Rezension von Fritz Langner


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Der Euro - ökonomische Säule der Europäischen Union!?

 

Sylvia-Yvonne Kaufmann: Die Euro-Falle
Plädoyer für ein soziales Europa.

Karl Dietz Verlag Berlin, Berlin 1999, 207 S.

 

Der Buchmarkt bietet gegenwärtig zum Thema „Euro” eine Vielzahl von Publikationen. Das ist ein Zeichen dafür, daß die neue Währung im politischen und ökonomischen Denken zunehmend einen wichtigen Platz einnimmt. Zwei Gründe sprechen vor allem dafür: Zum einen wird der zeitliche Druck auf die Unternehmen, sich auf den praktischen Umgang mit dem Euro einzustellen und sich deshalb intensiv damit zu befassen, immer stärker, zum anderen rückt die Veränderung der wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, die für Millionen Bürger mit der Einführung des Euro verbunden ist, immer mehr in den Blickpunkt.

Sylvia-Yvonne Kaufmann widmet sich mit Die Euro-Falle diesem zweiten Aspekt. Es ist schon eine gewichtige Behauptung der Autorin, von einer Euro-Falle zu sprechen. Ein vereinigtes Europa ist ein natürlicher Wunsch der Millionen Menschen unseres Erdteils, es ist ein Garant für friedliches Zusammenleben der vereinigten Völker und für eine stabile ökonomische Entwicklung. Die Idee vom vereinigten Europa wurde nicht erst nach den beiden verheerenden Weltkriegen in diesem Jahrhundert geboren. Die Autorin erinnert, daß bereits Victor Hugo, August Bebel, Lenin, später Winston Churchill einen mehr oder weniger lockeren föderativen Staatenbund im Sinn hatten. Heute, um die Jahrtausendwende, ist die Europäische Union zur Realität geworden, zu der als ökonomische Säule eine einheitliche europäische Währung gehört, der Euro. Aber warum kann denn der Euro dann zu einer Falle werden, die zuschnappen kann, wenn man sorglos, unwissend hineintappt?

Das Anliegen der Verfasserin besteht darin, ausgehend von dem grandiosen gesellschaftlichen Fortschritt, den die Europäische Union zweifelsfrei darstellt, in sehr kritischer Weise auf bis heute noch offene ökonomische und soziale Fragen aufmerksam zu machen, die im Interesse aller Mitgliedsländer und ihrer Bürger eine positive Antwort fordern. Und zwar bevor das Gerüst des europäischen Hauses mit dem Euro als alleinige einheitliche Währung vollendet ist. Denn ein Zurück aus dem Euro kann und wird es nicht geben. Es geht dabei um eine ausgewogene ökonomische und soziale Gestaltung der Europäischen Union und aller ihrer Mitgliedsländer unter Berücksichtigung des noch recht unterschiedlichen Produktivitätsniveaus und der sozialen Lebensverhältnisse der Bürger. Unternehmer wie Arbeitnehmer sollen gleichermaßen ihre Chancen wahrnehmen können. Eine äußerst schwierige Aufgabe, die sich Sylvia-Yvonne Kaufmann gestellt hat.

Sie wählt die wohl einzig plausible Herangehensweise, nämlich die akribische Darstellung des Werdegangs der Europäischen Union von den Anfängen bis heute. Der Leser erfährt hier viele Details dieses Prozesses, die aus den Veröffentlichungen der Medien nur zum Teil zu entnehmen waren. Gerade dadurch gelingt es ihr sehr gut, die verschiedenen, oft einander widersprechenden Interessen von Politikern, Wirtschaftsexperten, Unternehmen, von Parteien in bezug auf die Europäische Union und den Euro deutlich widerzuspiegeln. Interessant ist, wie sie aufzeigt, in welchem Maße die Bürger der EU-Mitgliedsländer in den Entscheidungsprozeß zur Wirtschafts- und Währungsunion einbezogen wurden. So wurden in der Schweiz (1992) und in Norwegen (1994) Volksentscheide zur Mitgliedschaft ihrer Länder in der Europäischen Union durchgeführt, die mit einer Ablehnung endeten. In Frankreich, Irland und Dänemark fanden Referenden über die Teilnahme dieser Länder an der Wirtschafts- und Währungsunion statt. Sylvia-Yvonne Kaufmann liegt viel daran, zu bemerken, daß „eine sachliche und ausgewogene Information der Bevölkerung über die Vor- und Nachteile einer Währungsunion ... (in den EU-Ländern) bis heute nicht” stattfand. Erst 1997 begann in Deutschland eine Diskussion über die Maastrichter Wirtschafts- und Währungsunion.

Ihre Hauptkritik drückt die Autorin wie folgt aus: „Eine Geldunion ohne gemeinsame Wirtschafts-, Steuer-, Finanz- und Sozialpolitik der daran beteiligten EU-Mitgliedsstaaten ist ein abenteuerliches Wagnis mit mehr als ungewissem Ausgang für die Menschen.” Sie verweist zur Begründung ihrer Auffassung auf die noch recht unterschiedliche ökonomische und soziale Ausgangsposition der einzelnen EU-Mitgliedsländer. Der globale Steuerungsmechanismus, der bei Vollendung der Währungsunion einsetzt, könne hier nur begrenzt korrigierend eingreifen. So ist die zentral gesteuerte Geldpolitik der Europäischen Union nicht in der Lage, durch eine Veränderung des für alle EU-Länder einheitlichen und verbindlichen Leitzinses den Konjunkturverlauf positiv zu beeinflussen, wenn sich einzelne Länder in verschiedenen Phasen des Konjunkturzyklus befinden. Und dies ist tatsächlich so, wenn man den Konjunkturverlauf z. B. in den Niederlanden und in Irland betrachtet. Dazu kommt, daß der Wechselkurs zwischen diesen Ländern unwiederbringlich festgelegt ist und die Wechselkurspolitik als Steuerungsinstrument nicht mehr existiert. Auswirkungen auf den sozialen Bereich sind damit vorprogrammiert. Das heißt, die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet, nicht der Sozial- und Beschäftigungspolitik.

Die Schlußfolgerung von Sylvia-Yvonne Kaufmann daraus ist folgerichtig: Gelingt es nicht, vor der Vollendung der europäischen Währungsunion entscheidende Eckpunkte für ein europäisches Sozialsystem zu setzen, können sozialpolitische Entscheidungen kaum noch durchgesetzt werden. Diese werden der Wirkung der Gesetze des freien Marktes und der Geldwertstabilität ausgesetzt. Der Konkurrenzdruck der europaweit agierenden Unternehmen werde bestimmen, wie sich Beschäftigung und Tarife entwickeln. Die Gefahr zunehmender Arbeitslosigkeit und Lohnsenkungen liege auf der Hand.

Daran knüpft die Autorin die Forderung, daß die Europäische Gemeinschaft „eine klare vertragliche Orientierung und Kompetenz erhalten (muß), soziale und Beschäftigungsfragen durch regulierende Eingriffe in den Marktmechanismus zu steuern bzw. zu lösen”, ... und die „Sozialunion zu einem konstitutiven Element des gesamten Integrationsprozesses wird”. Ansonsten schnappt die Euro-Falle zu.

Als Anhang hat die Autorin eine sehr ausführliche Zeittafel, beginnend 1919, mit den wichtigsten Ereignissen und Aktivitäten zum vereinigten Europa beigefügt, dazu das Europawahlprogramm der Partei des Demokratischen Sozialismus, deren Stellvertretende Bundesvorsitzende sie ist, sowie ein Personen- und Sachregister.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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