Rezension von Bernd Heimberger


Geschichten für, von Gideon

Lutz Rathenow: Es war einmal ein Wolf
Geschichten für Kinder jeglichen Alters.
Burgverlag zu Weißensee in Thüringen, Weißensee 2000, 148 S.

Maxim Gorki hat den lieben Kollegen kräftig ins Gewissen geredet. Er verlangte, daß für Kinder geschrieben wird wie für Erwachsene - nur besser! Dem Verlangen hat sich Lutz Rathenow immer verpflichtet gefühlt - ob man's glaubt oder nicht! Viele seiner Texte für Kinder sind literarisch stärker, weil Story und Sprache kein getrenntes Paar sind. Der Schriftsteller ist ein Kumpel der Kinder, dem Kollegialität kein Fremdwort ist. Manchem Berufs-Alters-Genossen hat er geholfen. Wie sich da einem Kinder-Kollegen verweigern? Vor allem dem Knaben, der Gideon heißt. Als literarische Figur hat Gideon seinen Platz bereits in der Literatur des Lutz Rathenow. Nun hat Gideon als Literat einen Platz: Ummäntelt von Texten Rathenows, die unter dem für Rathenow typischen Titel Es war einmal ein Wolf zusammengeheftet wurden. Gideon ist nicht irgendwer. Er ist die zweite Hoffnung von Bettina und Lutz Rathenow. Anders gesagt: Er ist der Zweitgeborene und mittlerweile in dem Jahr, in dem seine Stimme ständig kräftiger und dunkler wird.

Mit vollem väterlichem Stolz, also erwartungsvollem Wohlwollen, beachtet und begleitet Papa die Prosa des hauseigenen Nachwuchses. Grenzenlos in der Verantwortung, riskiert der Stolze eine kooperative Veröffentlichung. Schön, wenn der Vater mit dem Sohne ... nicht nur angeln geht. Was aber kommt dabei heraus, wenn sie sich gemeinsam in die Lettern legen? Ein Wort-Wett-Streit? - Neugierig geworden, wie weit der Apfel vom Stamm der Dichtung fällt? Die „Drei Geschichten von Gideon", die der im Alter von 9 bis 11 Jahren schrieb, haben alles, was Kinderklugheit, Kinderwitz und Kinderphantasie, die nicht mal ausrutscht, wenn sie sich aufs glatte Eis der Fantasy begibt, ausmachen. Pointieren kann der Junge wie der Alte. Ist das abgeguckt? Abgehört müßte es heißen, wenn. Die meisten Texte des Verfassers hören sich an wie Vorlese-Geschichten für den Sohn. Das Pointieren ist die Domäne der Schreibkunst des Lutz Rathenow. Auf die mehr oder weniger überraschende Pointe schreibt er auch seine „Kinder-Geschichten" zu. Egal, ob die Pointe ausreicht für die Geschichte, die Geschichte für die Pointe. Manche Pointen sind nur Polter-Geister. Die Gideon gewiß nicht erschrecken? Nicht mehr!



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
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