Rezension von Christel Berger



„Lieber bidi, ... lieber doktor benjamin, lieber herr zweig”

Margarete Steffin: Briefe an berühmte Männer
Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Arnold Zweig.
Herausgegeben von Stefan Hauck.
Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1999, 358 S.
 

Lange Zeit wußte man von ihr nur als einer der vielen Mitarbeiterinnen Bertolt Brechts, die er auf dem Wege nach Amerika im nicht ungefährlichen Moskau zurückgelassen hat, wo sie kurz darauf, im Juni 1941, an Tuberkulose starb. Natürlich: Mitarbeiterin und Geliebte. Dann werden eigene Texte der Steffin entdeckt, 1991 von Inge Gellert (Margarete Steffin: Konfutse versteht nichts von Frauen) herausgegeben. Brechts tiefe Verbundenheit zur Toten - eines der wenigen emotionalen Bekenntnisse des sich meist „cool” Gebenden - offenbart das Tagebuch, und nun interessieren sich schon mehr für das „kurze Leben der Margarete Steffin” - Hörspiele, Artikel und eigenständige Veröffentlichungen beweisen es. Sie ist in mehrfacher Hinsicht interessant: Ihr eigenes Œuvre umfaßt Stücke für Kinder, Prosa-Texte, Gedichte und Übersetzungen. Ihre Mitarbeit an Brechts Dramen kann aufgrund der aufgefundenen Manuskripte als substantiell aufgefaßt werden. Natürlich ist ihre Rolle „neben” der Weigel und den anderen Frauen für viele Spekulationen und Auseinandersetzungen gut. Auch ihr Leben wird „entdeckt” - kommt sie doch direkt von „unten”, aus dem Proletariat, wächst in der Arbeiterbewegung auf, die für den Bürgersohn Brecht immer etwas Exotisches behält. Nun lernen wir sie also als Briefpartnerin berühmter Männer kennen.

Stefan Haucks Sammlung (mit einem kenntnisreichen umfänglichen Vorwort des Herausgebers) umfaßt Briefe seit 1932. Da ist die Steffin wegen ihrer Lungentuberkulose in einem Sanatorium auf der Krim und berichtet Brecht auf dessen Wunsch hin über ihre Begegnungen und Eindrücke „vor Ort”. Wie die Leute in der Sowjetunion denken, was in der Komsomolzengruppe gemacht wird, was sie über die Lebenswege der einzelnen erfahren konnte. Daneben Nachrichten über ihre Gesundheit. Sie ist mit Brecht per Sie. Die Ehrfurcht vor dem Prominenten, Gebildeten und Älteren bestimmt den Duktus des Briefes. Ein halbes Jahr später sind es schon Liebesgedichte (aus der Charité) - sehnsüchtige, unverblümte. Alle weiteren Briefe werden die enge Verbundenheit zu Brecht dokumentieren. Für sie steht fest, daß sie zu ihm gehört, für ihn da ist, für ihn arbeitet, Verlagen und Zeitungen seine Texte anbietet, den Freunden und Kollegen vor allem deshalb und darüber schreibt. Natürlich schwankt dabei die Stimmung immens. Als sie in Paris eine eigene Agentur aufbauen will, nach einer Wohnung für Brecht sucht und das zukünftige Zusammensein bevorzustehen scheint, klingen die Briefe natürlich anders als dann, da Brecht länger als vereinbart in Amerika ist und sie Gerüchte erreichen, er sei dort mit der Hauptmann zusammen. Die wechselnde Gesundheit, Geldsorgen und die immer dringender werdende Suche nach einem „sicheren” Exilland tun ein übriges. Die Briefe an Benjamin erhellen nicht nur die Arbeits- und Freundschaftsbeziehung zu diesem Partner (Tabak und Schach sind wichtig!), sie illustrieren auch die Zeit, da sie in Brechts Nähe ist, es also keinen Briefwechsel zwischen diesen beiden gibt.

Die Briefe haben ihren eigenen Charme: Die Steffin schreibt unverstellt. Nichts ist verklausuliert. Die Gerüchteküche ist genauso wichtig wie die Mitteilungen über die Gesundheit. Das Interesse an der Arbeit steht obenan, und insofern ist für jeden Wissenschaftler, der zu Brechts Werk arbeitet, dieser Briefwechsel eine Fundgrube. Und die Liebe dieser Frau macht jedem Melodram Konkurrenz, nur: Wenn sie leidet oder ihr Glück beschreibt, kann sie das ausdrücken, ohne je kitschig zu werden. Der Alltag der Emigration wird mit vielen Details deutlich. Steffins häufige Aufenthalte in der Sowjetunion ermöglichen ihr ein genaueres Bild über die Zustände dort, und der aufmerksame Leser kann nachlesen, wie vorsichtig briefliche Mitteilungen darauf eingehen, wie spärlich eine Verständigung über unverständliche politische Ereignisse schriftlich erfolgt, so daß uns Nachgeborenen eine Rekonstruktion damaligen Denkens und Wissens um die Stalinschen „Säuberungen” kaum je möglich sein wird. Die Rangeleien in den Redaktionen der Exilzeitschriften, das Warten auf Honorar, die Hoffnung auf Veröffentlichung, das Interesse an Nachrichten - in den Briefen ist alles enthalten. Natürlich sind die an Brecht das Zentrum, die Ergänzungen durch die Korrespondenz mit Benjamin und Zweig sind für mich vor allem der Beleg, wie alles bei der Steffin um den einen, ihren „bidi”, kreiste.

Zweifellos bietet das Buch eine spannende, eindrucksvolle Lektüre und ist für die weitere Forschung wichtig. Ich kann dennoch nicht verstehen, warum der Herausgeber einem überholten Prinzip folgte und nur die Briefe der Steffin edierte, obwohl häufig die Bezugsbriefe vorhanden sind, nur wiederum in anderen Sammlungen. Eine Korrespondenz lebt von der Partnerschaft, dem Reagieren auf den anderen. Wie wichtig wäre es, in einem Band nachlesen zu können, wie Brecht auf die großen Gefühlsausbrüche seines „Muck” reagierte und über welche Passage eines Briefes die Steffin verstimmt war. Schade!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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