Rezension von Hans-Rainer John


 

Der Kriminalist vom Canal Grande
Donna Leon: Nobilità
Commissario Brunettis siebter Fall.
Roman.
Aus dem Amerikanischen von Monika Elwenspoek.
Diogenes Verlag, Zürich 1999, 304 S.
 

Serienhelden gibt's nicht nur im Fernsehen, auch die Literatur kennt den Protagonisten, der sich - einmal erfolgreich etabliert - in mehreren Büchern desselben Autors behauptet. Dieses Schicksal ereilt vorzüglich Kriminalkommissare oder Geheimdienstleute wie John Clark bei Tom Clancy, Arkadi Renko bei Martin Cruz Smith, Inspektor Jury bei Martha Grimes oder Kommissar Maigret bei Georges Simenon. Auch bei der italienisierten Amerikanerin Donna Leon (57) löst Kommissar Brunetti schon seinen siebten Fall, und der Leser hätte sicher nichts dagegen, wenn er sein Handwerk auch weiter zwischen prunkenden Palazzi und Canal Grande in der Lagunenstadt betriebe, üblen Subjekten über die Campos und Calli der Serenissima folgend.

Was auch immer dieser sympathische Kerl anpackt, in Venedig (wo sich die in New Jersey geborene Autorin seit 1981 niedergelassen hat) benutzt man auch dazu Gondeln, und atemlos wird die Jagd deshalb niemals. Brunetti ist zudem gründlich und bedächtig, ein kalkulierender Profi, kein zuschlagender Superheld. Der ständige Umgang mit Verbrechern hat seine Gefühle und Empfindungen noch nicht abgestumpft, seine Fälle gehen ihm immer noch sichtlich an die Nieren, sie beschäftigen ihn auch innerlich weit über den Achtstundentag hinaus. Deshalb fällt es ihm manchmal schwer, Beruf und Familie (er hat Frau und zwei Kinder, denen er sehr zugetan ist) unter einen Hut zu bringen, wenngleich er den harmonischen Background dringend braucht, um den Kopf für seine Arbeit frei zu haben. Er gehört nur zur mittleren Ebene (für seinen steinreichen adligen Stiefvater ist er ein kleiner Polizist) und hat natürlich einen bornierten, praxisunerfahrenen und mediengeilen Chef, der nach oben katzbuckelt, nach unten tritt, die Arbeit mehr hemmt als fördert und dauernd unterlaufen werden muß. Aber natürlich gibt es im Kommissariat auch die hübsche Vorzimmerdame, die Blumen liebt, ihre weitreichenden Beziehungen spielen läßt und dem Computer virtuos Geheimnisse zu entlocken vermag für denjenigen, der mit ihr auf so gutem Fuße steht wie Brunetti.

Überflüssig eigentlich, zu erwähnen, daß der Kommissar Venezianer ist, der seine Stadt liebt und sich Gedanken macht und sich grämt und ärgert über alles, was ihren Verfall beschleunigt. Bei seinen Recherchen fällt sein Blick auch auf Alltägliches. Still und beharrlich, mutig und warmherzig kämpft er für den Erhalt von Recht und Gerechtigkeit, obgleich er erkennt, daß die Moral schneller verfällt, als der Putz von den alten Palazzi bröckelt. Mit der Mafia hat er schon zu tun bekommen, mit dem italienischen Machtapparat, mit Frauenhandel und Gewaltvideos, mit Kunst und nackter Korruption, mit Kirchen und Krankenhäusern und was sich an Ungesetzlichem darin tut. Avanti, Brunetti, avanti, am Rialto vorbei, zwischen Dogenpalast und Basilika über den Markusplatz - das alles wird beiläufig erwähnt und ist doch so gegenwärtig, daß man Lust bekommt, wieder einmal hinzufahren.

Dabei ist es weder das einmalige Terrain, das Atmosphäre gebend geschildert wird, noch die Jagd nach den Tätern, die die Bücher Leons reich und interessant machen. Es sind vor allem die Leute, mit denen es der Kommissar zu tun bekommt, die Zeugen und Verdächtigen, die Hilfsbereiten und Kleinkriminellen, die Gewaltbereiten und die scheinbar unangreifbaren Vertreter einer verkrusteten, mitleidlosen Ordnung. Es ist dieser Kosmos unterschiedlicher Charaktere, lebendig und plastisch geschildert, farbig und widerspruchsreich erfaßt, es sind diese sensiblen Sozialporträts, die Leons stilistisch sorgfältig verfaßten Bücher lesenswert machen.

Worum geht es diesmal? La Nobiltà ist der Adel, und eine alte Adelsfamilie ist es, deren glänzende Außenhaut hier schichtweise abgezogen wird, bis Fäulnis und Verfall deutlich werden. Auf einem Grundstück am Fuß der Dolomiten wird beim Umpflügen die Leiche eines 21jährigen Mannes zutage gefördert. Ein Siegelring weist die Zugehörigkeit zum Adelshaus Lorenzoni in Venedig aus. Nun muß Brunetti ermitteln. Tatsächlich wurde vor zwei Jahren der Sohn des Conte unter mysteriösen Umständen entführt. Anfänglich gab es Lösegeldforderungen, später verstummten sie, der Sohn blieb verschollen. Der Skelettfund mit Einschußloch am Hinterkopf könnte der Schlußstrich unter dem Fall sein. Aber Brunetti ist mißtrauisch. Er fährt hin und her, spricht mit diesem und jenem. Auf einmal wird die fragwürdige Lebenswelt der Lorenzonis transparent, eine schräge Moral, die auch ihre Träger zersetzt und zerstört. Der Adel hat sich zur Wirtschaftsmacht gemausert und betreibt mit skrupelloser Grausamkeit nackte Geldwirtschaft. Dem Familienverhältnis wird der rührend-sentimentale Schleier abgerissen, würde Marx sagen, Anstand und Würde werden weggeschwemmt in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung. Am Ende hat Justizia nicht viel Arbeit mehr. Der Öffentlichkeit freilich werden die Geschehnisse so interpretiert, „daß sie an das Mitleid und jene gedankenlose Sentimentalität appellieren, die Brunetti an seinen Landsleuten so wenig schätzte”. Die Autorin handelt den Fall in literarischer Hochform ab und logisch und überzeugend bis zum Schluß.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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