Literaturstätten



 
Bücher aus Lust und Leidenschaft
Messe Berliner Kleinstverlage im Kulturkaufhaus Dussmann

 

„Seltene und ungewöhnliche Werke zwischen Liebhaberei und exakt kalkuliertem Nischenangebot” - so die Ankündigung zu einer Buchmesse der Berliner Kleinstverlage. Im Kulturkaufhaus Dussmann in der Friedrichstraße, einem Großen der Branche, hatten kürzlich an drei Tagen rund 30 „Kleine” Gelegenheit, ihre Editionen vorzustellen. Etwas abseits vom Verkaufsgeschehen waren Tische aufgebaut, die Verleger aufgeschlossen für Gespräche und natürlich interessiert an Kunden. Prospekte gingen schnell weg. Wer sich etwas Zeit nahm, konnte manche bibliophile Kostbarkeit entdecken. So bei der Katzengraben-Presse aus Köpenick, erkennbar am eingenähten Faden, Markenzeichen für handgemachte Qualität, oder bei der Dahlemer Verlagsanstalt, die mit Lyrik von Arno Reinfrank und Romanen von Hans Zengeler vertreten war.

Oft sind diese Verlage ein Ein-Mann- oder Ein-Frau-Unternehmen, die Wohnung, ein kleiner Laden oder eine stillgelegte Fabriketage die Produktionsstätten. Vom Büchermachen können die meisten nicht leben. Manchmal kaufe er mehr Bücher, als er verkauft, sagt Frank Feller vom Potsdamer vacat verlag. 1994 hat der Angestellte beim Berliner Senat mit seiner Frau, Professorin für Design in Potsdam, den Verlag gegründet. Kurzprosa, Essays, Novellen und Lyrik bestimmen das Programm. Zwei Titel kommen pro Jahr heraus. Gerade erschienen ist in gediegener Aufmachung ein Gedichtband Diktate von Ines Geipel. Er wolle „einfach schöne Bücher machen”, nennt er als Motiv, mit Liebe zum Detail und erschwinglichen Preisen. Die Mühen lohnen sich. Bastionen des Lichts, ein Text-Bild-Band über die schottische Atlantikküste, kürte die Stiftung Buchkunst als „eines der schönsten Bücher”, Imre Kertész' Eine Zurückweisung erhielt den Design-Preis des Landes Brandenburg.

Der vacat verlag gehört zur Arbeitsgemeinschaft Brandenburgischer Buchverlage. 15 kleine Verlage haben Ende 1998 diesen Bund geschlossen, um sich gegenseitig beim Vertrieb, bei Lesungen, Messepräsentationen und bei der Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen. Die Szene der Kleinverlage ist in ständiger Bewegung. Kontinuität zu erreichen, schafft nicht jeder Newcomer. Behauptet hat sich seit 25 Jahren der Orlanda Frauenverlag mit Ratgeberliteratur, Lesbenbüchern, Publikationen zur Zeitgeschichte, Krimis. Zu den gefragten Neuerscheinungen in diesem Jahr gehören Ein gieriger Ort von Susanne Billig, ein Roman über das Leben und Lieben lesbischer Frauen in einer Großstadt zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Mit Mobbing und wie Frauen solche Krisensituationen bewältigen können, beschäftigt sich Das Hamsterrad. Mit Wir lieben, wen wir wollen liegt ein Ratgeber für lesbische, schwule und bisexuelle Jugendliche vor.

Im Wendejahr 1989 entstand der BasisDruck Verlag als erster unabhängiger Verlag in der DDR. Ursprünglich als Produktionsstätte für Zeitungen und Zeitschriften der Bürgerbewegung konzipiert, stehen heute Sachbücher zu politischen, kulturellen, ökologischen Themen im Vordergrund. Über 70 Titel sind bisher erschienen. Besondere Aufmerksamkeit finden seit Anbeginn die Probleme Osteuropas.

Mit Texten zum Theater hat sich der Alexander Verlag einen guten Namen gemacht. Rund 100 Bücher, darunter von Peter Brook Der leere Raum und von Benno Besson Theater spielen in acht Ländern, sind in den vergangenen 17 Jahren erschienen. Standnachbar auf der Messe ist der Verlag Vorwerk 8, der seit fünf Jahren besteht und sich ebenfalls auf Theater- und Filmliteratur spezialisiert hat. Neu in diesem Jahr sind unter dem Titel In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod Texte und Essays von Alexander Kluge zur Film- und (Medien-)Politik seit Mitte der sechziger Jahre, die hier in chronologischer Folge erstmals in einem Sammelband vorliegen. Von Günther Heeg gibt es als Brecht-Monographie Klopfzeichen aus dem Mausoleum, eine Brechtschulung am Berliner Ensemble.

