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Thomas Keiderling

Die „Schwarze Kunst” des Johannes Gutenberg
Zur Entwicklungsgeschichte einer weltverändernden
Innovation und Technologie
 

Johannes Gutenberg wurde im vorigen Jahr von einem amerikanischen Magazin zum „Mann des Jahrtausends” gewählt. Als Begründung gab die Jury an, daß alle wichtigen Entwicklungen der nachfolgenden Jahrhunderte ohne die Wirkungen seiner „Schwarzen Kunst” nicht möglich gewesen wären. Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, wie Gutenberg sein aufwendiges Vorhaben zur Herstellung gedruckter Bücher verwirklichen konnte. Der 600. Geburtstag des Erfinders, Technikers, Unternehmers und Künstlers gibt Anlaß für eine Rückschau.

Eine weitgehend unbekannte Biographie

Über die Person Johann Gensfleisch zur Laden, genannt Johannes Gutenberg, wissen wir nur wenig. Es liegen keinerlei Informationen vor, wann er geboren wurde, wie er aussah, was er in einzelnen Lebensabschnitten genau tat und wo er sich exakt aufhielt. Wichtigste Grundlage der biographischen Gutenbergforschung bilden die Akten unzähliger Gerichtsprozesse, in die Gutenberg zeit seines Lebens verwickelt war. Oftmals klagten fremde Geldgeber ihr geliehenes Kapital ein, das sie Gutenberg für sein geheimnisvolles Tun gegeben hatten. Trotz weißer Flecken läßt sich folgendes mit Bestimmtheit sagen:

Gutenberg wurde im Zeitraum von 1393 bis 1403 geboren. Ein erstes Gerichtsdokument aus dem Jahre 1420, worin es um eine Erbauseinandersetzung ging, weist ihn als einen volljährigen (damals: über 15jährigen) Mann aus. Vor einhundert Jahren einigten sich führende Forscher aus aller Welt auf das fiktive Geburtsjahr 1400.

Die Kinder- und Jugendjahre liegen völlig im Dunkeln. Die einzigen Erkenntnisse können wir aus der Tatsache ableiten, daß sein Vater, Friele Gensfleisch zur Laden, ein einflußreicher und reicher Mainzer Bürger war. Als Patrizier verdiente dieser sein Geld mit kaufmännischen Tätigkeiten. Auf jeden Fall gehörte der Vater einer Münzerhausgenossenschaft an.

Leider sind wir über die Lehr- und Ausbildungsstationen Gutenbergs nicht im Bilde. Es ließen sich ansonsten die frühen Einflüsse, sozusagen die fehlenden ideengebenden Verbindungsstücke seiner Innovation, besser rekonstruieren. Über den Zeitraum von 1438 bis 1455, als die Buchdruckkunst weiterentwickelt und in die Produktion eingeführt wurde, sind wir durch Gerichtsakten am besten informiert. Nachdem Gutenberg im November 1455 seine Hauptwerkstatt infolge einer juristischen Auseinandersetzung an seinen bisherigen Teilhaber Fust verlor, wird das Quellenmaterial wieder dünner. Gutenberg soll zu Beginn des Jahres 1468 in gesicherten sozialen Verhältnissen, wenn auch um den wirtschaftlichen Erfolg seiner Erfindung gebracht, gestorben sein.

Die eigentliche Erfinderleistung

Nach allen uns heute vorliegenden Informationen läßt sich sagen, daß die Grundlagen von Gutenbergs Erfindung bereits im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts komplett vorlagen. Dazu gehörten: (1) Die Technik des Holzschnittes und Holztafeldruckes - in Asien entwickelt, war sie längst nach Europa gelangt. (2) Der technische Stand der Münzherstellung und Goldschmiedekunst, die für das Gießen und Prägen von Metallen notwendig waren. Sowie (3) die primitiven Drucktechniken mit beweglichen Lettern, die in China und Korea am weitesten vorangeschritten waren, wo man seit dem 11. Jahrhundert sogar mit Stempeln aus Ton, Bronze und anderen Metallegierungen arbeitete. Weitere handwerkliche Bestandteile der späteren Innovation kannte man ebenso, wenn auch in anderen Anwendungsbereichen, wie etwa die Presse, das Gießinstrument für Metalle sowie nicht zu vergessen: das Papier.

