Literaturstätten



„Club der lebenden Dichter”

Veranstaltungsreihe im Polnischen Kulturinstitut Berlin

Es ist schon einige Zeit her, da sorgte der amerikanische Film „Club der toten Dichter” für Aufsehen. Junge Leute, inspiriert von ihrem Lehrer, beschäftigen sich mit Literatur der Vergangenheit. Einer von ihnen, hochbegabt, gerät dadurch in unlösbaren Konflikt mit seinen Eltern. Die Geschichte endet tragisch.

Wenn heute das Polnische Kulturinstitut Berlin zu seinem „Club der lebenden Dichter” einlädt, hat sich herumgesprochen, daß ein spannender Abend mit neuer Literatur aus dem östlichen Nachbarland zu erwarten ist. Als kürzlich Olga Tokarczuk zu Gast war, reichten die Plätze bei weitem nicht. Die junge, mädchenhaft wirkende Frau zählt zu den interessantesten Schriftstellerinnen der jungen Generation in Polen. Obwohl ihre Bücher noch nicht in deutscher Sprache vorliegen (der Roman Prawiek i inne czasy/Ur- und andere Zeiten erscheint demnächst), hat sie auch hierzulande schon eine Fangemeinde. Im Publikum vorwiegend junge Gesichter, Studenten, einige reisen zu den Club-Veranstaltungen auch von der „Viadrina”, der Universität in Frankfurt/Oder, an.

Olga Tokarczuk liest zunächst im Original eine Passage aus ihrem 1998 erschienenen, bisher in über 40 000 Exemplaren verkauften Roman Dom dzienny, dom nocny (Haus des Tages, Haus der Nacht), dann folgt die deutsche Übersetzung. Die Geschichte spielt in einem kleinen Ort in der Nähe von Nowa Huta, erzählt wird aus dem Alltag einer Bankangestellten, von ihrer Sehnsucht nach Liebe, von ihrer Angst, daß das Leben vergeht, ohne daß es begonnen hat. Wie diese junge Frau sind die Helden in Olga Tokarczuks Büchern auf der Suche nach dem Schönen, dem Außergewöhnlichen. Sie werden es oft nicht finden, aber indem sie danach suchen, finden sie zu sich selbst. Im Anschluß an die Lesung spontan eine lebhafte Debatte, Fragen in Polnisch und Deutsch. Manchmal muß die Moderatorin vermittelnd eingreifen, übersetzen, damit auch die deutschen Zuhörer „dran bleiben können”.

Olga Tokarczuk, studierte Psychologin, war noch keine dreißig, als sie 1989 mit einer Erzählung die literarische Szene betrat. Vier Romane hat sie seither geschrieben, allesamt von der Kritik hochgelobt und mit renommierten Literaturpreisen gewürdigt. Sie gilt als die wichtigste Entdeckung der neueren polnischen Literatur. „Brillantes literarisches Talent” und „philosophische Tiefe” bescheinigen ihr die Rezensenten ebenso wie „Schönheit ihrer einfachen, klaren Sprache”. Oft sind in ihren Geschichten Reales und Phantastisches, Vergangenheit und Gegenwart verwoben.

Freimütig bekennt Olga Tokarczuk auf eine Frage nach weiteren Plänen, daß vorerst kein neuer Roman zu erwarten ist. Sie will sich wieder mehr Essays und Erzählungen zuwenden. Wie viele Autoren Polens hat Olga Tokarczuk einen eigenen Verlag gegründet, um unabhängig von den auf Profit ausgerichteten Praktiken des polnischen Buchmarktes zu sein.

Den „Club der lebenden Dichter”, eine Veranstaltungsreihe, die das Polnische Kulturinstitut in Partnerschaft mit dem Institut für Slawistik der Humboldt-Universität organisiert, gibt es seit Beginn des vorigen Jahres. Einmal im Monat lesen hier polnische Autoren. Zu Gast waren u.a. Anna Bolecka, Stipendiatin des Literarischen Colloquiums Berlin, der Essayist und Romancier Adam Zagajewski, der Lyriker und Übersetzer Henryk Bereska. Im April wird Maria Nurowska erwartet, deren Bücher hierzulande gern gelesen werden.

Zum Programm gehören ebenso literarische Porträts einzelner Autoren, Verfilmungen literarischer Werke, Treffen von Übersetzern und Verlegern als auch Veranstaltungen zu thematischen Schwerpunkten wie Emigration und Heimkehr oder Frauenbilder in der polnischen Literatur. In der polnischen Gegenwartsliteratur, so Malgorzata Tuszynska vom Polnischen Kulturinstitut, sei eine neue Generation von Autorinnen zu Wort gekommen, die nach dem Krieg geboren ist und die neue Themen in die Literatur einbringt. Großes Interesse fand im vergangenen Jahr eine Ausstellung über die „Polnische Buchkunst der Gegenwart” mit Kunstbüchern und Buchillustrationen von über 60 Künstlern des Landes.

Diese Ausstellung wird auch auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst zu sehen sein. „Polen 2000” bildet das Schwerpunktthema der diesjährigen Messe. Unter diesem Motto wird sich das Land und seine Literatur vorstellen. Eine Literatur, die in Deutschland noch wenig bekannt ist. Spannende Entdeckungen stehen bevor.

Gudrun Schmidt


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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