletarierhütte, er legte sich eine junge Geliebte zu, machte mit einer alternden Hure rum. Eve indes wurde von einem „Freund”, der ins Repräsentantenhaus gewählt werden wollte, unter Druck gesetzt, sie wurde sein Werkzeug, von ihm geführt wie eine Agentin, zur Denunziation ihres Mannes gezwungen, um die eigene Haut und die Karriere der Tochter zu retten. Unter ihrem Namen gab er einen Enthüllungs-Bestseller Mein Mann, der Kommunist heraus, der Ira gesellschaftlich ächtete und beruflich vernichtete, weil er ihn als Spion der Sowjetunion „entlarvte”, die Heirat sei nur auf Befehl Moskaus zustande gekommen. Ira wurde aus dem Rundfunk verjagt, ein gesundheitlicher Zusammenbruch folgte, am Ende starb Ira als Aufseher einer Abraumhalde abseits der Zivilisation.

Roth ist dabei frei von Einseitigkeit. Er idealisiert Ira nicht, zeichnet ihn als einen Mann, der streitsüchtig ist, trotzig, aufsässig, dominant, der in seiner Jugend sogar einen Mord auf sein Gewissen geladen hat. Die kommunistische Weltanschauung hält Roth für eine utopische Vision, und zur Praxis der kommunistischen Parteien mit ihren verlogenen Dogmen hat er ein distanziertes Verhältnis. Er ist wohl amerikanischer Patriot, hält aber den Krieg in Korea (und später in Vietnam) für ein Verbrechen. Er kann nicht umhin, die durch Profitstreben geprägten unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Bergwerken anzuprangern. Und er hat kein Verständnis dafür, daß unter Truman noch 90 Neger ungesühnt gelyncht werden können, während Kommunisten und liberal denkende Leute vor Gericht gezerrt und zur Unterwerfung gezwungen werden oder ihr Leben zerstört wird, nur weil sie anderes denken oder glauben, als ihnen die Staatsdoktrin nahelegt.

Das Lebensbild Ira Ringolds zeigt, wie ein Mensch zerrieben wird, der einerseits Revolution machen, die Welt verändern, die Lebenszustände für die Massen verbessern will, sich andererseits aber auch nach Frau, Kind und einem schönen Haus voller Bücher, Musik und Kunst sehnt, und es läßt die Jahre zwischen 1946 und 1956, die für die amerikanische Demokratie wenig rühmlich waren, plastisch und lebendig werden. Aber man kann das Buch auch lesen als Schilderung, wie der Autor Philip Roth, Amerikaner und Jude, geboren 1933 in New Jersey, zu seiner Weltsicht kam. Er schafft sich nämlich in der Figur des Nathan Zuckermann ein Alter ego gleichen Alters und gleicher Profession, das als Ich-Figur durch die Handlung führt.

Im Alter von 63 Jahren trifft sich Nathan da (offenbar 1996) in seinem einsamen, abgelegenen Haus mit dem 90jährigen Murray Ringold, seinem ehemaligen Englischlehrer. Es handelt sich um den Bruder Iras, der hier in sechs Nächten das Leben von Ira rekapituliert, wie er es gesehen, erfahren und aufopferungsvoll begleitet und unterstützt hat. Darüber hinaus zeigt sich, daß Nathan selbst vielfältige Beziehungen zu Ira hatte, der in ihm einen jungen Freund und eine Zukunftshoffnung sah, der ihn vielseitigen Anteil an seinem Leben nehmen ließ und in seinen literarischen Plänen bestärkte. Nathan reflektiert aber auch eigene Erfahrungen und Erlebnisse dieser Zeit, die ihn geprägt haben, wie zum Beispiel die Lektüre von Thomas Paine, Howard Fast und Arthur Miller oder wie die Begegnung mit dem Dozenten Leo Glucksman, der ihm die „Kunst ist Waffe”-These zerschlug und das Gefühl für die Autonomie der Literatur, die unabhängig sein muß von der Tagespolitik, vermittelte.

Insofern handelt es sich ganz gewiß auch um ein Schlüsselwerk zum Verständnis des gesamten Schaffens von Philip Roth, dem wir Der Ghostwriter, Zuckermanns Befreiung, Anatomiestunde, Prager Orgie, Tatsachen, Mein Leben als Sohn, Täuschung, Operation Shylock, Sabbaths Theater („Berliner LeseZeichen” 1/1997) und Amerikanisches Idyll verdanken - Romane voller Scharfsicht und Wildheit, Witz und Poesie, die (fast) alle um das Thema der Ent- und Selbsttäuschung in der Liebe, in der Arbeit und angesichts des Todes kreisen, und die wütend und boshaft sind, zart und brutal, moralisch und obszön, komisch und menschlich und die gewiß zum Besten gehören, was die zeitgenössische amerikanische Literatur hervorgebracht hat. Die unverbrauchte, originäre Kraft dieser Werke durchpulst auch Mein Mann, der Kommunist.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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