Rezension von Volker Strebel



Ästhetik und Pulsation

Peter Zajac: Auf den Taubenfüßchen der Literatur
Herausgegeben und mit einer Einleitung von Ute Raßloff.
Mit Grafiken von Miroslav Cipár und einem Nachwort von
Fedor Matejov.
Gollenstein Verlag, Blieskastel 1996, 435 S.
 

Von den mitteleuropäischen Literaturen hat es die slowakische mit am schwersten, von einem breiteren Leserkreis zur Kenntnis genommen zu werden. Im Unterschied zu der ihrer Nachbarn unterlag die slowakische Kultur auch noch nach den Wendejahren 1989/90 einer rigide ausgerichteten Innenpolitik, die direkte Unfreiheit war einer indirekten Unfreiheit gewichen.

Der vorliegende Band, von der kundigen Ute Raßloff zu einem lesenswerten Geschenk zum fünfzigsten Geburtstag von Peter Zajac zusammengestellt, bietet eine ebenso kompetente wie in die Tiefe gehende Übersicht über slowakische Literatur und Kultur.

Peter Zajac trat in seinem Land als Literaturkritiker in Erscheinung, übersetzte deutsche Literatur ins Slowakische und förderte wiederum slowakische Anthologien in deutschen Ausgaben. Von Versen des deutschen Dichters Günter Eich ließ er sich inspirieren, als er in seinem Beitrag „Wo fängt Europa an?” eine Beschreibung von Europa versucht: „In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim. / Das sind schon zwei.” Dieses Gedicht trägt den Titel „Zuversicht”, und auf ebendiese Weise ist Peter Zajac, der in Bratislava wie auch in Berlin als Hochschullehrer unterrichtet hat, in Europa zu Hause. Das Pendeln zwischen Sprachen und Kulturen entspricht in gewisser Weise auch dem von Zajac entwickelten Modell der „pulsierenden Systeme”, die er freilich bereits innerhalb der „Kreativität der Region” auszumachen vermag. In diesem Zusammenhang muß der Name des Dichters und Visionärs Dominik Tatarka genannt werden, dem Peter Zajac in dem beeindruckenden Essay „Dominik Tatarkas Weg” ein Denkmal setzt. Tatarka, der den Umbruch der „samtenen Revolution” im Herbst 1989 leider nicht mehr erleben durfte, hatte in einem unbeirrt vorangetriebenen Lebenswerk die Vorstellung eines Gottesvolks entwickelt, das die Entfaltung des einzelnen als Bedingung voraussetzte. Tatarka, der in den dreißiger Jahren in Paris studiert hatte und seither in seiner slowakischen Heimat lebte, hatte sich in den Jahrzehnten der totalitären Herrschaft „nach einem kurzen Flirt Anfang der 50er Jahre” Schritt für Schritt von den Vorgaben der Partei entfernt. Ein freies Reflektieren bis hin zum umfassenden „Gekritzel” synthetisierte Tatarkas Lebenserfahrung, mischte Lebensfreude mit einer vitalen Lust an der Verweigerung der Lüge. Das Modell Dominik Tatarka, eines freien Menschen, ausgerichtet an kreativer Phantasie und ungebrochener Lebensfreude, hat Peter Zajac offensichtlich zu weiterer literaturwissenschaftlicher Tätigkeit inspiriert. Bemerkenswert ist Zajacs Stil, der wissenschaftlich-sachlich und lebendig-erzählend zugleich sein kann. Literaturtheorie und Lebenswelt liegen in diesen Texten, Essays, Aufzeichnungen, Berichte und Glossen, immer nahe beieinander. Als wacher Beobachter unserer Zeit konstatierte Peter Zajac nicht nur die Repression der Systeme des „realen Sozialismus”, sondern registriert auch die Lebenswelt von auf Konsum ausgerichteten Gesellschaften, in denen Kultur nach dem Aspekt der Nützlichkeit vertreten ist. Für Peter Zajac haben Kunst und Literatur „die Chance, gerade jene Atempause zu werden, die es ermöglicht, den Dialog mit dem eigenen Leben zu führen”. Nicht als einseitige Belehrung oder ideologische Handreichung bietet sich uns das Faszinosum der Kultur an, sondern „es kommt lautlos daher, auf den nietzscheanischen ,Taubenfüßchen`”.

Auf den Taubenfüßchen der Literatur stellt eine gelungene Synthese dar von wissenschaftlich ausgerichteter Textinterpretation, feuilletonistischen Betrachtungen über Problemzonen slowakischer Kultur und Literatur sowie der Reflexion über die Eingebundenheit von Sprache und Literatur in kulturelle Raster und Regionen.

Was man vermißt, ist die Aufnahme eines Porträts über den slowakischen Dichter Ivan Kadlecík, der in seiner Art des Wahrnehmens dem Beobachten eines Peter Zajac sehr nahekommt. Aber vielleicht ist darüber bereits ein neuer Essay in Vorbereitung, auf den sich die Leser freuen dürfen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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