Das künftige Prinzip des Buchdruckens mußte demnach einer Reihe von Personen „klar gewesen sein”. Für diese These spricht die Tatsache, daß unabhängig voneinander mehrere Techniker Mittel- und Südeuropas in die gleiche Richtung dachten und probierten. Gutenberg sollte jedoch der erste sein, dem ein technologischer Durchbruch gelang. Was hinderte die anderen, ihre Visionen zu verwirklichen?

Einer schnellen Einführung der neuen Buchdruckkunst in die wirtschaftliche Praxis stand in erster Linie der außerordentlich hohe Kosten-, Entwicklungs- und Personalaufwand entgegen, der notwendig war, um die Produktion auch nur e i n e s Buches zu ermöglichen. Man mußte als Unternehmer viel Geld in ein aufwendiges Vorhaben stecken und war sich dennoch eines Erfolges nicht sicher. Denn vermutlich wäre in den ersten Jahren oder gar Jahrzehnten kein einziges Produkt fertiggestellt worden. Die neue Erfindung konnte nur dann tragfähig sein, wenn es gelang, mit einem geringeren Arbeitsaufwand mehr Schriften zu produzieren, um sie dann preiswerter als die bisherigen Handschriften anbieten zu können. Obendrein mußten die neuen Bücher jene Qualität in Schrift und Verzierung besitzen, wie sie von den kunstvoll gefertigten Manuskripten her bekannt war. Mancher Handwerker mag davor zurückgeschreckt sein und versuchte, die Kunst des Druckens auf einem kürzeren Weg zu erreichen. Er verwendete billigeres Material, beispielsweise Holz, oder arbeitete mit nur wenigen Stempeln und fertigte demzufolge Spielkarten, Einblattdrucke oder Schriften geringen Umfangs an. Wenn er das Handwerk geschickt ausführte, konnten er sein Auskommen fristen; eine neue weltbewegende Technologie war damit jedoch nicht zu erzielen.

Wir dürfen davon ausgehen, daß auch Gutenberg am Anfang so dachte. Er beschäftigte sich zunächst mit Spielkarten, mit Einblattdrucken und mit der Holzdrucktechnik und wollte mit möglichst einfachen Mitteln gedruckte Schriften herstellen. Erst im Verlauf seiner praktischen Tätigkeit gerannen einzelne Gedankenleistungen zu einer tragfähigen Konzeption. Unabhängig von seinem Hauptstreben, ließ Gutenberg „so nebenbei” aber auch kleinere Artikel wie Ablaßbriefe usw. drucken, um etwas Geld in die Kasse zu bekommen.

Gutenbergs Erfindung war also keine spontane Erleuchtung, sondern eine Kombination von Neuentwicklungen, die über einen längeren Zeitraum hinweg konzipiert, erprobt und ständig verfeinert wurden. Gutenberg verkörperte dabei einerseits einen neuen Unternehmertyp, der trotz diverser Geldanleihen „Herr im eigenen Hause” bleiben wollte, andererseits gelang es ihm, eine Gruppe von Gleichgesinnten um sich zu scharen, die ihn tatkräftig unterstützten. Er arbeitete mit einem größeren Team zusammen, dessen Leiter er war.

Was haben nun Gutenberg und seine Mitstreiter geleistet? Vier zentrale Entwicklungen sind anzuführen, wobei die Reihenfolge der Nennung nicht unbedingt mit der Chronologie ihres erstmaligen Einsatzes identisch sein soll:

1. Das Handgießinstrument

In Asien wurden die Typen noch in Sandformen gegossen. Die so erzielten Druckzeichen wiesen jedoch nur eine unzulängliche Randschärfe und Qualität auf. Gutenberg entwickelte ein verstellbares Handgießinstrument, mit dem er unterschiedliche Einzelbuchstaben, Sonderzeichen sowie nichtdruckende Teile (sogenanntes Blindmaterial zum Ausfüllen der Zwischenräume) herstellen konnte. Das Instrument basierte zu großen Teilen auf der Kenntnis der Metalltechniken und Gußverfahren. Neu war eine eingebaute Vorrichtung, mit der man die Gußform verstellen konnte. Mit diesem exakt arbeitenden und zugleich leicht zu handhabenden Gerät konnte Gutenberg die benötigten völlig gleichartigen Drucklettern in absehbarer Zeit herstellen lassen.

