Rezension von Bernd Heimberger



Episodisches

Jochen Meyer (Hrsg.): Dichterhandschriften
Von Martin Luther bis Sarah Kirsch.
Philipp Reclam jun. Verlag, Ditzingen 1999, 235 S.
 

Ist von einer Künstlerhandschrift die Rede, ist meist nicht von der Handschrift des Künstlers die Rede. Wenn die Künstlerhandschrift im Gespräch ist, sind Farben, Formen, Materialien der künstlerischen Gestaltung gemeint. Was ist eine Dichterhandschrift? Nichts anderes als die Handschrift des Dichters? Oder auch eine „Künstlerhandschrift”, die die gestalterischen Mittel und Möglichkeiten des Dichters summiert? Wer spricht schon von Dichterhandschriften? - Mehr oder weniger bibliophil ausgeführt, gibt's gelegentlich - hier und dort - eine Edition mit Faksimile-Drucken der Handschriften renommierter Dichter. Daß der Direktor der Handschriftenabteilung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach den Ehrgeiz hatte, mit einer eigenen, repräsentativen Ausgabe von Dichterhandschriften aufzuwarten, ist selbstverständlich. Im Stuttgarter Reclam Verlag hat Jochen Meyer einen geduldigen Partner für sein Projekt gefunden. Der gemeinsam ermöglichte großformatige Band Dichterhandschriften. Von Martin Luther bis Sarah Kirsch ist kein beliebiges Kultbuch, sondern ein einprägsames Buch zur literarischen Kultur. Der Buchkultur verpflichtet, ist der Band ein Literaturbuch besonderer Art.

Viel Wert wurde auf Ausstattung und Aufmachung gelegt, damit das Buch fürs geduldige, genaue Anschauen da ist. Das eigentliche Ansinnen der Publikation geht übers Ansehen hinaus. Die faksimilierten Texte sind Anlaß für Interpretatorisches, Biographisches, Historisches, das meist weit über die Texte hinausreicht. Die Begleittexte zu den lyrischen, prosaischen, häufig postalischen Texten beschreiben Geschichten der Literaturgeschichte. Die Texte sind weder dürftige lexikale Anmerkungen, noch riegeln sie sich durch wissenschaftliche Analysen ab. So gut wie die Wiedergaben der Handschriften, so gut die Schriften zu den Handschriften. Informativ, sind die Informationen bildend wie unterhaltend. Ominöse graphologische Deutungen von Schriftbildern sind nicht Sache des Bandes. Solides wird geboten, das ohne Langeweile ist, denn im schnellen Wechsel geht's von Handschrift zu Handschrift, Text zu Text. Geboten wird bewegte und bewegende Literaturgeschichte in Episoden. Welche Chancen sich das Computer-Zeitalter stiehlt, wenn es auf Dichterhandschriften verzichtet?!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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