Rezension von Rudolf Kirchner



Von jedem etwas

Werner Süß/Ralf Rytlewski (Hrsg.): Berlin. Die Hauptstadt
Vergangenheit und Zukunft einer europäischen Metropole.
Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1999, 912 S.
 

Noch ein dickes Buch über Berlin! Stellt man die dickleibigen Bände nebeneinander, die es als Nachschlagewerke, als Handbücher, als Stadtbeschreibungen usw. über Berlin gibt, füllen sie schon einige Regale. Und da sich die Titel - und oft auch die Untertitel - meist ähneln, wird es für den kauffreudigen Berlininteressierten immer schwieriger, das für ihn zutreffende Buch zu finden. Denn bei allen Wiederholungen, die es natürlich gibt, haben viele dieser Berlin-Bücher doch auch ihre ganz persönliche Note, ihren eigenen Stil oder einen spezifischen Zuschnitt.

Die beiden Herausgeber Süß und Rytlewski sind Berlinexperten, vertreten sie an der Freien Universität doch den Arbeitsschwerpunkt Hauptstadt Berlin. Es ist ihnen gelungen, eine große Schar prominenter Autoren wie Laurenz Demps und Alfred Grosser, György Konrád und Barbara John sowie ausgewiesene Fachleute zu gewinnen, die sich der Aufgabe unterziehen, Berlin von den Anfängen über die Gegenwart bis in die nähere Zukunft hinein darzustellen. Die Verschiedenartigkeit der Autoren bedingt allerdings auch recht unterschiedliche Darstellungsweisen; das reicht vom klassischen lexikalischen Aufsatz bis zum recht subjektiv gestalteten Essay. Aber das ist kaum ein Nachteil, macht das Buch in seiner Gesamtheit lesbarer, obwohl sicher kein Leser - außer der Rezensent - ein solches Werk von der ersten bis zur letzten Seite durchliest.

Eine entscheidende Problematik solcher Arbeiten ist die Übersichtlichkeit. Daher orientiert man sich eingangs an der Struktur des Inhaltsverzeichnisses und am Register. Ersteres ist eindeutig und nachvollziehbar. Die fünf Hauptteile behandeln die Geschichte der Stadt, ihre gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialentwicklung, den Städtebau sowie die Frage nach dem politischen und geistigen Zentrum Berlin. Im Registerteil wurde leider auf ein Sachregister verzichtet. Das ist für ein solches Buch beinahe unverzeihlich, werden damit doch viele Nachschlagemöglichkeiten von vornherein ausgeschlossen.

Die Geschichtsdarstellung bewegt sich in schnellen Schritten von den Anfängen bis zur Gegenwart. Jede der herausragenden Etappen der Stadtentwicklung umfaßt maximal dreißig Seiten; da bleiben natürlich viele wichtige Sachfragen und noch mehr Details ungenannt. Es ist ein Überblick mit all seinen Problemen - mehr nicht. Hervorzuheben ist allerdings der für solche Bücher erstaunlich breite Raum, der dem Thema Ost-Berlin als Hauptstadt der DDR eingeräumt wurde. Dabei geht es nicht allein um eine kritische Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte, sondern es werden auch sachlich jene Fakten dargestellt, die es im Aufbau und der inneren Gestaltung Ost-Berlins zwischen 1945 und 1990 gegeben hat.

Am umfassendsten ist im Teil V der Weg zur Hauptstadt dargestellt, wobei es hier in den einzelnen Beiträgen zur Politik, zur Wissenschaft und zur Kunst und Kultur eine Verknüpfung von Historischem und Aktuellem gibt, wodurch Wiederholungen zur Geschichts-darstellung in den ersten Teilen nicht ausgeschlossen sind. So erscheint z. B. Berlin als Medienstadt sowohl im Teil I als auch im Teil III und V als jeweils eigenständiger Abschnitt.

Bücher dieser Art werden mehr als Nachschlagewerke gelesen denn als eine einheitliche Darstellung. Insofern schaden solche Wiederholungen nicht, der Leser nimmt sie meist gar nicht wahr. Was aber jeder unbedingt lesen sollte, sind jene Beiträge, die als nachdenkliche Essays über Berlin geschrieben worden sind, so „Hauptstadt Berlin: Die Symbolik, die Realität und das Europa der Werte” von Alfred Grosser oder „Mythos Berlin” von Dorota Paciarelli.

Reichhaltiges Bildmaterial zu den verschiedenen Themen, eine kleine Berlin-Chronik und eine Auswahlbibliographie sowie die Auflistung der in Berlin herrschenden Hohenzollern und aller Oberbürgermeister bzw. Regierenden Bürgermeister vervollständigen den Band.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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