2. Die beweglichen Lettern

War der Text einer Seite beim Blockdruck noch vollständig in das Holz geschnitzt, so löste Gutenberg diesen Text quasi in seine Bestandteile auf. Dazu zerschnitt er jedoch nicht die Holzvorlage, sondern verwendete Metallettern, die er im zuvor beschriebenen Gießinstrument anfertigen ließ. Die Einzelbuchstaben bestanden aus einer Blei-Zinn-Antimon-Legierung. Diese Mischung hatte offensichtlich den Vorteil, daß sie schnell erkaltete und somit eine rasche Herstellungsfolge ermöglichte.

3. Die Druckerschwärze

Die Herstellung der Farbe war insofern problematisch, als alle bislang verwendeten Mittel wie Tinte oder Holzfarbe von den Metallettern nicht angenommen wurden. Gutenberg mußte sicherlich lange experimentieren, bis er eine optimale Mischung fand. Das Ergebnis können wir noch heute bestaunen, wenn wir uns die samtig und gleichmäßig schwarzen Lettern der 42zeiligen Bibel ansehen. Es wurden organische Stoffe verwendet wie Lacke, Öle und Harze, so daß die Farbe zäh und klebrig wurde. Dazu mischte Gutenberg Lampenruß, Pech, Firnis und Eiweiß unter Zugabe weiterer Elemente.

4. Die Druckpresse

Die Presse war aus Holz konstruiert und hatte vermutlich die Spindelpresse zur Voraussetzung. Vorlagen für Pressen konnte der Erfinder in diversen Berufsbereichen studieren: die Buchbinderpresse, die Weinpresse, die Stoffdruckerpresse oder die Gautschpresse der Papiermacher. Anfängliche Probleme des Drucks bestanden in der Konstruktion des mobilen Wagens, in der Haltbarkeit der Spindel, in der Justierung sowie der Genauigkeit des Buchstabendrucks. Die Presse hatte vor allem einen Vorteil: Wurde bislang beim Drucken das Papier auf der Druckvorlage mit einem Leder- oder Stoffballen abgerieben, so ermöglichte die Presse mit ihrem gleichmäßigen Druck auf allen aufliegenden Flächen in kürzester Zeit ein exaktes Abbilden. Die Konstruktion war so genial, daß sie in den folgenden drei Jahrhunderten nicht verbessert zu werden brauchte.

Das neue Verfahren benötigte zahlreiche weitere Geräte, die in der Werkstatt Gutenbergs entwickelt wurden: den Setzkasten, den Winkelhaken, den Druckerballen zum Auftragen der Farbe, das Setzschiff und die Anlegeeinrichtung. Würden wir all die genannten Gerätschaften in einem Raum zusammenstellen, dann hätten wir noch keine neue Druckkunst, sondern allenfalls ein interessantes Geräte- und Materiallager. Die neue Kunst wurde erst durch die Bündelung der verschiedenen Geräte und Arbeitstechniken ermöglicht.

Das Zusammenwirken verschiedener Geräte und Arbeitsschritte schuf eine neue Technologie

Eine wichtige Voraussetzung zur Arbeitsaufnahme waren bedeutende Kapitalmengen. Nach dem heutigen Kaufwert wurden im Laufe der Jahre Geräte, Einrichtungen, Materialien und Löhne im Wert von mehreren hunderttausend DM benötigt und ausgegeben. Für jede Etappe der Erfindung brauchte Gutenberg neue Kredite. Eine besondere Rolle der Geldbeschaffung spielten Genossenschaftsverträge, in denen das einzelne Mitglied Kapital, Arbeit bzw. Know-how einbrachte und nach einem entsprechenden Schlüssel am Gewinn beteiligt wurde. Ein solcher Vertrag wurde in dem Straßburger Prozeß der Gebrüder Dritzehn gegen Gutenberg im Jahre 1439 vom Zeugen Pastor Heilmann ziemlich genau beschrieben.

