Rezension von Wolfgang Buth


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Ein mörderisches Leben

 

Peter Niggl: Ich bin ein Untier
Die Geständnisse des Thomas Rung.
Mit einem Vorwort von Prof. Adolf Gallwitz.

Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1999, 256 S.

 

„Dieser Mensch ... ist kein Ungeheuer, das aus dem Nichts auftaucht und jetzt hinter Gittern lebt, sondern ein Produkt unserer Gesellschaft, so wie auch das Böse nichts ist, das wir isolieren, herausschneiden und einfach wegsperren können.” Das schreibt Prof. Adolf Gallwitz in seinem Vorwort zu diesem Buch über den Serienmörder Thomas Rung.

Der Autor Peter Niggl hat Rung mehrfach im Gefängnis besucht, sein Umfeld erkundet, in der Familiengeschichte recherchiert und das erschütternde Psychogramm eines Mannes verfaßt, dessen Weg zum Straftäter lehrbuchhaft zwangsläufig verlief.

Die „Karriere” des siebenfachen Mörders Thomas Rung nahm schon frühzeitig ihren Anfang. Und wie der Publizist Peter Niggl - er beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten mit der Kriminalitätsentwicklung und schrieb bisher Tod in Berlin. Kriminalfälle aus der Metropole 1945-1995 (gemeinsam mit Hari Winz) und Killer aus dem Katalog, ein Buch über Auftragsmorde in Deutschland - feststellt, weist sie Merkmale auf, die sich auch in Lebenswegen anderer Menschen wiederfinden, die von Verbrechen zu Verbrechen treiben. Thomas Rung, 1961 in Berlin-Spandau geboren, ist in schwierigen familiären Verhältnissen aufgewachsen. Der patriarchisch herrschende Vater war ein Trinker, die Mutter verließ ihn und die sieben Kinder wegen eines anderen Mannes ... Was mit Handtaschendiebstahl begann, endete bei Thomas Rung mit mehrfachem Mord. Der Mann, der auf den ersten Blick eher einem gemütlichen Bären gleicht, wird unter Alkohol zum reißenden Raubtier. „Er bemerkt, daß die Frau irgendwie ,daneben‘ ist. Sie macht einen verstörten Eindruck. Sein Entschluß ist unumstößlich. Als die Tür hinter ihm ins Schloß fällt, stürzt er sich von hinten auf das ahnungslose Opfer. Sofort umschlingt er mit seinen kräftigen Armen ihren Hals und nimmt sie in den Würgegriff. Mit ihren 156 Zentimetern Körpergröße und ihren 59 Kilogramm wäre sie sogar in jüngeren Jahren gegen den Koloß ohne jede Chance geblieben. Bevor ihr die Sinne schwinden, preßt sie nur noch ein ,Du Schwein!‘ über die Lippen.” So beginnt die Schilderung des ersten Mordes. Das Opfer: eine 77jährige Frau. Weitere sechs Morde werden folgen. Besonders gegenüber alten, wehrlosen Frauen fühlt er sich stark. Im Schutz der Dunkelheit nähert er sich seinen Opfern, vergewaltigt sie, würgt sie, raubt sie aus. Die Polizei ist machtlos, findet ihn nicht. Obwohl er in seinem bisherigen Leben schon zahlreiche Haftstrafen verbüßen mußte, wurde er erst im März 1996 auch für seine Morde angeklagt, nachdem er - inzwischen verheiratet - seinen Schwiegervater und die Freundin seiner Frau getötet hatte.

Es ist kein Krimi. Es ist die Schilderung des Lebens eines siebenfachen Mörders - eines mörderischen Lebens. Thomas Rung ist ein Mörder, dem heute nicht mehr zu helfen ist. Er ist aber auch ein Mensch, den die Gesellschaft am Beginn seiner kriminellen Karriere noch hätte verändern können. Es gibt keine Entschuldigung für seine Morde und kein Verzeihen für das Leid und die Qualen, die er über seine Opfer und deren Angehörige brachte.

Nach dem Lesen des Buches ist man schockiert und deprimiert. „Doch”, meint Prof. Gallwitz, „so wenig Hoffnung es für ihn gibt, so hoffnungsvoll sollte uns seine Geschichte stimmen. Die Hoffnung, endlich Konsequenzen aus dem Wissen über den Verlauf krimineller Karrieren und die Wirkungen begünstigender Umstände sowie dem Einfluß traumatischer Erlebnisse zu ziehen.”


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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