Rezension von Horst Wagner


 

Mineralwasser- und Marathonerfahrungen
Joschka Fischer:
Mein langer Lauf zu mir selbst
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999, 175 S.

Man könnte die Titelzeile ja auch mißdeuten und meinen, es ginge um den langen Lauf des Joseph Fischer durch die Institutionen: von der Frankfurter Spontigruppe und Hausbesetzerszene über das hessische Umweltministerium und den Deutschen Bundestag an die Spitze des Auswärtigen Amtes. Aber das Titelfoto, das Fischer in grünem Laufdreß und blauer Turnhose zeigt, lenkt eindeutig auf den wahren Inhalt des bereits 1999 in drei Auflagen erschienenen, Anfang 2000 immerhin auf Platz 6 unter den Sachbüchern der „Spiegel”-Bestsellerliste stehenden Bändchens. Es geht natürlich um das sportliche Leben dieses Mannes, vorwiegend auf der Mittel- bis Marathonstrecke, um seinen unerbittlichen Entschluß zum gleichsam revolutionären Lebenswandel. Darum, wie es der grüne Spitzenpolitiker schaffte, sich von seinem stattlichen 112-Kilo-Gewicht im Sommer 1996 während nur eines Jahres auf sportlich-asketische 75 Kilo zu reduzieren und dabei einen langen Atem zu gewinnen.

Es ist ein Buch der Reflexionen (sich in sich selbst versenken, so Joschka Fischer, sei das Wichtigste in seinem „ureigenen Lauferlebnis”) und der pointierten Schilderungen. Freilich: Es fängt ein bißchen didaktisch an mit einer Betrachtung über Hunger und Überfluß in der heutigen Welt und einem kleinen ernährungsphysiologischen Aufklärungskurs. Manche Leser werden es auch bedauern, daß Fischer so zurückhaltend ist, was den Anlaß, den Ausgangspunkt für seinen mit eiserner Disziplin betriebenen Werte- und Körperwandel betrifft. Er (der Anlaß) wird mit „persönlicher Katastrophe” im August 1996 in der schönen Toskana nur diskret angedeutet.

Aber dann wird munter draufloserzählt über Erlebnisse und Erfolge auf dem relativ kurzen Weg von einer „platzenden Größe 28” zur „ungemein fördernden Konfektionsgröße 48”. Vom ersten, noch sehr belastenden 500-Meter-Lauf um den Bonner Bundestag herum, zum Rhein hinunter und wieder zum „langen Eugen” hinauf, die Kapuze des Sweatshirts weit über die Stirn gezogen, um sich gegen mögliche Frühaufsteher-Journalisten abzuschirmen. Von einer 16-Kilometer-Rheinstrecke, einer Rekordmarke nach sechs Monaten, und wie sich Fischer deshalb von der Party zum 70. Geburtstag Genschers befreien ließ. Vom Halbmarathon gemeinsam mit Sportreportern „einer bedeutenden Hamburger Illustrierten”, Mittwoch vor Ostern 1997, woraus ein Exklusivbeitrag für ein Fitneß-Sonderheft wurde. Natürlich werden auch notwendige „Begleiterscheinungen” geschildert: Verzicht auf das nächtliche Kneipenleben, täglicher Frühsport, Frühstück mit Cornflakes und Müsli, abends eine Stunde Gewichttraining, Abendessen mit viel Gemüse und wenig Fett. Wir lesen von der Absage einer Weinprobe, bei der „eine besonders köstliche Rotweinsorte” geboten wurde, „weil ich nach langen inneren Dialogen mit mir selbst feststellte, daß mir dieses Paradies nichts mehr bedeutete”.

Höhepunkt des Buches ist zweifellos die Schilderung von Fischers Teilnahme am Hamburger Marathonlauf vom 19. April 1998, bei dem er unter der Nummer 50 startete, denn es war vier Tage nach seinem 50. Geburtstag, den Fischer „mit reichlich Mineralwasser der edelsten Lagen und wunderbarsten Jahrgänge” sowie einem 20-Kilometer-Trainingslauf beging. Schließlich kommt der Wahlkampf 1998 ins Spiel, bei dem Fischer „nicht nur politisch, sondern auch läuferisch alle Bundesländer durcheilt” hat. Natürlich auch der Einmarsch ins Auswärtige Amt, der „zwar sehr viel in meinem Leben geändert (hat), aber nicht das Laufen”. Nur seien eben die Laufstrecken internationaler geworden. Washington zählt er auf, New York, Rio, Jerusalem, Dakar, London, Beirut, Rom und Lappland. Einige Fotos davon sind inzwischen bekannt. Im Buch zum Beispiel sieht man Fischer vorm Washingtoner Capitol rennen.

Die Bildbeilagen sind auch sonst eine Werbung für sportliche Lebensweise. Sie reichen vom unästhetischen, schwergewichtigen Fußballer und dem aus seiner Lederjacke platzenden freßlustigen Kneipengänger Fischer der Vor-Laufzeit über Trainingsstudien am Rheinufer und in toskanischer Hügellandschaft bis zum Marathonlauf an der Seite seines Freundes und Trainers Herbert Steffny, der obendrein im Nachwort nützliche Ratschläge für alle Fitneßläufer gibt, die dem Bundesaußenminister und Vizekanzler - zumindest auf sportlichem Gebiet - nachstreben wollen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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