Literaturstätten



 
Ein „neuer, alter” Heym

Eindrücke von einer Lesung in der Akademie der Künste
 

Lesung mit Stefan Heym. Die Warteschlange an der Abendkasse in der Akademie der Künste zieht sich in mehreren Windungen durch das Foyer. Der große Saal ist überfüllt. Auch Stehplätze sind begehrt. Auf der dunkel ausgeschlagenen Bühne sitzt an einem kleinen Tisch Stefan Heym und liest. Eine reichliche Stunde, mit nicht nachlassender Konzentration und ohne Ermüdung in der Stimme. Die Spuren der schweren Erkrankung vom vergangenen Jahr scheinen verflogen. Gelegentlich schaut er vom Blatt ins Publikum, eine paar sparsame Gesten mit der Hand, eine Nuancierung der Tonlage - der Zuhörer fühlt sich einbezogen in den Dialog zwischen den Personen der Romanhandlung.

Die Architekten - so der Titel - erzählen von Vertrauen und Verrat, Widerstand und Anpassung, es ist die Geschichte einer Freundschaft und Liebe und die Geschichte ihres Scheiterns. Vorangestellt ist dem Roman ein Prolog, aus dem Stefan Heym zu Beginn liest. Julian Goltz, deutscher Kommunist, emigriert in die Sowjetunion, gerät dort in die Mühlen Stalinistischer Säuberungsprozesse und wird 1940 nach Deutschland ausgeliefert. Auf dem Transport von Moskau nach Brest überdenkt er sein Leben, zerrissen von Glauben und Zweifeln an der „großen Sache”. Dann Zeitsprung ins Jahr 1956, in dem die Handlung angesiedelt ist. Sozialistische Aufbauphase in der DDR. Arnold Sundstrom baut als Chefarchitekt die „Straße des Weltfriedens”. Das Bild vom „neuen Menschen” sollte auch in der Architektur Ausdruck finden. Ein Traum, der an der Wirklichkeit scheitert, an ökonomischen und ideologischen Barrieren. Zu seinem Kollektiv stößt sein alter Freund Daniel, Bauhäusler und Kommunist wie er. Während Sundstrom nach dem Krieg aus sowjetischer Emigration zurückkehrt und schnell Karriere macht, verbrachte sein Freund durch Denunziation 16 Jahre im sibirischen Straflager. Er hat den Gulag überlebt, hat aus winzigsten Holzstückchen Häuser, Städte, Modelle einer Zukunft gebaut, an der er immer noch festhält. Sundstrom, inzwischen mit Julia, der Tochter des Emigrantenehepaars Goltz verheiratet, paßt sich den Gegebenheiten an. Wieder!

Unwillkürlich mußte ich während der Lesung an Brigitte Reimanns Franziska Linkerhand denken, an die bohrenden Fragen der jungen, unbequemen Architektin Franziska nach der Symbiose von modernem und ökonomischem Bauen, nach dem Bild der neuen Städte, die dem Menschen Geborgenheit geben, ein menschliches Zusammenleben ermöglichen. Bei Stefan Heym, Jahrgang 1913, und Brigitte Reimann, Jahrgang 1933, mit unterschiedlichen Biographien und Prägungen, wird die sozialistische Architektur zur Metapher, gesellschaftliche Konzepte kritisch an der Realität zu messen. Der Konflikt bei Heym verschärft sich durch die aktuelle Auseinandersetzung in der DDR mit Stalins Verbrechen, von denen seine Romanfiguren unmittelbar betroffen sind. Es wird ein bitterer Prozeß der Wahrheitsfindung.

Geschrieben hat Heym The Architects in den Jahren von 1963 bis 1965. Zunächst in Englisch, wie damals alle seine Bücher. Peter Hutchinson, Heyms englischer Biograph, berichtete interessante Details aus der Entstehungsgeschichte, so von gründlichen Recherchen, die der literarischen Arbeit vorausgingen. In Heyms Archiv fanden sich ein Titelverzeichnis von Büchern zur Architektur (11 Buchausleihen waren allein im August 1963 zu vermelden) und eine Liste mit den Namen der führenden Architekten der DDR, einschließlich ihrer Telefonnummern. Erhalten auch mehrseitige Notizen und Exzerpte zu Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU. Heym bot den Roman zunächst seinem englischen Verleger an. Der lehnte ab, die Geschichte sei zu schwarzweiß gezeichnet, die Spannung fehle. Eine Veröffentlichung in Deutschland hätte politischen Zündstoff bedeutet, denn die Auseinandersetzung mit dem Stalinismus geschah nur halbherzig. Dem „Tauwetter” folgte bald eine neue „Eiszeit”. Zudem waren die Querelen um den Tag X, später als 5 Tage im Juni erschienen, noch nicht ausgestanden. The Architects blieben in der Schublade. Heym hat den Roman jetzt übersetzt. Er wird im Herbst erscheinen.

Warum wir ihn heute lesen sollten? fragte Peter Hutchinson. In seiner Antwort sprach er von einer beeindruckenden Studie über die korrumpierende Macht in einer Diktatur. Die Julia, gleichfalls Architektin, sei die am besten gestaltete Frauenfigur bei Heym, und zudem sei der Roman glänzend geschrieben. Gründe genug, uns auf den „neuen, alten” Heym zu freuen.

P.S.: Nach der Lesung ist noch Gelegenheit für eine Signierstunde. Wieder formiert sich eine lange Schlange im Foyer. Viele der Wartenden haben dicke Stapel Bücher unterm Arm. Die Kreuzfahrer von heute sind dabei, Der König David Bericht, Lassalle, Collin. Pargfrider ... Die meisten Bücher sehen aus, als ob sie durch viele Hände gegangen sind. Stefan Heym lächelt und signiert.
 

Gudrun Schmidt


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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