Künstlerinnen in Berlin


 

Künstlerinnen in Berlin
 

Das zwanzigste Jahrhundert in Berlin hat eine Vielzahl von bedeutenden und interessanten Künstlerinnen hervorgebracht, die das kulturelle Leben der Stadt und ihren Ruf als Kunstmetropole in beträchtlichem Maße mitgeprägt haben: Schriftstellerinnen und Theaterfrauen, Sängerinnen, Schauspielerinnen, Tänzerinnen, bildende Künstlerinnen und Publizistinnen. Zweifellos war die Zeit der Weimarer Republik, die „Goldenen Zwanziger”, ein Höhepunkt avantgardistischer Kunst und Kultur. Aber auch die Nachkriegsjahre in Berlin, am Ende des Zweiten Weltkriegs, waren eine solche Zeit, in der vieles möglich schien und Berliner Künstlerinnen eine enorme Rolle spielten im Kulturpanorama der brodelnden Stadt. Neben denen, die Weltgeltung erlangen sollten und den Namen der deutschen Kultur im Ausland bis heute repräsentieren - wie Else Lasker-Schüler, Nelly Sachs und Anna Seghers, wie Marlene Dietrich oder Helene Weigel -, sei an solche erinnert, die heute zu Unrecht vergessen sind - wie Ilse Langner oder Gertrud Kolmar, wie Christa Winsloe, Charlotte E. Pauly oder Susanne Kerckhoff.

 

Susanne Kerckhoff (1918-1950)

Die Lyrikerin und Publizistin Susanne Kerckhoff gehörte in den Jahren unmittelbar nach Kriegsende zu den begabtesten und hoffnungsvollsten jungen deutschen Schriftstellerinnen. In der kurzen Zeit bis zu ihrem Freitod im März 1950 veröffentlichte sie vier Bücher und zahlreiche kunstkritische, kulturpolitische Artikel, ein neuer Lyrikband war im Mitteldeutschen Verlag Halle bereits in Vorbereitung. Nach ihrem Tod geriet sie - deutlich erkennbar aus politischen Gründen - in Vergessenheit, kam in keinem Schriftstellerlexikon mehr vor und wurde erst in den neunziger Jahren von der Literaturgeschichtsschreibung wiederentdeckt, so in dem Buch Unterm Notdach. Nachkriegsliteratur in Berlin 1945-1949, u.a. auch in dem Lexikon Schriftstellerinnen in Berlin.

Als Susanne Kerckhoff am 5. Februar 1918 in Berlin geboren wurde, war ihre Mutter, eine bekannte Cembalistin, noch mit dem Literaturhistoriker und Schriftsteller Walther Harich verheiratet. Das Mädchen wuchs also in einer Künstlerfamilie im Berliner Westen auf. Sehr früh, noch als Gymnasiastin, begann sie Gedichte zu schreiben und in Zeitschriften zu veröffentlichen. So bekam sie als Neunzehnjährige einen Lyrikpreis der Zeitschrift „Die Dame”. Der spätere Philosoph Wolfgang Harich wurde, durch die zweite Ehe des Vaters, ihr Halbbruder, mit dem sie neben tiefer persönlicher Zuneigung auch die antifaschistische politische Gesinnung verband.

