Rezension von Sibille Tröml


 

Leben, Liebe, Lust sowie allerlei Lasten und Laster
Manfred Krug:
66 Gedichte, was soll das?
Bilder von Moritz Götze.
Econ-Verlag, München 1999, 160 S.
 

Jeder, der versucht, sich diesem Band rezensierend zu nähern, sieht sich möglicherweise damit konfrontiert, von Literaturwissenschaftlern und/bzw. Lyrikern belächelt zu werden. Belächelt, da er sich ernsthaft mit Texten auseinandersetzt, denen von vornherein der Ruf des Unernsten anhaften mag.

Manfred Krug alias Liebling Kreuzberg alias Kommissar Stöver und Gedichte ...? Da erwartet so mancher, der ihm schon seinen Bestseller Abgehauen (1996) nicht als eigenes „Mach-Werk” abnehmen wollte, in erster Linie nur bloßes Wortgeplänkel, geistreich zwar, aber eben respektlos, amüsant-unterhaltsam, und das wiederum schickt sich (heute) nicht (mehr) für in Deutschland verfaßte Gedichte. Verschiedenartigste Wortspielereien in Gedichtform, mal (scheinbar) lapidar, mal tiefsinniger, als es auf den ersten Blick scheinen mag - das gab und gibt es - wenn auch nicht mehr so unverbraucht frisch - in Österreich, das gab es in der Schweiz, und das gab es in Deutschland vor allem in den Jahren zwischen 1910 und 1924. Seither ist es eher (wieder) ernst in dem, was sich hierzulande („gute”) Literatur nennen darf, und erst einige der „Jungen” brachten in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts (das wiederum noch gar nicht so lange her ist, wie es klingt) den hier nur allzugern mit Geistlosigkeit verwechselten „Spaß” in die Lese-Bücher zurück. Aber sie alle sind eben das, was man landläufig Dichter oder Schriftsteller nennt, und die verstehen ja bekanntlich ihr Handwerk, wenn auch mal mehr, mal weniger gut.

Nun also Manfred Krug. Einer, der betont, daß das, was der Econ-Verlag unter dem Titel 66 Gedichte, was soll das? zusammengefaßt hat, keine Gedichte sind, und der im Klappentext mit den Worten zitiert wird: „Was es aber sind, weiß ich auch nicht. Wahrscheinlich kleine Blähbeulen im Kopf.” - Was sich bei Lyrikern, Poeten, Schriftstellern manchmal „Gelegenheitsgedichte” nennt und was dann unlektoriert im (Schubladen-)Nachlaß gefunden wird, der „gemeine Mann” Manfred Krug nennt es „Hirnblasen”, „Hirnstaub”, „alle naselang gesuchte Krümelworte”. Wo? Im letzten der hier versammelten „Blähbeulen im Kopf”, einem Gedicht (?) über Gedichte. Wie alle ist auch dieses ohne Titel - so als handele es sich um (mehr oder minder) schnell Hin- oder Aufgeschriebenes. Eingefallen bzw. laut oder leise erarbeitet (!) beim Kochen, beim Sitzen, Essen und Trinken mit Freunden oder allein, beim In-den-Tag-Kommen oder Aus-dem-Tag-Gleiten, beim Autofahren oder gar im Stau - überall, nur wohl höchstwahrscheinlich nicht an einem mit Thomas Mannschem Dichterfleiß täglich aufgesuchten Schreibtisch, dem das Bitte-nicht-stören-Ambiente anhaftet.

Mit dieser Annahme verbunden ist indes kein Qualitätsurteil - nur eine Vorstellung, die möglicherweise vor allem Klischee ist. Ein Klischee, das in den heiteren, gelegentlich gar „albern” wirkenden Gedichten seine Bestätigung sucht und findet und das in nicht wenigen Gedichten zur Politik und zum Menschen einem Manfred Krug gegen das Klischee begegnet. Dieser ist ernsthaft, nachdenklich und hinterfragend. Sprachlich verpackt er seine Gedanken, Stimmungen, Gefühle und Ansichten in eine eigenwillig anmutende, eigene Mischung aus kleinen „lyrikfähigen” und „lyrikbewährten” (Jedermann-)Wörtern und einem Vokabular, das mal dem modernen Alltag, mal der Umgangssprache sowie mal der Liebe und der (wilden) Lust am Reimen („kein Licht, kein Dicht, kein Abgeschwicht”) oder am Gegen-den-Strich-Kämmen (z. B. „Göthe”) entstammt. Überhaupt sind Liebe und Lust die großen (kaum explizit ausgesprochenen) Wörter in vielen Gedichten, die mal weich, ja sinnlich fast, mal schnoddrig, mal hintersinnig-amüsant sind.

Wer sich auf diese Gedichte einläßt, frei und ohne Vorbehalte oder Erwartungen, darf sich freuen. Freuen auf einen farbenreichen Lebens-Bilderbogen der Gedanken (z. B. an Jurek Becker, den „fehlendste[n] aller Menschen mir”) und Wörter. Daß dem die farbenfrohen Bilder des Hallenser Künstlers Moritz Götze so sehr „gerecht” werden, liegt an einer beide verbindenden Wesensart: der sich jenseits von „korrekten” Relationen und Proportionen bewegenden spielerischen „Einfachheit” und damit einem Stück Kindheit, welches glücklicherweise hinüber in die Erwachsenenwelt gerettet wurde.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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