Gerade ein halbes Jahr alt ist der Morpheo Verlag von Nadja Bentz, der sein Domizil im Prenzlauer Berg hat. Vor ihr am Stand liegt Claudius Hagemeisters Debüt-Band Tanne & Quadrat, mit dem der Verlag die literarische Bühne betrat. Unter der Hand, so war im Dussmann-Kulturkaufhaus zu hören, gilt die gediegene Ausgabe als kleiner Bestseller. Im Sommer dieses Jahres soll diese zeitnahe Kurzprosa von hintergründigem, intelligentem Humor auch als Hörbuch erscheinen. Es sei kein Verlag im herkömmlichen, klassischen Sinn, sagt Nadja Bentz. Sie strebt Verbindung zu anderen Genres an, zu Design, Musik und Theater, versteht sich auch als Organisator von Veranstaltungen und will mit Inszenierungen von Lesungen den Büchern und ihren Autoren Öffentlichkeit schaffen. Schwerpunkt der verlegerischen Tätigkeit bildet die Reihe „Neue Literatur Berlin”. Sie stellt Debütanten vor, die ihren Lebens- und Arbeitsschwerpunkt in Berlin haben, aber die Stadt muß nicht unbedingt Zentrum ihrer Texte sein. Angekündigt für dieses Jahr ist ein Bericht junger Heranwachsender, Suche Nada, der jungen Autorin Uta Schürmann sowie ein Roman von Sönke Lars Neuwöhner, Sand liebt, eine Liebesgeschichte aus der Zeit des Aufbruchs nach der Maueröffnung. Nadja Bentz, 32 Jahre, Literaturwissenschaftlerin, weiß um die Risiken einer Verlagsgründung. Aber was ist heute schon ohne Risiko? fragt sie zurück. Im „Hauptberuf” arbeitet die junge Frau als Online-Redakteurin und Rezensentin für verschiedene Journale. Wie viele Kleinstverlage setzt sie verstärkt aufs Internet, um die Leser direkt zu erreichen.

Für E. T. A.-Hoffmann-Fans hat der Verlag Serapion vom See Besonderes zu bieten. Michael Duske, Psychologe, nennt als wichtigstes Anliegen die Interpretation der Texte dieses Dichters der Romantik durch zeitgenössische bildende Künstler. Den Werken beigefügt sind originale Grafiken, Radierungen oder Linolschnitte, vom Künstler signiert. Die Auflage ist limitiert, meist sind es 100 Stück. Mittlerweile gibt es bundesweit einen Stamm von 30 Kunden. Eine Kostbarkeit: E. T. A. Hoffmanns Berlinische Geschichten Aus dem Leben eines bekannten Mannes mit Originalradierungen und einem Aquarell von XAGO. Dazu gibt es eine Schmuckkassette mit der Silhouette des Gendarmenmarktes.

Offenbar eine Bedarfslücke, wie die rege Nachfrage zeigt, hat der Autorenhaus-Verlag Plinke entdeckt. Seine Publikationen bieten eine Fülle von Informationen für all jene, die es zum Schreiben drängt. Ob aktuelle Verlagsadressen, Literaturagenturen, Vergabe von Stipendien oder Förderpreise, Tips für kreatives Schreiben oder zum Vertragsrecht - hier finden künftige Autoren Rat aus erster Hand. Auffallend am Messestand sind farbenfrohe Struwwelpeter-Bücher, die man hier wohl nicht erwartet hätte. „Kein anderes Kinderbuch hat so viele Adaptionen wie der Struwwelpeter”, erzählt Manfred Plinke. So entstand Der Jahrhundert-Struwwelpeter, eine satirische Version mit Personen der Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts, vom Kaiser Wilhelm bis zum Kanzler Schröder. Dazu gibt es die englische Variante vom „ultimativen Struwwelpeter”. „Ein Spaß, den wir uns einfach leisten wollten”.

Entstanden ist die Idee zu der Messe vor zwei Jahren, als sich Berliner Verlage bei Dussmann vorstellten. Nun haben die Kleinstverlage nachgezogen. Mit ihren Büchern, entstanden aus Lust und Leidenschaft, setzen sie schöne Akzente.  

Gudrun Schmidt



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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