Zunächst wandte sich Gutenberg vom Prinzip des Holztafeldrucks ab, das seit dem 14. Jahrhundert bekannt war und bei dem eine vollständige Seitenvorlage in Holz geschnitten wurde. Mittels eines von ihm verbesserten Handgießinstruments goß er die Buchstaben einzeln aus einer Legierung aus Blei, Zinn, Antimon und einem leichten Zusatz von Wismut. Rein theoretisch hätte Gutenberg mit je 26 Groß- und Kleinbuchstaben sowie mehrerem Satz- und Blindmaterial auskommen müssen. Um die Qualität der Handschriften zu erreichen, entschied er sich jedoch für 290 unterschiedliche Schriftzeichen: 47 Großbuchstaben, 63 Kleinbuchstaben, 92 Lettern mit Abkürzungszeichen, 83 Buchstabenkombinationen (Ligaturen wie ff, fl, ll) und fünf Kommata. Dieser Vorgang allein muß längere Zeit in Anspruch genommen haben, wenn man bedenkt, daß für die 42zeilige Gutenbergbibel den vielleicht sechs Setzern schätzungsweise 50 000 bis 60 000 Typen zur Verfügung standen. Die Typen waren vorerst einzeln von Hand zu gießen und zu schleifen.1 Bei der Wahl der Schrifttypen orientierte sich Gutenberg am ästhetischen Vorbild der handgeschriebenen Bibeln. Diese sollten erst einmal imitiert und nicht gleich etwas Neues geschaffen werden. Trotzdem wies sein erster Drucksatz Besonderheiten auf. Es wurde bereits zu diesem frühen Zeitpunkt deutlich, daß sich in der Gestaltung der Druck von den Handschriften entfernen und verselbständigen würde.

Nachdem die Typen in die eigens dazu angefertigten Setzkästen abgelegt waren, konnte man sie in der Druckform der Presse zu einer Seite zusammenlegen. Vom Setzer wurden dazu die einzelnen, seitenverkehrten Buchstaben herausgenommen und mit einem Hilfsgerät, dem Winkelhaken, genau in die Druckform eingepaßt und justiert. Zwischen die gesetzten Wörter kam sogenanntes Blindmaterial, d. h. nichtdruckende Teile, die für die erforderlichen Abstände sorgten. Die Gutenbergbibeln fielen dadurch auf, daß sie einen hervorragenden Blocksatz besaßen. Das erreichte man durch die Verwendung unterschiedlich großer Blindstücke. Bislang konnte man beim manuellen Abschreiben den Blocksatz nur dann erzielen, wenn man die lateinischen Worte - oft nach individuellem Geschmack und Erfordernis - abkürzte. Auch hier bot die Gutenbergsche Drucktechnik verbesserte Möglichkeiten.

Die Druckvorlage wurde anschließend mit einem halbkugelförmigen Lederballen gleichmäßig eingefärbt und in die Presse gelegt. Das zu bedruckende Papier wurde angefeuchtet, um die Farbe besser aufnehmen zu können, und in einem klappbaren Pressdeckel festgeklammert. Ein zusätzlicher Schutzrahmen darüber verhinderte, daß die Blattränder beim Drucken beschmutzt wurden. Den Wagen mit dem Satz, Deckel und Druckpapier schob man schließlich auf einer Art Schiene unter die Druckplatte, den sogenannten Tiegel, und drückte diese durch Betätigung der Presse bei großer körperlicher Anstrengung auf das Papier. Dem hier beschriebenen sogenannten Schöndruck folgte dann der Widerdruck auf der Rückseite des Blattes.2

Um 1452 begann Gutenberg mit der Herstellung von Bibeln. Kein Wunder, daß er sich für dieses Buch entschied, denn es gehörte zu den damaligen „Dauerrennern” und ließ sich sehr gut verkaufen. Der Verkaufspreis einer Bibel entsprach übrigens dem Jahreslohn eines Goldschmiedes. Die Käuferschicht war in den wohlhabenden Kreisen zu suchen.

Zwei Jahre lang arbeitete Gutenberg mit ca. einem Dutzend Setzern und Druckern an diesem Werk. Von den vermutlich 158 oder 180 gedruckten Bibeln sind 49 erhalten. Im Gegensatz zu den professionellen Schreibern konnte Gutenberg damals mehr als dreimal effektiver produzieren, legt man ausschließlich die Anzahl des Personals zugrunde. Denn für die Herstellung von 180 Bibeln in zwei Jahren wären 45 Schreiber notwendig gewesen.3 Bei den ersten Drucken wurde aus technischen Gründen nur die schwarze Druckfarbe verwendet. Die farbige Gestaltung erfolgte in einem weiteren Schritt, wo Illustratoren und Kolumnisten per Hand die Überschriften, Initialen usw. einfügten, um die Bücher den Handschriften anzugleichen. Aufgrund der manuellen Zusätze sieht keine der erhaltenen Bibeln genau wie die andere aus. Bis heute ist die Fachwelt von der hohen Qualität dieser ersten gedruckten Bücher tief beeindruckt.

