Annotation von Eberhard Fromm


 

Sabrow, Martin
Die Macht der Mythen
Walther Rathenau im öffentlichen Gedächtnis.
Verlag Das Arsenal, Berlin 1998, 142 S.

 

Walther Rathenau war und bleibt eine vielschichtige Persönlichkeit, mit der man sich immer wieder und unter den unterschiedlichsten Aspekten auseinandersetzen kann. Der in Potsdam tätige Historiker Martin Sabrow (1954) will sich in seinen sechs Essays mit dem nach seiner Meinung unterschätzten Problem befassen, „wie sehr Rathenaus Biographie vor allem das Produkt seiner Biographen” sei und auch eines „ambivalenten Gedächtnisses seiner Mit- und Nachwelt”. Er macht jedoch gleich im ersten Beitrag („Der Mann vieler Biographien”) deutlich, daß es ihm letztlich um mehr als um Rathenau gehe, den er nur als „Objekt für postmoderne Rekonstruktionen” ausgewählt habe. Aus Mißtrauen gegenüber den eindeutigen Lehren, den einfachen Wahrheiten wird d i e Geschichte in einzelne Geschichten aufgelöst.

Ob man aber so einfach davon ausgehen kann, daß es im Leben von Rathenau vier Biographien - Rathenau als Industrieller, als Politiker, als Denker und Schriftsteller, als Jude - gegeben habe, die sich teilweise ausschließen, bleibt fraglich. Daß man als Biograph natürlich die Freiheit hat, die eine oder andere Seite der Persönlichkeit hervorzuheben, daß dabei eigene Anschauungen, Wertungen und Sympathien eine Rolle spielen, ist ja keine neue Einsicht. Nimmt man dagegen den auch bei Sabrow zitierten Satz von Stefan Zweig über Rathenau, daß seine ganze Existenz ein einziger Konflikt immer neuer Widersprüche war, dann besteht das Können eines guten Biographen eben darin, dies als charakteristisches Merkmal Rathenaus zu erfassen und in all seiner Widersprüchlichkeit - jedoch in e i n e r Biographie - darzustellen. Insofern ist es wohl nicht ganz zutreffend, wenn der Autor meint, „daß der Mann vieler Biographien immer auch das Opfer vieler Biographen war”.

In dem Essay „Attentäter als Geschichtsschreiber” geht es um Ernst von Salomon (1902-1972) und seine autobiographischen Bücher Die Geächteten (1931) und Fragebogen (1951), in denen der Mittäter Salomon über den Rathenaumord schreibt. Hier wird noch einmal besonders die postmoderne Herangehensweise an Geschichte unterstrichen: Sie sei weniger Rekonstruktion als Konstruktion; jede Zeit schreibe die Geschichte neu, weshalb keine von vornherein wahrer sei als die andere; Geschichte werde wieder zu einer Kunst, die nicht den tatsächlichen Abläufen zu folgen hat, sondern ästhetischen Baugesetzen. Nun kann man ja diese von Anhängern der Postmoderne propagierte Position vertreten; wenn man jedoch die Erinnerungsbücher Salomons als „Bestätigung der These von der Fiktionalität aller Geschichtsschreibung” (S. 105) anführt, dann fühlt man sich als Leser doch etwas veralbert. Und auch solche eingestreuten verallgemeinernden Kernsätze des Autors wie „Aus wachsendem Abstand wird die Vergangenheit paradoxerweise immer weniger bewältigt”, provozieren dann auch kein Nachdenken oder Polemisieren, sondern werden einfach überlesen, weil es ja diese „Bewältigung” in der Diktion des Autors gar nicht gibt.

Eine kleine, in sich ruhende Geschichte wird in „Schloßherr und Zeitkritiker” beschrieben: Rathenau und sein Schloß Freienwalde. Hier werden Motive und Handlungsweisen Rathenaus an einem Detail wie dem Kauf, der Rekonstruktion und der Nutzung des Schlosses vorgeführt, hier kommen Zeitzeugen in ihrer Sicht auf den „Schloßherrn” Rathenau zu Wort, so daß aus einer ganz bestimmten, sehr wohl engen Optik ein interessantes Bild der Persönlichkeit Rathenaus sichtbar gemacht wird. Dabei erhalten auch die Fotos und Zeichnungen von Rathenau selbst einen eigenen Stellenwert. Gerade diesen Beitrag liest sicher auch derjenige durchaus mit Gewinn, der das generelle Herangehen des Autors nicht teilt.
 


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
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