Annotation von Wolfgang Buth


 

Deutschkron, Inge:
Papa Weidt
Er bot den Nazis die Stirn.
Illustrationen von Lukas Ruegenberg.
Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer 1999, unpag.

 

Inge Deutschkron ist als Jüdin verfolgt worden, genauso wie ihre Mutter und ihr Vater. 1922 in Finsterwalde geboren, ist sie aber in Berlin aufgewachsen. Bis zu ihrem 17. Lebensjahr ging sie in die Schule, zuletzt in eine jüdische Schule. Ihren Berufswunsch - Kindergärtnerin - konnte sie sich nicht erfüllen, denn das Geld der Eltern reichte nicht für ihre Ausbildung. Sie mußte arbeiten gehen - erst in einem Haushalt, dann in eine Fabrik. „Schließlich hatte ich großes Glück: Ich durfte in der Blindenwerkstatt von Otto Weidt arbeiten. Unter Juden war bekannt, daß er die Nazis haßte und daß er half, wenn sie mit ihren vielen Verordnungen den Juden das Leben zur Hölle machten.” Da ihr Vater kurz vor dem Zweiten Weltkrieg nach England geflohen war, um den Verfolgungen durch die Nazis zu entgehen, war es kein Zufall, daß sie Otto Weidt „Papa” nannte. Er wurde für sie so etwas wie ein Ersatz-Vater oder Vater-Ersatz; er gab ihr Schutz, und zu ihm hatte sie Vertrauen.

Behutsam führt Inge Deutschkron die Kinder und Jugendlichen in die Begebenheiten dieser schwärzesten Zeit der deutschen Geschichte ein. Auf dem vorderen und hinteren Vorsatzpapier, auf dem in Kinderbüchern in der Regel lustige und farbenfrohe Zeichnungen prangen, hat der jugendliche Leser beim Aufschlagen des Buches bereits ein Dutzend Zettel, Bekanntmachungen gleich, entdeckt, wie z. B. „Jüdische Kinder dürfen keine öffentlichen Schulen mehr besuchen” (15. 11. 1938) oder „Alle Juden, die älter als sechs Jahre sind, müssen den gelben Stern mit der Aufschrift ,Jude` tragen” (1. 9. 1941) oder „Juden erhalten keine Eier mehr” (22. 6. 1942). Inge Deutschkron erzählt anschaulich, wie sie und die anderen Juden in der Besenbinderwerkstatt von Otto Weidt in der Rosenthaler Straße im Berliner Stadtbezirk Mitte arbeiteten und lebten und in dieser schweren Zeit sogar manchmal ein kleines Fest feierten. Papa Weidt, der selbst kein Jude war, setzte sich für „seine” Juden ein, rannte zu Behörden, selbst zur gefürchteten Gestapo, bestach Beamte, um seine blinden Arbeiter vor dem Abtransport zu bewahren. Nach der Aktion vom 28. Februar 1943 - die Nazis wollten die Stadt Berlin „judenrein” machen- versteckte er einige Juden in abgelegenen Räumen seines Besen- und Bürstenlagers. Doch dieses Versteck wurde der Gestapo verraten, die Juden wurden deportiert. Otto Weidt fuhr sogar selbst nach Auschwitz, um zu helfen ...

Der Künstler Lukas Ruegenberg, ein Schüler von Karl Schmidt-Rottluff, hat den Text der Erzählerin Inge Deutschkron wirkungsvoll illustriert. Hanna-Renate Laurien fordert in ihrem Vorwort die Kinder und Jugendlichen auf: „Wenn ihr nach Berlin kommt, dann seht euch in der Rosenthaler Straße die Gedenktafel an.”

Es ist der Schriftstellerin und dem Buchillustrator gelungen, mit dem Kinder- und Jugendbuch Papa Weidt ihr persönliches Erleben im Dritten Reich wirklichkeitsgetreu und dabei kindgemäß und emotional darzustellen. Die fast 80jährige Zeitzeugin übermittelt den jungen und alten Lesern eine wichtige Botschaft: Habt den Mut, Schwachen, Fremden und Ausgegrenzten zu helfen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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