Rezension von Waldtraut Lewin


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Ich will doch nur ein Telephon

 

Andrea Camilleri: Der unschickliche Antrag
Roman.

Aus dem Italienischen von Moshe Kahn.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1999, 277 S.

 

Nein, es handelt sich bei diesem Buch nicht um den Verzweiflungsschrei eines Leipzigers, Rostockers oder Potsdamers vor der Wende. Daß damals in Sachen Telephonanschluß beinahe eine ähnliche Lage bestand wie in Sizilien 1891, das wußte Autor Andrea Camilleri, alter sizilianisch-römischer Routinier im Bereich Drehbuch, Theater, Krimi und Historienroman, natürlich nicht. Er hatte auch genug satirisches Futter bei sich zu Haus, brauchte nur ein bißchen in die Vergangenheit zu steigen, nicht in die Ferne zu schweifen.

Der Holzhändler Filippo Genuardi, ein Hansdampf in allen Gassen, Schwerenöter und Geldausgeber par excellence, wohnhaft in der Provinz Montelusa, will nun, nachdem er seine Mitwelt schon mit einem Edison-Phonographen und einem Auto in Erstaunen versetzt hat, auch noch einen Telephonanschluß haben. Der tiefere Grund dieses Ansinnens ist ganz simpel: Genuardi hat ein Verhältnis mit der jungen Frau seines Schwiegervaters und will sich mit ihr immer bequem verabreden können, wenn der Alte außer Haus ist. Er ahnt nicht, was er bei Polizei und Verwaltungsbürokratie damit anrichtet, denn wer so ein Gerät haben will, muß ja zwangsläufig subversive Ziele verfolgen.

Der bockige Amtsschimmel setzt sich zögernd in Trab, als Genuardi mit den notwendigen Heubüscheln für dieses Vieh nachhilft, sprich: Er kennt jemanden, dem er mal einen Gefallen getan hat und der ihm nun einen schuldet, und derjenige hat wieder Freunde, die Freunde haben ...

Aber die Mikrobe der Dummheit und Bosheit (um hier einmal Götz zu zitieren) greift epidemisch um sich im italienischen Beamtenstaat, und Genuardis an sich harmloser Antrag tritt eine Lawine los an Anschuldigungen, Erpressungen, Verhaftungen, die gegen Entgelt rückgängig gemacht werden, Entlassungen, Versetzungen, Beförderungen - bis es schließlich gar zum Mord kommt.

Das ist zwar amüsant, aber so ungeheuer kunstvoll von Camilleri gestrickt, daß einem manchmal die Puste wegbleibt. Im Buch wechseln sich nämlich immer „Geschriebenes” und „Gesagtes” ab, ersteres Briefwechsel und Aktennotizen, zweites Dialoge. Hier nun beginnt das Dilemma, in dem sich der Übersetzer befindet, und damit auch wir. Moshe Kahn berichtet in einem Nachwort über seine Nöte. Das Original ist eine Mischung zwischen Italienisch, Italienisch-Sizilianisch und reinem Sizilianisch - wobei man wissen muß, daß Dialektunterschiede in Italien eine ganz andere Bandbreite haben als in Deutschland und ein „hochitalienisch” Redender in Dialektregionen so wenig verstanden wird wie ein plattdütsch snackender Ostfriese in einem bayerischen Bergdorf. Kahn versucht, der Falle zu entkommen, indem er das „Geschriebene” in ein altmodisches Beamtendeutsch vor der Jahrhundertwende übersetzt und das „Gesagte” mehr lässig daherkommen läßt. Das mag zum Teil amüsant sein, aber ich glaube, es ist trotzdem nur ein Surrogat; der eigentliche Witz des Originals besteht eben in der Sprache.

Dazu kommt das Verwirrspiel der Namen. Nicht nur, daß die italienisch-sizilianischen Namen sich ohnehin schwer einprägen und man immer wieder im Personenregister nachgucken muß, wer nun eigentlich wer ist - nach sizilianischer Sitte hat jeder noch einen Spitz- oder Übernamen, der zum Teil der Irreführung der Behörden gilt, in diesem Fall aber eher den armen Leser irreführt.

Dies ist ein sehr italienisches Buch - sein Vorteil und sein Nachteil, denn ich glaube, bei allen Verdiensten der Übersetzung, daß vieles einfach nicht nachvollziehbar ist. Eine böse Satire auf Zustände, die auch im neuen Jahrtausend, wie wir inzwischen sehen, nicht nur in Italien durchaus präsent sind: Korruption und Wahlbetrug, Speichelleckerei und Verschwendung, und das alles unterm Deckmantel der Demokratie. Vielleicht sollte ein deutscher Camilleri eine ähnliche Geschichte schreiben. Allerdings brauchte er nicht bis auf das Jahr 1891 zurückzugreifen. 1991 täte es auch. Und alle folgenden dazu.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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