Der Erfinder, das Forschungsteam, die Werkstatt

Einiges spricht für die Vermutung, daß Gutenberg im Zeitraum von 1438 bis 1455, also während der wirtschaftlichen Umsetzung der Buchdruckidee, zwei Werkstätten in Mainz unterhielt. Wie kam das zustande?

Einmal ließ der Unternehmer in einer kleinen Werkstatt unter Verwendung von Frühformen der neuen Technologie lukrative Einzelblatt- und Kleindrucke herstellen, etwa Ablaßbriefe im Auftrag der Kirche. In einer zweiten, größeren Werkstatt, die er gemeinsam mit dem Geldgeber und Teilhaber Fust betrieb, entwickelte er das Verfahren des Buchdrucks weiter. Die Betreiber nannten ihr großes Unternehmen das „Werk der Bücher”. Hier sollten umfangreichere Werke (Bibeln) gedruckt werden. Das Betreiben zweier Druckereien wird dadurch gefördert, daß es zeitgleich neben der Gutenbergbibel auch Kleindrucke gibt, die in einer anderen Schriftart gesetzt sind. In der kleinen Werkstatt wurde also ausschließlich produziert, in der großen an der vorhandenen Technologie weiter gefeilt und die Produktion vorbereitet. Wenden wir uns der großen Werkstätte zu, dann sehen wir an ihr deutlich die Vorteile einer arbeitsteiligen Tätigkeit. Hier werkelte ein eingeschworenes Team, wobei Gutenberg durchaus als die treibende Kraft, der Motor zu bezeichnen ist. Wenn also die Rede von Gutenberg ist, sollte stets bedacht werden, daß es sich um den Leiter einer am Innovationsprozeß beteiligten Gruppe handelte. Dem Chef standen mehrere Partner zur Seite, von denen wir einige mit Namen kennen. Dazu gehörten zumindest Andreas Dritzehn, Andreas Heilmann, Hans Riffe, Johann Fust und Peter Schöffer. Ferner gab es Diener und Handlanger. Die genaue Stärke der Arbeitsgruppe ist nicht übermittelt. Sie schwankte wohl auch aufgrund der Auftragslage und finanziellen Situation. In der Forschung geht man, unberücksichtigt die vielen wechselnden Teilhaber, in der Regel von 12 bis 20 Mitarbeitern aus.

In einigen wissenschaftlichen Arbeiten wurde die besondere Beziehung Gutenbergs zum Wein beschrieben. Es ist nämlich durch eine städtische Weinsteuerliste überliefert, daß Gutenberg im Jahre 1439 beträchtliche Mengen Wein in seinem Keller einlagern ließ. Wollte er sich etwa dadurch tarnen und der nächsten Umgebung einen Weinhändler vortäuschen? Wollte er verhindern, daß die Umwelt auf seine eigentliche Arbeit aufmerksam wurde? - Vielleicht. Eine andere Überlegung geht davon aus, daß die frühen Drucker viel Wein während der Arbeit getrunken haben. Woher kam die Neigung der Drucker zum Trinken - war es die Arbeit mit Blei und Bleistaub? In erster Linie sollte der Wein das Zusammenarbeiten und Zusammenleben im Unternehmen verbessern; er schuf eine produktive Arbeitsatmosphäre. Auch beflügelte der Wein die Phantasie, begünstigte durch seine stoffwechselanregende Wirkung überraschende Gedankenverbindungen und mutige Entschlüsse. Bei einem Glas Wein wurden die technischen Details besprochen, man sprach vielleicht über die Gestalt der Stempel, über das Gießen und Zurichten der Einzelbuchstaben sowie über das Setzen. „Die Motive der Mitglieder der Werkgemeinschaft waren ein erwarteter Gewinn, auch Neugier mochte eine Rolle gespielt haben, auch die Freude an schon erreichten Erfolgen, die wieder Anlaß gab, den Diener Gutenbergs [...] in den Keller nach einem neuen Krug Weißburgunder zu schicken.”4 Der Gutenbergforscher Albert Kapr stellte sogar Vermutungen über die Weinsorten an. In seiner Jugend wird Gutenberg Riesling getrunken haben und während seiner Straßburger Zeit Burgunder - beides waren Spitzenweine seiner Zeit.

