Rezension von Friedrich Schimmel


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„Ich sitze auf dem Bindestrich von Irisch-Amerika”

 

Frank McCourt: Ein rundherum tolles Land
Erinnerungen.
Deutsch von Rudolf Hermstein.

Luchterhand Literaturverlag, München 1999, 491 S.

 

1996 erschien das Buch Die Asche meiner Mutter, in dem der 1930 geborene Frank McCourt seine irischen Erinnerungen erzählt. Ein großer Lese-Erfolg, ein Riesenerfolg, weltweit. Nun kommt bereits eine aufwendige Verfilmung dieses Buches in die deutschen Kinos. Waren es in Die Asche meiner Mutter vor allem die Limerick-Erinnerungen McCourts, erzählt aus der Perspektive des Jungen, der alle Arten der irischen Armut durchlitten hatte, so erzählt Frank McCourt nun seine amerikanischen Erfahrungen und Erlebnisse. Das erste Buch endete mit der Ankunft in Amerika. Zu dem damals gerade Neunzehnjährigen sagte der Funkoffizier an Deck des Schiffes ein Sätzchen, das nicht nur den Schluß des Buches setzte, sondern zugleich die Aussicht auf das nächste war: „Ist das hier nicht ein rundherum tolles Land?”

Ist es, war es, wird es immer sein. Irland und Amerika, das sind zwei Welten, für McCourt ist das nie zu trennen, und so sitzt er regelrecht auf dem Bindestrich zwischen beiden. Doch was der junge Mann in Amerika erlebt, hat andere Dimensionen, scheint, mit dem Blick zurück auf das kleine und enge Limerick, die Wirklichkeit des Unmöglichen. Zuallererst studiert er dieses ganz andere Leben, eigentlich sollte es das Leben der Dichter sein, denn am zweiten Tag schon verirrt er sich in die Bibliothek der großen Stadt New York. Während er noch auf dem Schiff daran denkt, gleich zum Zahnarzt zu gehen, damit er unbeirrt dieses Lächeln lächeln kann, wovon er meint, daß es ihm Tür und Tor öffne, bleibt er im Alltag der Neunzehnjährige aus Limerick mit dem pickligen Gesicht, den ewig entzündeten Augen und den schlechten Zähnen. Geld muß verdient werden. Und das ist kein Problem, nur sind die Umstände zum Teil widrig. Lächeln ist dabei nicht so sehr gefragt. In den Hotels, in den Docks, in den billigen Pensionen, wo er sich Zimmer, Bett und Handtuch mit den Kumpels teilen muß. Das trifft auch auf die irischen Mädchen in New York und auf das Bier zu. Vieles ist aber hier wie in Limerick, denn anfangs lebt der junge Einwanderer im Ghetto unter seinesgleichen. Wagt er es, unterwegs einmal jemand anzusprechen, fühlt er sich gleich ertappt: „Höre ich da nicht einen irischen Akzent heraus?” Das ist die Ironie des Erzählens, des souveränen Erzählers. Was einst störte und möglichst durch Phantasie verdrängt wurde, bleibt zurück, wird erinnert, aufgeschrieben und dem Leser anvertraut. Nicht immer muß Frank den Mund halten, der Zähne und des Akzents wegen. Anfang der fünfziger Jahre, der Korea-Krieg bricht aus, wird er zur Armee eingezogen und kommt nach Bayern. Auch hier: Tristesse und Komik. Er führt Hunde aus, lernt auf der Schreibmaschine schreiben, registriert die Truppenstärke und den Lagerbestand von Kondomen. So reift er zum Irisch-Amerikaner. Was in Europa kaum denkbar gewesen wäre, Amerika macht's möglich. Als ehemaliger GI und ohne High-School-Abschluß kann er schließlich aufs College gehen. Im Frühjahr 1954 ist er „Vollzeitstudent” an der Universität, dennoch arbeitet er nebenbei in einer Hutfabrik. Viel Komik überall, da werden die Farben schlecht gemischt, erheitern komische Hüte auf den Köpfen eitler Damen.

Nach dem Studium wird McCourt Lehrer an einer Berufsschule. Lehrer bleibt er bis zu seiner Pensionierung, erst danach beginnt er alles, was er erlebt und geträumt hat, aufzuschreiben. Was lange ruht, wird gut - hier trifft es zu. Und die beiden bisherigen Bücher von Frank McCourt bestätigen es wieder einmal: Wer wirklich was erlebt hat, kann auch gut darüber schreiben.

Immer sind es die alten Bilder, die starken Eindrücke, auf die der Erzähler sich besinnt. Die ihn quälen, aber zugleich zum Erzählen drängen. Das irische Leid, das Elend der Eltern. Die kaputten Schuhe der Mutter sind sein erster Eindruck in Amerika, die alte Erinnerung an Irland. Oder der Vater, der kurz kommt, sagt, daß er sich das Trinken abgewöhnt hat, und prompt in den alten Trott zurücksinkt. Betrunken torkelt er schon vom Schiff herunter, der Weg der Begrüßung führt ganz unvermeidlich von Kneipe zu Kneipe.

Wie schon in Die Asche meiner Mutter wird auch hier durchweg derb-komisch, direkt und nuancenreich ironisch erzählt. Der Stoff ist oft dumpf, doch die Erzählung versteht es fast immer, sich davon zu lösen. In diesem rundherum tollen Land lernt der Leser nicht nur das Abenteuer Amerika kennen, hier schimmert immer Irland durch, immer auch wird man an das erste Buch von Frank McCourt erinnert. Fortgesetzte Lebensbeschreibung und innere Erinnerung, das ist ein feines Gewebe, gemischt aus vielen Figuren mit kleinen und überraschenden Geschichten, bestehend aus Traurigkeit und Witz, Ernst und Humor, Licht und Schatten. Zumeist schrullige Figuren begegneten dem Erzähler auf allen seinen Lebens-Erkundungen. Er sieht alles mit dem Blick eines Mannes, der nicht versinken will im Alltag der Ungenügsamkeiten. Mit einem Vergleich oder mit einer Pointe gelingt ihm immer der Sprung auf eine andere, eine heitere Ebene. Als Lehrer muß er eine starke Ausstrahlungskraft besessen haben, wahrscheinlich hat er in dieser Rolle bereits gespielt mit dem Erzählen, indem er der Welt ihre Faxen vormachte, die Wirklichkeit verwandelnd, heiter Abschied von ihr nahm. Zum Schluß kommt wieder die Erinnerung an die Mutter: „Wir aßen zu Mittag in einem Pub an der Straße nach Ballinacurra, und so wie wir da aßen und tranken und lachten, wäre keiner darauf gekommen, daß wir gerade unsere Mutter verstreut hatten, die einst eine große Tänzerin in der Wembley Hall gewesen war und bei allen bekannt dafür, wie sie ein gutes Lied sang, ach, wenn sie nur zu Atem käme.”

Frank McCourt hat es wunderbar verstanden, die „Asche seiner Mutter” wieder zu Atem, zu Leben zu bringen, und mit ihrer Geschichte die eigene Kindheit und Jugend in Irland und das Leben in Amerika verwoben. Das erzählte Leben eines Mannes, der sich all derer erinnert, die in seinem Leben eine Rolle gespielt haben.

Im Sterbejahr des Vaters wird die Asche der Mutter verstreut: „Es gab Tee und Sandwiches, und Phil holte eine Flasche Whisky hervor, um die Geschichten und Lieder in Gang zu bringen, denn etwas anderes gibt es nicht zu tun an dem Tag, an dem man seine Toten begräbt.”


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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