Annotation von Alfred Büngen


 

Hoffmann, Christian/Haas, Christian:
Fallstricke
Zwölf boshafte Geschichten.
Geest-Verlag, Sage Hast 2000, 144 S.

Viel wird über den deutschen Autorennachwuchs geklagt. Er sei unpolitisch, wisse die Zukunft nur in düsteren Farben zu malen, sei in wesentlichen Teilen für den Nichtgermanisten unlesbar.

Mit einer Erstveröffentlichung im Geest-Verlag machen die jungen Münchener Autoren Christian Hoffmann und Christian Haas auf sich aufmerksam. Ihre fürwahr boshaften Geschichten, eindrucksvoll von Uschi Rottenbacher illustriert, zeigen, daß es auch noch eine ganz andere Gruppe von Autoren gibt, die mit viel Ironie und Satire Gegenwart und Zukunft beleuchten. In der bemerkenswertesten Erzählung, nicht zufällig auch in der Auswahlliste zum SF-Preis Deutschland 1999, entlarvt ein aufgetauter Neandertaler Sensationshascherei und vorgebliche Wissenschaftlichkeit. Gnadenlos rechnen die Autoren mit esoterischem Guruwesen ab, wobei die Satire ihnen den Stift so führt, daß der Leser in jeder Geschichte noch die Wahrscheinlichkeit ihrer Fiktionen zu spüren glaubt, nie denkt, die Realität zu verlassen. Die verzweifelte Suche des Diskjockeys nach dem musikalisch einmaligen Titel, der noch niemals gecovert wurde, Erlebnisse um einen sehr eigenartigen Hausmeister und vieles mehr, zeigen dem Leser immer wieder Dimensionen der menschlichen Fallstricke, Sinngrenzen alltäglicher Wirklichkeit, die ja vielleicht wirklich nur noch mit Ironie oder Satire zu fassen sind. Die Autoren scheuen sich auch nicht, mit ihrer eigenen Zunft abzurechnen. Bei ihnen gibt es noch die „Paradoxe Poesie”, daß der erfolgreiche Autor mittels gegrillter Tomaten als Wurfgeschoß bei einer eigenen Lesung seine literarischen Banalitäten abrechnet und dabei „einen wesentlich größeren Stolz auf seine Leistung” empfindet „als bei seinem ersten Autorensieg in der Vergangenheit”.

In jeder der zwölf Geschichten geht es um Individualität, die sich gegen die Masse entwickelt. Selbst dann, wenn sie scheitert oder ekelhaft erscheint (wer findet es schon „kultiviert”, seine Individualität durch das Hineintauchen in die Toilette auszudrücken - was aber vielleicht doch geschmack voller als die gleichformende Musik einer Kulturindustrie erscheint), bleibt sie als grundlegender gesellschaftlicher Wert, als Notwendigkeit erhalten, unterliegt zugleich aber stets - in dieser Verdeutlichung liegt das besondere Verdienst der Erzählung - der Gefahr, bereits wieder vermarktet zu werden. Möglichkeiten der Individualität im Zeitalter der Massengesellschaft - gibt es überhaupt eine Lösungsmöglichkeit oder bleibt letztlich nur der individuelle Absturz in den Wahnsinn. So nimmt dann der Leser manch ironische Wendung, manche zu Lachen anreizende Satire doch so wahr wie eine der fiktionalen Gestalten des Buches: „Und noch während er lachte, überkam ihn ein Gefühl der Verlorenheit, und schließlich verstummte er und starrte den restlichen Abend in sein Weinglas, das von nun an sein ständiger Begleiter sein sollte.” Nein, die Autoren wissen auch keine gesellschaftlichen oder individuellen Antworten, plädieren nur für die gesellschaftliche Notwendigkeit des Erhalts der Individualität. Allein schon dadurch ist dieses Buch zum Wechsel in das Jahr 2000 lesenswert. Ein flüssiger Schreibstil, unkomplizierte Wortwahl und der gefällige Aufbau der Geschichte machen das Buch zu einem echten Lesevergnügen. Bemerkenswert dabei im übrigen auch, daß ein Teil der Geschichte in gemeinsamer Produktion der Autoren entstanden ist. Es gibt ihn also, den Weg, Individualität in einen kollektiven Gestaltungsprozeß ohne Unterwerfung einzubringen.

„Lesen macht Spaß”, dieses Motto des Geest-Verlages paßt vortrefflich auf diese Zwölf boshaften Geschichten.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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