Rezension von Christel Berger


 

„Erfahrung Sowjetunion” im Leben und im schulischen Wirken deutscher Antifaschisten
Christa Uhlig: Rückkehr aus der Sowjetunion: Politische Erfahrungen und pädagogische Wirkungen. Emigranten und ehemalige Kriegsgefangene in der SBZ und früheren DDR.
Reihe: Bibliothek für Bildungsforschung
Deutscher Studienverlag, Weinheim 1998, 375 S.
     

Es sind mindestens drei Gründe, weshalb ich die vorliegende Arbeit besonders lobe und empfehle:

Der erste ist der konzeptionelle Ansatz. Die „Erfahrung Sowjetunion” vor allem der dorthin emigrierten deutschen Lehrer oder als Lehrer Tätigen in der Sowjetunion und nach ihrer Rückkehr in die SBZ/DDR zu untersuchen und dabei Emigranten und Kriegsgefangene in den Antifa-Lagern zusammen zu betrachten ist vernünftig, da ja jeweils Emigranten und ehemalige Wehrmachtsangehörige dann gemeinsam unter einem Auftrag - dem Aufbau eines neuen Bildungssystems - nach Deutschland geschickt wurden und hier agierten. Indem die Autorin beide Gruppen im Blickfeld hat, kann auch erstmals Größe, Art und Besonderheit des Einflusses und der Wirkung der jeweiligen Gruppe hinsichtlich der „Sowjetisierung” der neuen deutschen Bildungspolitik verglichen werden, kommen damit auch erstmals mögliche Differenzen ins Bild, denn es war ja erheblich, ob man die Sowjetunion aus der Lebenspraxis des Exils oder nur des Antifa-Lagers her kannte. Die Darstellung der jeweiligen lebensgeschichtlichen Erfahrung strukturiert die Untersuchung. Dabei wird noch einmal deutlich, wie einschneidend und auch für die Zeit nach 1945 in Deutschland bedeutungsvoll die stalinistischen Repressionen seitens der Emigranten waren. Verdienstvoll ist der Nachweis, daß die Erfahrung der Repressalien sowohl die (aus der Lebensangst begründete) Disziplinierung unter die Parteilinie zur Folge hatte, als auch Versuche und Vorhaben (beispielsweise durch Anton Ackermann), es bewußt anders machen zu wollen als die sowjetischen Genossen, (was freilich nicht lange geduldet wurde).

Der zweite Grund, zu loben gilt der Darstellungsweise. Im Unterschied zu vielen Arbeiten gerade über Exil und SBZ/DDR läßt sich die Autorin nicht verführen, ihrem Stoff mit einer vorgefaßten Meinung zu begegnen bzw. einem zeitgenössischen Trend zu folgen. Sie benennt jeweils prägnant und schlüssig die Hauptlinien der jeweiligen Politik gegenüber Emigranten, Kriegsgefangenen und danach in der SBZ und verweist zugleich aufgrund des vorgefundenen Materials immer auf Modifizierungen, teilweise auch gegenläufige Erscheinungen, und beläßt es somit nie bei einem „glatten Bild”. „Sowjetisierung” des Bildungssystems in der SBZ/DDR ist für die Autorin kein Schlagwort und keine flächendeckende Erscheinung. Sie beschränkt sich zum einen auf die Darstellung eines heute fast unbekannten Falls: die Einrichtung und schnelle Schließung der deutsch/russischen (Muster-)Schulen in Berlin Anfang der fünfziger Jahre und das Wirken einzelner Emigranten und ehemaliger Antifa-Leute in exponierten Funktionen. Und auch hier entdeckt man erstaunt Beispiele eigenverantwortlichen Arbeitens, das wiederum bei den hierarchischen staatlichen Strukturen nie lange währte.

Der dritte Grund ist der beeindruckende Dokumententeil - 270 Seiten! Es sind Materialien aus dem Bestand der Komintern bzw. dem Nachlaß wichtiger Repräsentanten: Briefe und Berichte unmittelbar aus den späten dreißiger und vierziger Jahren, des weiteren Erinnerungsberichte aus den sechziger und siebziger Jahren sowie Dokumente aus der SBZ und frühen DDR. Außerdem hat die Autorin während ihrer unmittelbaren Arbeit am Buch Interviews mit ehemaligen Kriegsgefangenen und Emigranten geführt. Wichtiges Material sind weiterhin 134 (!) Kurzbiographien von Sowjetemigranten, die auf irgendeine Weise als Lehrer gearbeitet haben. Bei manchem Dokument oder Lebenslauf verschlägt es einem die Sprache.

Die Reichhaltigkeit des Dokumententeils ergänzt die auf Hauptlinien konzentrierte Arbeit in schöner Weise. Wichtig dabei: Es ist nicht nur eine Fundgrube für die Bildungsforschung, sondern auch für andere Bereiche der Exil-, KPD- oder DDR-Forschung enthält sie „Knüller”, beispielsweise einen kritischen Bericht des Sprechers der deutschen Ärztegruppe in Moskau, Lothar Wolf, an Wilhelm Pieck „zur Intellektuellenpropaganda der KPD” aus dem Jahre 1937, sowie den Nachweis, daß es bereits Anfang 1948 in der „Berliner Zeitung” einen Artikel gab, in dem die „besonderen Härten des sowjetischen Exils” zumindest anklagen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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