Der Weingenuß in der Werkstatt konnte aber auch auf Befürchtungen Gutenbergs hinweisen, die Innovation könnte allzu rasch nach außen dringen. Da Wein bekanntlich die Zunge löst, bestand die Gefahr, daß die Mitarbeiter Gutenbergs nach Arbeitsschluß in einer der nahe gelegenen Weingaststätten einkehrten und zuviel von den Dingen erzählten, mit denen sie so tagtäglich zu tun hatten. Um dies zu verhindern, wurde der Wein in der Werkstatt, vielleicht auch als ein Bestandteil des Lohnes, ausgeschenkt.

So ganz „wasserdicht” scheint die Werkstatt indes nicht gewesen zu sein, denn es gibt, wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt, Hinweise auf Betriebsspionage. So erhielt der französische König Karl VII. Kunde von dem geheimnisvollen Tun der Mainzer. Im Jahre 1458 befahl er dem Stempelschneider Nikolaus Jenson, nach Mainz zu gehen und Näheres in Erfahrung zu bringen. Wie erfolgreich diese Wirtschaftsspionage war, läßt sich nicht genau feststellen. Es dauerte noch zwölf Jahre, bis die erste französische Presse von herbeigerufenen Deutschen in Gang gesetzt wurde. Jenson, seit 1470 in Venedig tätig, stieg dort zum zweitwichtigsten Drucker der Lagunenstadt auf.5

Teamgeist und Weingenuß in der Erfinderwerkstatt setzten die Unternehmer bewußt ein, um Harmonie und Kooperation, eine „corporate identity”, zu stiften. Doch das war nur die eine Seite. Das enge Zusammenarbeiten, die Geheimhaltungsstufe, die häufigen Rückschläge, der Pfusch bei der Arbeit sowie der Streit zwischen den Teilhabern über Produktionsfragen und über die Rückzahlung geliehener Kapitalien riefen Spannungen hervor. Immer wieder kam es unter den Teilhabern zu Gerichtsprozessen. Die Gerichtsverhandlung von 1455 brachte Gutenberg eine große Niederlage. Er wurde von seinem Teilhaber Fust aus dem Unternehmen hinausgeworfen, und das kam so:

Der Kaufmann Johann Fust war ein langjähriger, wichtiger Geldgeber Gutenbergs, der die Investition des „Werks der Bücher” überhaupt erst ermöglichte. Fust, der kein Know-how einbrachte, sondern ausschließlich das Geld, war sich seiner zentralen Stellung im Unternehmen bewußt. Eines Tages bestand er darauf, offizieller Teilhaber zu werden. Nachdem Gutenberg immer wieder die Rückzahlung der ausgegebenen Kredite hinausgeschoben hatte, platzte Fust 1455 der Kragen. Er zog vor Gericht und erhielt Recht. Gutenberg hatte ihm ab sofort die gesamte Summe von ungefähr 2 000 Gulden plus Zinsen zurückzuzahlen. Da Gutenberg über diese Summe Bargeld nicht verfügte - er hatte die bisherigen Einnahmen immer wieder in die Technologie investiert -, sprach das Gericht Fust das Inventar der Werkstatt und somit wesentliche Teile der Innovation zu.6 Die Erfinderwerkstatt ging an Fust über, der den bisherigen Gehilfen und „zweiten Kopf” neben Gutenberg, Peter Schöffer, als Teilhaber aufnahm. Das Unternehmen Fust-Schöffer setzte die Drucktätigkeit im großen Stile fort und zog wirtschaftlichen Gewinn daraus. Es war schließlich der Sohn Schöffers, Johannes, der die Verhältnisse zwischen dem Erfinder, Finanzier und Gehilfen zugunsten der Gemeinschaft Fust-Schöffer verschob und behauptete, die Erfindung stammte von seinem Vater.

