Annotation von Ursula Reinhold


 

Arnold, Angela M. (Hrsg.):
Bruchstücke
Trümmerbahn und Trümmerfrauen.
Omnis Verlag, Berlin 1999, 213 S.

 

Nach Bruchstücke Wilmersdorf als Band 1 der „Edition Berlin” liegt hier der zweite Band dieser Edition über die Berliner Nachkriegsgeschichte vor. Es ist eine detaillierte und materialreiche Dokumentation über den Zustand der durch Bomben und Kampfeinwirkungen zerstörten Stadt, die ihre Entstehung einem Förderprojekt verdankt. Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat die verdienstvolle Publikation erarbeitet, die den heutigen Zeitgenossen eine konkrete Vorstellung von den Berliner Verhältnissen am Ende des Zweiten Weltkrieges vermittelt. Dieser Krieg hatte in der Stadt die unvorstellbare Menge von 75 Millionen Kubikmetern Schutt hinterlassen. Das ist eine Menge, die einen 30 Meter breiten und 5 Meter hohen Damm von Berlin nach Köln ergeben hätte. Das Verdienst dieser Darstellung zur Berliner Lokalgeschichte ist es, daß sie ein anschauliches Bild vom Zustand der Stadt am Kriegsende und von den Bedingungen ihres Wiederaufbaus gibt. Die Autoren haben dazu einen Fundus von einschlägigen Büchern, Zeitungen und Dokumentationen ausgewertet und aus umfangreichem Bildmaterial ausgewählt. Außerdem haben sie Zeitzeugen befragt und auf diese Weise zeitgeschichtliche Erfahrungen abgefragt und festgehalten, die sonst mit ihren Trägern verlorengingen. Es ist so ein wichtiger Beitrag zur Berliner Alltagssituation der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, in der in besonderer Weise die Frauen den Hauptteil bei der Bewältigung der Kriegsfolgen trugen.

Die Darstellung ist in vier größere Abschnitte gegliedert, wobei der erste die geschichtliche Ausgangssituation in Berlin festhält, den Zustand der Gebäude dokumentiert und in einer Skizze eine Übersicht der Trümmerlagerstätten in und um Berlin vermittelt. In einem Diagramm wird der Anteil an stark, leicht und total zerstörten Gebäuden dargestellt. Daraus geht hervor, daß nur 10 Prozent der Gebäude unzerstört waren.

Der zweite Teil dokumentiert die technischen Voraussetzungen für die gigantische Aufgabe der Trümmerbeseitigung. Es entsteht dabei auch ein sehr konkreter Beitrag zur Geschichte des Berliner Transportwesens, in dem die in Berlin eingesetzten Fahrzeuge der schmalspurigen Trümmerbahn ermittelt und dokumentiert werden. Festgehalten werden Gleise, Kreuzungen, Zwischenlager und Enttrümmerungszentren in den Stadtbezirken Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Dabei werden die Gleisführungen der schmalspurigen Bahnen exakt nachgezeichnet. Der heutige Leser kann sich eine Vorstellung von ihrem Verlauf machen und sie gedanklich ins heutige Straßenbild einfügen. Er erfährt etwas über die Verfüllung des großen und kleinen Bunkers im Volkspark Friedrichshain, über die Verladungen auf Spreekähne und über die Trümmerbeseitigung in der Rummelsburger Bucht und anderswo. Man bekommt eine Ahnung, welche Zeitbomben noch heute dort im Boden liegen werden.

Im dritten Teil wird von den Bedingungen berichtet, unter denen die Menschen zu leben und zu arbeiten hatten. Auch hier sind die Auskünfte über das Verhältnis von Männern und Frauen, über Lebensmittelrationen vor und nach der Kapitulation, über Kartenkategorien, Arbeits- und Meldepflicht, Renten- und Sozialversicherungsabgaben und über Arbeitslöhne sehr konkret.

Im vierten Teil der Darstellung gibt es neben einer Zeittafel der Ereignisse zwischen 1946 bis 1948 eine Zusammenstellung ausgewählter Presseerzeugnisse aus damaliger Zeit zum Thema, die die Schwierigkeiten der Enttrümmerung, die organisatorischen Hemmnisse und die lebensgefährdende Arbeit deutlich machen. Hier werden auch Zeugnisse von Berliner Schülern und Aussagen von Zeitzeugen abgedruckt, die den individuellen Erlebnishorizont der Betroffenen aufscheinen lassen.

Der Anhang gibt eine Zusammenstellung der Transportleistungen der Trümmerbahnen und eine Übersicht über die wiedergewonnenen Materialien, mit denen die beschädigten Gebäude repariert und wieder bewohnbar gemacht wurden. Neben Quellen und Abbildungsnachweisen enthält er auch eine chronologische Aufstellung von Daten über die Lebensbedingungen zwischen Mai 1945 bis Dezember 1947. Insgesamt ein verdienstvolles Stück Berliner Lokalgeschichte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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