Rezension von Gerhard Keiderling



Vielfalt stadthistorischer Ereignisse, Kunstwerke und Persönlichkeiten

Jahrbuch Stiftung Stadtmuseum Berlin, Band II 1996
Hrsg. vom Generaldirektor des Stadtmuseums Reiner Güntzer.
Gebr. Mann Verlag, Berlin 1998, 421 S.

Jahrbuch Stiftung Stadtmuseum Berlin, Band III 1997
Hrsg. vom Generaldirektor des Stadtmuseums Reiner Güntzer.
Henschel Verlag, Berlin 1999, 457 S.


Im Zuge der Neuorganisation des über vierzig Jahre getrennt gewesenen Berliner Museumswesens entstand am 23. Juni 1995 durch Beschlüsse von Senat und Abgeordnetenhaus von Berlin die Stiftung Stadtmuseum Berlin. Mit der Funktion eines Landesmuseums für Kultur und Geschichte Berlins betraut, vereinigt die Stiftung nicht nur die beiden großen stadtgeschichtlichen Museen - das Märkische Museum und das Berlin-Museum mit ihren bisherigen Abteilungen und Dependancen -, sondern gewährt auch zahlreichen kleinen Spezialmuseen und Sammlungen- wie der Domäne Dahlem, dem Sport- und Schulmuseum, dem Grünauer Wassersportmuseum oder dem Museumsdorf Düppel - eine Heimstätte.

Einem guten Brauch folgend, begann die Stiftung schon im Gründungsjahr mit der Herausgabe eines Jahrbuchs in bewährter Weise. Im Hauptteil stellen Mitarbeiter die Sammlungen vor und präsentieren neue Forschungsergebnisse. Sodann folgen die jeweiligen Jahresberichte der fünf Hauptabteilungen der Stiftung Stadtmuseum mit den insgesamt 22 Abteilungen, ferner die Berichte der Förderinstitionen, Vereine und Stiftungen, diverse Eröffnungs- und Ehrungsreden sowie eine Chronik der Aktivitäten.

Annalen zeichnen sich durch die Mannigfaltigkeit der Autoren und der Beiträge aus. Wenn im ersten Band noch die Vorstellung der Stiftung Stadtmuseum im Vordergrund stand, werden die beiden hier angezeigten Jahrbücher schon von der Vielfalt der stadthistorischen Ereignisse, Kunstwerke und Persönlichkeiten geprägt. Eher zufällig, doch wünschenswert, ist eine gewisse Schwerpunktsetzung feststellbar. So werden im zweiten Band aus den Sammlungen von K. Brehm die Sepulkralplastik in der Nikolaikirche, von E. Kirsch die Irdenware der Renaissance und von S. Peibst das Fayence-Tafelgeschirr für Elisabeth Sophie von Brandenburg-Preußen, der Gemahlin des Herzogs von Sachsen-Meiningen-Hildburghausen, vorgestellt. Ein Beitrag von Ch. Waidenschlager widmet sich den neuerworbenen Wandteppichen aus der Berliner Manufaktur von Charles Vigne, ein anderer von D. Bartmann dem wiederentdeckten Gemäldezyklus von Bernhard Rode aus dem früheren Palais Sacken. Aus museumsgeschichtlicher Sicht hervorhebenswert sind die Beiträge zum Märkischen Provinzial-Museum von 1865 (K. Michel), zu Ludwig Armbruster (I.Jung-Hoffmann), dem Direktor des Dahlemer Instituts für Bienenkunde von 1923 bis 1934, zu Wilhelm Julius Foerster (M. Weinland), dem Direktor der Berliner Sternwarte im vorigen Jahrhundert, sowie zu Gedenkzimmern im Märkischen Museum (J. Kuhn) und zur gartendenkmalpflegerischen Gestaltung des Köllnischen Parks rings um das Märkische Museum (K. Lesser).