Was Gutenberg in seinen letzten Lebensjahren machte, ist Gegenstand zahlreicher Spekulationen. Wenn er - wie vielfach vermutet - die kleinere Werkstatt behielt, konnte er weiterdrucken. Vielleicht ging er mit dem Juristen Dr. Konrad Humery eine neue Partnerschaft ein. Zumindest hatte er diesem Mann die Geräte seiner kleinen Druckerei hinterlassen. Das Leben des rastlosen Erfinders endete wenig glücklich. Der alte Mann brauchte aber nicht zu hungern, denn der Bischof Adolf von Nassau gewährte ihm jährliche Zuwendungen in Form von Essen, Kleidung und natürlich Wein. Eine größere Anerkennung wurde Gutenberg, um den es sehr still geworden war, aber nicht zuteil.

Ausbreitung der Innovation

Die neue Kunst breitete sich mit phantastischer Geschwindigkeit aus. Schon zu Lebzeiten Gutenbergs wurde nicht nur in Mainz, sondern auch in Straßburg, Bamberg, Basel, Köln, Rom, Subiaco sowie im kleinen Weinstädtchen Eltville vor den Toren von Mainz gedruckt. In der Wiegendruckperiode, also bis 1500, waren in 60 deutschen Städten 300 Druckereien entstanden. Es erschienen in diesem Zeitraum nicht weniger als 30 000 unterschiedliche Titel in ca. 9 Millionen Exemplaren. Über achtzig Prozent dieser Bücher waren in lateinischer Sprache verfaßt, was den Vorteil eines internationalen (zumindest europaweiten) Absatzes der Bücher hatte. Das Zeitalter des Buchdrucks war angebrochen, das von Marshall McLuhan 1962 rückblickend die „Gutenberg-Galaxis” bezeichnet wurde. Für uns heute ist kaum noch vorstellbar, daß es einmal eine Welt ohne das gedruckte Wort gab, ohne Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Karten, Broschüren und Plakate.

Schlußbetrachtung

Von Gutenberg selbst sind keinerlei einschätzende Worte über die (hohe) Bedeutung seiner Erfindung überliefert. Wenn er sich diesbezüglich geäußert haben sollte, dann wohl gegenüber seinen Mithelfern in der Absicht, diese zu größerem Arbeitseifer anzuspornen. Da Gutenberg keine Nachkommen hinterließ, wurde seine Erfinderleistung fehlerhaft erinnert und bis ins 18. Jahrhundert hinein sogar der Holländer Laurens Coster aus Haarlem als Erfinder der Druckkunst angesehen. Als die Wissenschaft schließlich die Dinge wieder richtig stellte, hatten sich viele Autoren vor Lob und Würdigung Gutenbergs geradezu überschlagen. Bezeichnungen wie: „Der ewig Schreitende” (Franz Berger) oder „größter Lichtverbreiter aller Zeiten und Völker” (Alfred Böckel) wurden zu häufig kolportierten Floskeln. Natürlich muß die Innovationsleistung Gutenbergs auch eine adäquate Würdigung erfahren. Fassen wir die Aussagen zusammen:

Gutenberg war frühzeitig von der Tragfähigkeit einer neuen, kostenaufwendigen Geschäftsidee überzeugt, deren Grundlagen bereits bekannt waren. Er wollte diese Geschäftsidee in Eigenverantwortung als freier Unternehmer verwirklichen. Dazu warb er bei einflußreichen Personen die erforderlichen Kapitalmengen ein und verpflichtete Mitarbeiter, die ihm entscheidende Unterstützung bei der Umsetzung gaben. Die bedeutendste Leistung Gutenbergs bestand darin, ein produktionsfähiges Verfahren des Buchdruckes entwickelt zu haben. Durch die Delegation von Arbeiten war es Gutenberg möglich, die Technologie in so kurzer Zeit zu perfektionieren und in die Praxis einzuführen. Dabei legte er - wie dies bei den meisten wirtschaftlich orientierten Erfinderwerkstätten der Fall ist - größten Wert auf Geheimhaltung vor der Konkurrenz.

Gutenberg eröffnete der bis dahin nur gering entwickelten Drucktechnik neue Entwicklungsperspektiven, beförderte ihre Herausbildung zu einer eigenständigen Wirtschaftsbranche - dem Buchdruck - und legte damit die G r u n d l a g e n für eine moderne Massenproduktion von gedruckten Erzeugnissen (Bücher, Zeitschriften, Kunst-, Noten- und Landkartendrucke). Wiederholt wurde behauptet, Gutenberg hätte eine erste, auf industrieller Grundlage ruhende „Fabrik” geschaffen. Dieser Befund übertreibt zweifellos. Die gesamte Apparatur sowie die Werkstatt gehörten eindeutig in das Manufakturzeitalter. Im Vergleich zu den späteren, industriellen Druckmaschinen des 19. Jahrhunderts erzielte die Technik Gutenbergs nur vergleichsweise dürftige Ausstoßzahlen.

