Rezension von Hans-Rainer John


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Auf der Suche nach der wahren Liebe

 

Rose Doyle: Alvas Hotel
Roman.

Deutsch von Katarina Ganslandt.
Franz Schneekluth Verlag, München 1999, 416 S.

 

Das Buch gehört zu jenen, die sich leicht, schnell und angenehm lesen, die man aber auch rasch wieder vergißt. Nein, es geht nicht um Boulevard, auch nicht um Trivialliteratur, da ist schon Anspruch und Ehrgeiz, eine sorgfältige Sprache, bilderreich und gewählt im Ausdruck, der Versuch, vielfältige Lebensschicksale mit ihren Biographien einzufangen. Das Buch ist keineswegs uninteressant, es gehört ins gehobene Segment, aber irgendwie vermag es die Autorin nicht, genügend zu differenzieren, genügend tief zu graben, genügend zuzuspitzen, damit der Leser zutiefst bewegt und zum Weiterdenken veranlaßt würde. Am Ende ist alles gesagt, sind alle Probleme gelöst, die Guten im Töpfchen, die Bösen im Kröpfchen, der Leser schließt den Buchdeckel und greift ungerührt zum nächsten Band.

Alva Joyce lebt in Dublin, ist 27 Jahre jung, hübsch und begehrenswert. Eine leidenschaftliche Liebesgeschichte ist eben tief enttäuschend für sie ausgegangen, ihr Journalistenberuf vermag sie nur wenig zu begeistern, die Eltern haben ihr ein kleines Kapital hinterlassen, deshalb wird sie Mitbesitzerin eines kleinen Hotels auf dem Lande und dort zwangsläufig Geschäftsführerin. Aber das Haus steht leer, die Pleite ist nahe. Da naht Rettung in Form einer Filmgesellschaft, die das Hotel für Aufnahmen zu einem Spielfilm mietet. So kommt Geld ins Haus und Renommee für künftige Erfolge. Zunächst aber trifft die Filmcrew ein und krempelt das ruhige Landleben um. Hast, Nervosität, Divengezänk, Finanzprobleme, Intrigen und Beziehungskisten bestimmen die Tage. Hausherrin Alva bewährt sich als Fels in der Brandung. Sie wird geschätzte Beraterin der Filmproduktion, enge Freundin der launischen Clara Butler, umworbene Freundin der beiden einflußreichsten und potentesten Männer der Crew, des Chefproduzenten Jack Kelly und des Regisseurs Luke O'Hanlon (für die Köchin Bernie bleibt immerhin der Bühnenbildner Jaspers). Allein Alva bleibt angesichts ihrer Erfahrungen prüde und kühl, worauf Kelly wütend abspringt und sich kleinlich rächt, während O'Hanlon sich bewährt und Alvas Herz erweicht.

Das allerdings begreift sie selbst erst, nachdem er in Kolumbien verschollen ist, wo er nach einem verschwundenen Bruder sucht. So macht sie sich selbst auf die Socken (auf diesen letzten 34 Seiten erfolgt der Umschlag zur Abenteuerliteratur), spürt ihm nach, wird zur Detektivin, bis sie die Ursache der Mißlichkeiten beider Brüder energisch, listenreich und handgreiflich aufdeckt...

Die begrenzte Wirkung ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß die Autorin fast ausschließlich vom Standpunkt ihrer Hauptheldin aus erzählt, daß sie zwar vorzüglich berichtet, was Alva Joyce beobachtet, empfindet, erlebt, entscheidet und unternimmt, daß sie sich aber einer objektivierenden Position enthält, die sie in die Lage versetzt hätte, allen auftauchenden Figuren in gleichem Maße gerecht zu werden und tiefer in sie einzudringen. Diese Sicht führt zu bedauerlichen Vereinfachungen, zur säuberlichen Trennung von schwarz und weiß, von gut und böse. Da sind auf der Negativseite die hinterhältigen, charakterlosen Journalistinnen Marcia Tulins und Seona Daly und die betrügerischen und berechnenden Filmspezialisten Jack Kelly und Oscar Duggan. Luke O'Hanlon auf der Positivseite dagegen läßt sich durch keine Abweisung aus der Ruhe bringen, die Zurückhaltung Alvas irritiert ihn keine Minute lang, und sein Blick fällt auf keine andere Frau. Er ist besorgt um seinen Film, um seinen Bruder, aber trotzdem rückt er dem Leser kaum näher. Und Alva, auf die er unerschütterlich setzt und wartet? Es wird nicht recht erklärlich, woher sie die Fähigkeiten nimmt, ein Hotel ohne Vorkenntnisse bewunderungswürdig zu führen, den begehrtesten Männern den Kopf zu verdrehen, während sie äußerlich kalt bleibt, die kompliziertesten Darstellerinnen, die sonst alle Puppen tanzen lassen, im Handumdrehen zu besänftigen und zu ihren Freundinnen zu machen und am Ende sogar kriminalistischen Spürsinn und eine Aktivität an den Tag zu legen, die jedem Detektivroman zur Ehre gereichen würde.

Rose Doyle (55) ist in Dublin geboren, wo sie nach längerem Aufenthalt in den USA heute auch als Journalistin und Verfasserin von Kurzgeschichten lebt. Sie hat bereits vier in Irland sehr erfolgreiche Romane veröffentlicht und ist ohne Zweifel ein großes erzählerisches Talent. Sie kann gut und interessant schreiben, das Leben in Alvas Hotel zum Beispiel und wie der Spielfilm entsteht, wird in klug ausgewählten Details lebendig, glaubhaft und plastisch. An Theo Donovan, dem siebzigjährigen Hotelmitbesitzer, wird auch deutlich, wie sie mit wenigen Strichen einen widersprüchlichen Charakter gut zu umreißen vermag (der Selbstmord seiner Schwester Ellen ist dagegen weniger einsichtig gestaltet). Luke O'Hanlons Bruder Eric ist nicht nur ein hochbegabter Drehbuchschreiber, sondern aus Idealismus auch Entwicklungshelfer in Südamerika. Das allerdings wird nur am Rande vermerkt. Damit wurde eine Chance vertan, den Horizont des Romans spürbar zu weiten.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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