Annotation von Waldtraud Lewin


 

Kishon, Ephraim: Alle Satiren
Jubiläumsausgabe.
Langen Müller, München 1999, 1122 S.

 

Jedem seine Gesamtausgabe. Bach und Mozart haben sie schon eingespielt, was eine bedeutend aufwendigere Sache war, als Kishons Satiren anläßlich seines 75. Geburtstages in einem Band zu versammeln. Komplett und nach Jahrgängen geordnet bis 1998. Prima. Ich liebe Kishon. Ich liebe das Kleine und Feine, das Gesalzene und Flotte. Nun habe ich es in einer Weise, in der die Quantität in eine neue Qualität umschlägt. Kishon auf sage und schreibe eintausendeinhundertzweiundzwanzig Seiten ist auf einmal nicht mehr klein und fein, sondern gigantisch und elephantös, gesalzen wie eine Heringstonne und so flott wie ein Tanker. Ich kann nicht mehr. Ich kann schon deshalb nicht, weil ich das Buch nicht halten kann - vom Mit-ins-Bett-Nehmen mal ganz zu schweigen. O grausamer Verlag! Wie schön wäre doch ein Schuber gewesen und in demselben, immer so zu Doppeljahrgängen gebündelt, die Satiren, so daß man sie in Ruhe herausziehen und genußvoll wieder oder neu lesen kann! Aber was in aller Welt soll man mit diesem Mammut anfangen? Ich muß ja mit zwei Händen zugreifen, wenn ich nur vom Deckblatt aufs Inhaltsverzeichnis umblättern will. Mit diesem Wälzer hat man Kishon einen Bärendienst erwiesen, katapultiert seine fröhlichen und bösen Petitessen in die Kategorie des Klassikers. Kein Satiriker kann immer auf der Höhe seiner Zeit sein. Das wird einem hier in diesem einzig der Chronologie verpflichteten Sammelband schmerzlich bewußt.

Der Meister hat, wie man im Klappentext liest, sein Werk höchstselbst handverlesen und die Stückchen ausgemerzt, die „nicht mehr aktuell oder deren Themen im Lauf der vierzig Jahre in Vergessenheit geraten sind”. Nanu? Was mag da wohl ausgeschieden sein? Politisch Anfechtbares? Anderwärts nichts Konkretes? Offenbar hält er sich denn doch für einen Klassiker, bereit zur „Ausgabe letzter Hand”? Ich wäre jetzt gespannt auf das Büchlein „Kishons Apokryphen. Nicht im Kanon aufgenommene Satiren. Erst nach dem Hinscheiden des Autors zu veröffentlichen”.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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