Dem genannten tritt ein weiteres Moment hinzu. Gutenberg entwickelte eine Technologie, die nicht vergessen wurde, sondern sich rasch in der Welt ausbreitete und bis heute tradiert wird. Diese Breitenwirkung - die von Gutenberg selbst nicht gewollt, sondern aufgrund seiner Geheimhaltung sogar verzögert wurde - ist Ursache für die kulturelle Aufladung der Gutenbergschen Idee. Erst durch diese Wirkung konnte sich das gesamte Potential seiner Innovation entfalten. In diesem Zusammenhang muß auf den rechten Zeitpunkt der Erfindung verwiesen werden. Die große Marktnachfrage nach gedruckten Schriften, der Humanismus und später die Reformation haben zur Aufwertung der Erfindung maßgeblich beigetragen.

Amerkungen

1 Vgl. Franz Berger: Der ewig Schreitende. Eine Studie über Gutenberg, o. O. 1968, S. 5
2 Die Beschreibung wurde entnommen aus Stephan Füssel: Johannes Gutenberg, Reinbek 1999, S. 30-37
3 Vgl. Hoffmann, Leonhard: Die Gutenbergbibel. Eine Kosten- und Gewinnschätzung des ersten Bibeldrucks auf der Grundlage zeitgenössischer Quellen, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 39. Frankfurt/M. 1993, S. 258
4 Albert Kapr: Johannes Gutenberg und der Wein. Reflexionen zu einem Thema, das von der Gutenbergforschung bislang im Dunkeln belassen wurde, in: Marginalien 123/1990, S.31
5 Vgl. Hans Braun: Zur Erfindung des Buchdrucks. Freiburg 1987, S. 53
6 Einen bitteren Beigeschmack erhält dieser Umstand durch die Tatsache, daß Gutenberg nur wenige Monate gefehlt haben, um die ersten bestellten Bibeln auszuliefern. Seine Zahlungsfähigkeit war also abzusehen. Vielleicht war der Zeitpunkt der Klage Fusts wohl berechnet.

Auswahlliteratur

Über Gutenberg und seine Erfindung ist so viel geschrieben worden, daß die vollständige Bibliographie ein neues Buch ergeben würde. Im folgenden sind einige herausragende Publikationen der jüngsten Zeit aufgelistet, die den neuesten Stand der Gutenbergforschung repräsentieren und die fast alle im Handel erhältlich sind. Darüber hinaus lohnt es sich, die Aufsätze des seit 1926 erscheinenden Gutenberg-Jahrbuches, herausgegeben von Stephan Füssel im Auftrag der Gutenberg-Gesellschaft in Mainz, zu verfolgen.

Bechtel, Guy: Gutenberg et l'invention de l'imprimerie. Une enquête. Paris, Fayard, 1992
Füssel, Stephan: Johannes Gutenberg. (Rowohlts Monographien). Reinbek, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1999
Ders.: Gutenberg und seine Wirkung. Frankfurt/M. und Leipzig, Insel-Verlag, 1999
Hoffmann, Leonhard: Die Gutenbergbibel. Eine Kosten- und Gewinnschätzung des ersten Bibeldrucks auf der Grundlage zeitgenössischer Quellen, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 39. Frankfurt/M. 1993, S.255-319
Kapr, Albert: Johannes Gutenberg: Persönlichkeit und Leistung (2. Auflage). München, C.H.Beck, 1988
Nickel, Holger u.a. (Hg.): Johannes Gutenberg - Regionale Aspekte des frühen Buchdrucks (Vorträge der Internationalen Konferenz zum 550. Jubiläum der Buchdruckerkunst am 26. und 27. Juni 1990 in Berlin). Berlin und Wiesbaden, Dr. Ludwig Reichert Verlag, 1993
Pollard, Michael: Johannes Gutenberg (Aus dem Englischen von Hannah Madrigal). Recklinghausen, Georg Bitter Verlag KG, 1993


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
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