1937 heiratete sie den Berliner Buchhändler Hermann Kerckhoff und hatte mit ihm drei Kinder. Einige während des Krieges veröffentlichte Bücher, eher sentimentale Mädchen- und Unterhaltungsromane, spielten für sie bereits 1945 keine Rolle mehr, als sie sich gemeinsam mit ihrem Mann der wiedergegründeten SPD anschloß und sich den Alliierten als Dolmetscherin in der britischen Besatzungszone zur Verfügung stellte. Sie wollte sich engagieren und ihrer Überzeugung von einer dringend gebotenen geistigen Erneuerung Deutschlands Ausdruck geben. Doch schon bald bemerkte sie, daß sich dies in den Westzonen nicht verwirklichen ließ. So trennte sich Susanne Kerckhoff von ihrem Mann und ging in die SBZ nach Ostberlin - was allerdings auch die Trennung von ihren Kindern nach sich zog, ein Umstand, mit dem sie nicht fertig werden konnte, als das Scheidungsgericht die Kinder endgültig dem Vater zusprach, was stark zu ihrer zunehmenden Verzweiflung beitrug. Dennoch, die Autorin mobilisierte alle ihre Kraft für die Neugestaltung eines Nachkriegsdeutschlands, wie sie es sich erträumte. In den wenigen ersten Jahren nach Kriegsende spielte sie im literarischen Feld Berlins als politische Stimme eine beträchtliche Rolle. 1947 wurde sie Mitglied der SED; sie schrieb zunächst für die Zeitschrift „Ulenspiegel” und war ab 1948 Feuilletonchefin der „Berliner Zeitung”.

In ihrer Rede auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongreß im Oktober 1947 in Berlin plädierte sie dafür, daß sich ein Dichter einschalten müsse in den zeitgeschichtlichen Diskurs, um seine Verantwortung wahrzunehmen: „Sonst ist das Liebeslied und das, was er über Blumen schreibt, oder alles, was er schreibt, Lüge. Wenn die Menschen den Kontakt verlieren selbst mit dem politischen Leben, dann müssen sie das nachher furchtbar bezahlen. Und gerade der Schriftsteller darf diesen Kontakt mit dem politischen Leben nicht verlieren.” Mit diesem Zurückweisen der Entschuldigungen und Gründe vieler Autoren der inneren Emigration klagt sie auch ihr eigenes öffentliches Schweigen während des Nationalsozialismus an: „Und ich glaube, wir sind uns doch eigentlich alle im wesentlichen darüber klar, wie wir leiden darunter, daß wir nicht das Wort gefunden haben, daß wir nicht illegal gekämpft haben. (...) Und diese Scham, die so furchtbar ist und uns zu einer Verzweiflung führt, die sagt uns, daß wir heute auf jeden Fall wachsam sein müssen, eine Art Widerstandsbewegung - nicht nur über die Widerstandsbewegung zu schreiben, auf die wir stolz sind, sondern auch selbst eine Art Widerstandsbewegung sein gegen alles Unrecht und furchtbar darauf aufpassen, daß uns das nicht wieder passiert, daß wir uns so schämen müssen.” Und sie bezog Frauen ausdrücklich ein in ihren Schuldbegriff.

In ihrem Buch Berliner Briefe (1948), in der Form fiktiver Briefe nach Paris an einen vor den Nazis emigrierten jüdischen Jugendfreund geschrieben, formuliert sie offen und akzentuiert ihre Ansichten über den geistig-moralischen Zustand der Deutschen im Nachkrieg. Darin beklagt sie das allgemeine Fehlen der Bereitschaft der Deutschen zu einem tiefen Schuldeingeständnis darüber, was Deutschland den anderen Völkern angetan hat - die Unfähigkeit zur Trauer - und drückt ihr Unbehagen auch an leitenden Genossen ihrer neuen Partei aus, die bereits wieder eine Elite bilden wollten. „Es hätte nach dem Zusammenbruch eine radikale Abrechnung stattfinden müssen! (...) Dann hätte ein heilsames Erschrecken nach gelöschtem Rachedurst eine Demokratie gesicherter Menschenrechte schaffen müssen.” Schon in ihrem Roman Die verlorenen Stürme (Berlin 1947), in dem sie autobiographisch intendiert ihre eigene Jugendentwicklung aufarbeitet, zeigt sie die Hauptfigur Marete tief beeinflußt von Lessings Credo über dem Tor ihres Humanistischen Lyzeums: „Es eifre jeder seiner unbestochnen, von Vorurteilen freien Liebe nach!”

Susanne Kerckhoff gehörte zu jenen Schriftstellerinnen und Publizistinnen, die den kurzen Moment der Nachkriegszeit für sich zu nutzen verstanden, die aus dem verlorenen Krieg ein neues weibliches Selbstbewußtsein ableiteten und die Rolle, die sie in der Gesellschaft spielen wollten, nicht mehr über den Mann definierten. Zu diesem Selbstbewußtsein gehörte auch die politische Entscheidung und die Wahl, selbst eine politische Meinung öffentlich zu vertreten. In ihren Büchern und Artikeln vertrat sie die Position, daß der Wert einer künstlerischen Äußerung die originäre Leistung an sich darstelle und nicht ein wie immer gearteter politischer Bonus. So artikulierte sie in dem in der Presse geführten Streit um das Buch Goethe in Dachau des niederländischen Autors und KZ-Häftlings Nico Rost die Meinung, daß ein Mensch nicht außerhalb aller Kritik stehen könne, allein weil er Kommunist sei. So verteidigte sie die Lyrik von Annemarie Bostroem, indem sie männlichen Literaturkritikern vehement widersprach, die deren Terzinen des Herzens mit dem Vorwurf des „allzu Privaten” diffamieren wollten, und die Liebeslyrik als legitimen künstlerischen Ausdruck der Verbindung von Persönlichstem und Öffentlich-Gesellschaftlichem anerkannte.

In ihren eigenen Gedichten machte sie eine Entwicklung durch, die sie nach dem ersten Nachkriegsband, Das innere Antlitz (Berlin 1946), hin zu stärker politischer Lyrik führte - Menschliches Brevier (Berlin 1948). Dabei (und auch bei zahlreichen vordergründig tagespolitischen Gedichten, die auf den Kulturseiten der Zeitung gedruckt wurden) kollidierte ihr Wunsch, mit ihrer Literatur der politischen Richtung, die sie unterstützte, nützlich zu sein, zunehmend mit dem eigenen Kunstanspruch. So geriet Susanne Kerckhoff in Widersprüche, die sie nicht lösen konnte, indem sie einerseits als Dichterin einen politischen Auftrag annehmen wollte, andererseits in der Verteidigung der weiblichen Subjektivität ihre Selbstverwirklichung als Frau zu betreiben versuchte. Schließlich ließ sie sich doch auch wieder instrumentalisieren und zerbrach nicht zuletzt am nichtbewältigten Konflikt in einer Liebesgeschichte. Sie hatte sich als Dichterin nicht zu Ende entwickeln können. In ihren letzten Lebensmonaten allerdings entstanden wieder sehr schöne Gedichte in einem ganz individuellen Ton, Texte, in denen sie den Verlust ihrer Kinder und die unlebbare Liebe besingt, volksliedhafte Verse mit einer tiefen Naturbeziehung, die u.a. von dem Komponisten Tilo Medek vertont wurden. In ihrer persönlich verzweifelten Situation zeigt sie sich ganz als liebende Frau, sehr sensibel, dunkel, voller Trauer. Diese Gedichte, die kurz nach ihrem Tod in dem Band Zeit, die uns liebt (Halle/Saale 1950) zusammen mit Kurzgeschichten der Autorin erschienen sind, bezeugen eine schriftstellerische Entwicklung, die ihren Platz in der Geschichte der Literatur des 20. Jahrhunderts wert ist.
 

Susanne Kerckhoff

Nächtliche Fahrt

Schreiten die Wolken, jagen die Kiefern dahin,
stürzt mir das Jahr, daß ich näher den Toten bin.

Will ich zu dir, weiß, du bleibst immer mir nicht,
wollt' ich, mein Herz faßte in Stein dein Gesicht,

hielt' deine Hand, hielt' deine Augen so warm,
wie jetzt der Mond nimmt diesen Wald in den Arm.

Fliehender Wald, zittern die Wurzeln im Grund.
Kann nichts mehr sehn, fließt es mir salzig zum Mund.

Klage der raubenden Zeit! Raubt mir ja beinah' den Sinn,
weil ich, vergehend an ihr, tief im Lebendigen bin.

Monika Melchert


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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