Im dritten Band stechen hervor die Arbeiten von A. Pyritz über die Sammlung Schmiedeeisen im Stadtmuseum, von E. Kirsch über schmiedeeiserne Grabkreuze aus Brandenburg und von H. Lange über den Berliner Zinngießer, der den Sarg Friedrichs des Großen schuf. Hier fügt sich auch eine grundlegende Arbeit „Zur Geschichte der Berliner Goldschmiedekunst” von Walter Stengel ein, die wohl schon Ende der 20er Jahre begonnen wurde, aber jetzt erstmals publiziert wird.

Walter Stengel (1882-1960) stand als Direktor von 1925 bis 1952 dem Märkischen Museum vor. Sein langjähriges Wirken würdigt Kurt Winkler in einer biographischen Skizze. Nach seinem Amtsantritt vermochte Stengel durch Umstrukturierungen und Sonderausstellungen die „Rumpelkammer” am Köllnischen Park einem breiten Publikum zu öffnen, was in der NS-Zeit gewisse Anpassungen einschloß. Nach 1945 riefen die von ihm eingeschlagenen Wege des Wiederaufbaus und mehr noch Kritik an bestimmten kulturpolitischen Maßnahmen (z. B. Abriß des Berliner Schlosses) den Unmut der neuen Machthaber hervor. Stengel siedelte im Dezember 1952 nach Westberlin über, wo der 71jährige noch lange um ein Ruhegehalt für seine 27jährige Tätigkeit im Dienst der Stadt Berlin kämpfen mußte. Der Skizze sind ein Schriftenverzeichnis Stengels sowie ein Verzeichnis der von ihm organisierten Ausstellungen beigefügt. Aus seinem Nachlaß, der seit 1997 im Archiv der Stiftung Stadtmuseum einliegt, werden neben dem oben erwähnten Manuskript weitere Texte zu Themen des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals abgedruckt: „Zur Methodik des Aufbaus der historischen Museen und der Heimatmuseen” (1945), „Die Aktivierung des Historischen Museums und die Illusion” (1946) und „Einige Ratschläge zur Schadensverhütung im Museum” (ohne Datierung).

Unter den weiteren Beiträgen des dritten Bandes sei noch die Untersuchung der slawischen Silberschatzfunde aus dem 10./11. Jahrhundert durch H. Seyer hervorgehoben. Obwohl diese sog. Hacksilberfunde seit langem zum Bestand des Märkischen Museums gehören, sind sie bislang von der Fachliteratur wenig beachtet worden. Die beiden Artikel von D. Bartmann und I. Timm zum „doppelten Hitler”, die den Dokumentationsteil des dritten Jahrbuchs beschließen, erzeugen - so exakt sie auch recherchiert sind - zwiespältige Empfindungen. Es handelt sich um zwei „Führer”-Porträts, die der Berliner Maler Klaus Richter (1887-1948) - ein in seiner Zeit bei der Polit-Prominenz gefragter Porträtist - im Jahre 1941 anfertigte; eines gehört heute dem Stadtmuseum Berlin, das andere dem Deutschen Historischen Museum. Anlaß für die Betrachtung war die vor einigen Jahren in der westdeutschen Presse aufgeworfene Frage: Was ist Original und was Kopie? Die Autoren lösen das „Verwirrspiel”: Beide Werke stammen von Richters Hand, der den NS-Diktator im Führerhauptquartier in Öl malte und ihn dabei - gewollt? - als Wahnsinnigen demaskierte. Was die „historische Signifikanz beider Hitler-Porträts” (Jahrbuch Bd. III, S. 325) letztlich ausmacht, bleibt dem Leser überlassen.

Die Jahrbücher dokumentieren die auf Erforschung, Darstellung und öffentliche Präsentation orientierte Tätigkeit der Stiftung Stadtmuseum. Die Beiträge bewegen sich noch ausschließlich im kunst- und museumsgeschichtlichen Bereich. Es bleibt zu hoffen, daß sich das Jahrbuch künftig auch der eigentlichen Stadtgeschichte - von den Anfängen bis in die neueste Zeit - in ihrer musealen Reflexion öffnet.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite