Rezension von Hans Aschenbrenner



„Wunderliches Tagebuch pur aus Bildern”

Robert Michel: 3ste Blicke
Zehn Jahre Wegelagerer im Freizeitpark.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 1999, 96 S.


„Die Gegenwart ist die Vergangenheit der Zukunft” - diesen Spruch hat Robert Michel seinem Fotobuch vorangestellt. Er hat sich darin vorgenommen, den noch gut bekannten Politikerausspruch, Deutschland sei ein großer Freizeitpark, auf satirische Weise beim Wort zu nehmen. Dazu wird ein Resümee der neunziger Jahre versprochen. Zunächst einmal fällt auf, daß einige der auf den ersten Seiten des Bandes veröffentlichten Fotos früheren Datums sind (1985, 1987, Sommer 88, 89, 90), noch aus DDR-Zeiten stammen. Sicher kein Zufall, aber ein Schelm muß wohl sein, wer an dieser Stelle den „Freizeitpark”-Begriff mitdenkt, auch wenn das, betrachtet man die Bilder, nicht einmal so abwegig sein mag. Auf ihnen jedenfalls wurden damaliges Gekrampfe, auch Leere und Sehnsüchte, DDR-Endzeit ebenso wie die jähe Aufbruchstimmung festgehalten, wie sie viele Menschen regelrecht befallen hatte.

Was Robert Michel, der sich selbst als Straßenfotograf bezeichnet, im Anschluß an besagte Fotos im Bild anbietet, sind ziemlich skurrile und doppelbödige Seiten des Lebenswandels, Momente der sich einschneidend verändernden Lebensverhältnisse im Wendejahrzehnt. Natürlich ist es Sache eines jeden Betrachters, sich seinen eigenen Reim darauf zu machen. Was im Bild erscheint, hat, wenn man es hinterfragt, schon etwas zu tun mit Vereinigungseuphorie und -ernüchterung, mit Obrigkeitsanbetung und anderen Heilserwartungen, mit Abwicklung, Arbeitsverlust und Protestversuchen, mit Ver- und Entwurzelungen, mit Einsamkeit, unerbittlicher Alltagshast und Nostalgien. Auffällig ist der spielerische Umgang des Autors mit der Zahl drei; für ihn sind dabei aller guten Dinge drei oder auch 3st. Auf der Mehrzahl der Fotos hat er drei Personen bzw. auch drei symbolträchtige, irgendwie zusammengehörige Dinge festgehalten, es aber vermieden, daß das „Schema” insgesamt zu vordergründig geraten ist. Die Fotos belegen, daß Robert Michel ein genauer, kritischer Beobachter auch von sogenanntem Randgeschehen ist. Um so mehr hätte bei einigen Fotos eine zeitliche Angabe und eine kurze, erklärende Notiz verständniserleichternd wirken können. Von diesen Anmerkungen gibt es insgesamt zu wenig, auch wenn berücksichtigt wird, daß eine Reihe Fotos für sich sprechen und keines Textes bedürfen. Belassen wir es also dabei, daß es sich bei der Publikation, wie auf dem Rücktitel noch einmal bekräftigt wird, um „ein wunderliches Tagebuch pur aus Bildern”, um „eine KameraSchußFahrt auf der LebensGeisterBahn durch die Kurven und Kehren der 90er Jahre”, um „Geschichte zu Lebzeiten. Lektüre für Lesemüde” handelt.

3ste Blicke ist das 3. Bildgeschichtenbuch aus den 90er Jahren von Robert Michel. Neben Ausstellungen und den Fotobüchern FeuerWasserLand. DDR, das letzte Jahr. Ein Heimatalbum (1990) und Die Beziehungskiste. Ein Autobuch für Menschennarren (1995) lieferte er auch fotografische Beiträge zu anderen Büchern, für Poster, Postkarten sowie für Zeitungen und Zeitschriften.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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