Rezension von Christfried Preußler



Liebenswertes Wirtschaften ohne Zins

Manon Baukhage/Daniel Wendl:
Tauschen statt bezahlen
Die Bewegung für ein Leben ohne Geld und Zinsen.
Rotbuch Verlag, Hamburg 1998, 233 S.

„Hier geht es nicht um utopische Theorien, sondern um die Veränderung alltäglichen Handelns, die zu einer gesellschaftlichen Kraft wird.” So lautet der einleitende Satz auf der letzten Umschlagseite des Buches. Damit laden die Autoren den Leser ein, ein Phänomen kennenzulernen, das in den letzten Jahren, unbeachtet von der großen Politik, eine beachtliche Verbreitung gefunden hat. Die Rede ist von der Tauschbewegung in Deutschland und weltweit, eine „Bewegung für ein Leben ohne Geld und Zinsen”, wie der Untertitel des Buches lautet. Die beiden Autoren wissen, wovon sie sprechen, haben sie doch selbst das lokale Tauschsystem „LETS Isarthal” mit initiiert. „LETS” steht für „Lokal Exchange Traiding System” und ist eine international verbreitete Bezeichnung für Tauschringe.

Das Buch besteht aus zwei großen Teilen. Im ersten Teil wird die deutsche und internationale Tauschring-Bewegung dargestellt, deren historischen Wurzeln nachgegangen, und es werden „jenseits von Dollar und DM Perspektiven für die Wirtschaft von morgen” aufgezeigt; dies unter den provozierenden Überschriften „Wider die Religion des Zentralbankkultes” und „Drucken Sie Ihr eigenes Geld - ganz legal!” Den zweiten Teil des Buches bildet eine bisher wohl einmalige Zusammenstellung deutscher und internationaler Tauschringadressen, einschließlich einer Vielzahl von Internetadressen und Internetseiten, und ein umfangreiches Literatur- und Zeitschriftenverzeichnis.

Der Textteil ist spannend geschrieben, läßt praktische Erfahrungen in den verschiedensten Tauschringen lebendig werden und zeigt die ganze Vielfalt dieser Bewegung. Es kommen die unterschiedlichsten Standpunkte zum Ausdruck, und es ist dem Leser überlassen, sich eine eigene Meinung zu erarbeiten.

Die weltweite Tauschringbewegung zeigt verschiedenartige Ausgestaltungen zweier unterschiedlicher Prinzipien. Auf der einen Seite stehen geldwertorientierte Gruppen, die an Stelle der Landeswährung entsprechende Werteinheiten einsetzen, um Leistungen zu verrechnen. Hier handeln die einzelnen Tauschpartner jeweils frei aus, wie viele Werteinheiten für die geleistete Arbeit bzw. das getauschte Gut verrechnet werden. Anders ist es bei den Zeit-Tauschbörsen, die jede Orientierung am Geldsystem ablehnen. So z.B. beim Bremer Tauschring „Tauschwatt”. „Wir tauschen mit ,Tiden`, und sechs ,Tiden` sind eine Zeitstunde Arbeit.” „Jeder Mensch hat nur eine bestimmte Lebensarbeitszeit, deshalb bringt uns jede Stunde Arbeit für ein anderes Mitglied immer sechs Tiden.” Und dies, ob es sich nun um Kopf- oder Handarbeit, Frauen- oder Männerarbeit handelt. „Haarschnitt? 30 Minuten, bitte, macht 3 Tiden. Bäume schneiden? 1 ½ Stunden, 9 Tiden. Eine Stunde einen Behördenbrief formulieren - gerne, sechs Tiden.”

Ziel solcher Tauschringe ist es, soziale Werte wiederzubeleben. „Das Selbstvertrauen und Vertrauen untereinander soll gefördert werden.” Nachbarschaftshilfe wird groß geschrieben, es geht nicht nur um Dienstleistungen und Warentausch, sondern vor allem auch um ein lebendiges Miteinander, um das Stiften neuer Beziehungen und um das Fördern unentdeckter Talente, die üblicherweise in der sozialen Kälte der Konsumgesellschaft eingefroren sind. „Ansonsten haben wir kein Programm”, heißt es im durchaus auch für andere Tauschringe repräsentativen Bremer Tauschwatt, „wir sind ein bunt zusammengewürfelter Haufen ganz unterschiedlicher Menschen und repräsentieren ein weites Bevölkerungsspektrum”.

Anders ist dies im „döMak-Land” in Halle an der Saale. Diese zinsfreie Zone entstand aufgrund der Kreativität des Landesjugendpfarrers Helmut Becker, der sich Gedanken machte, wie er die Kosten für die Unterhaltung einer Jugendbildungsstätte aufbringen könne. Auf der Grundlage der Freiwirtschaftslehre des Deutsch-Argentiniers Silvio Gesell (1862-1930) schuf Becker ein internes Verrechnungssystem, aufgrund dessen Arbeiten in dem Zentrum bezahlt werden. Im Unterschied zu den heute üblichen Währungen handelt es sich hierbei um ein „Schrumpfgeld”, denn das Guthaben, das sich jemand erarbeitet, steigt nicht beständig durch einen Zinsertrag an, sondern sinkt jeden Monat um ein Prozent. Dadurch entsteht der Anreiz, das Guthaben möglichst schnell wieder in Umlauf zu bringen, ein wesentlicher Belebungsfaktor für ein lokales oder regionales Wirtschaftssystem. Die ökonomisch-programmatische Dimension der Tauschringe drückt Helmut Becker sehr deutlich aus: „Ich halte die Tauschringe für eine vertane Chance, wenn sie neben den sicher ganz wichtigen sozialen Zielen nicht gleichzeitig ihre Chance und Aufgabe erkennen, Bewußtsein über Geld und über die Problematik des Zinses zu entwickeln.” Aus den Tauschringen sollten regionale, dezentrale Wirtschaftskreise mit eigenen, nicht konvertiblen Regionalwährungen entstehen.

Dadurch eröffnet sich eine konkrete Möglichkeit der Schaffung lebendiger regionaler Strukturen, die in scharfem Kontrast zur Globalisierung mit all ihren destruktiven Folgen steht. Die regionalen Strukturen ermöglichen eine Rückkehr zum menschlichen Maß, Geben und Nehmen bekommen wieder ein Gesicht. Die globalen Wirtschaftsprozesse, an denen nur sehr wenige verdienen, werden durch regionales Tauschen ersetzt, das allen dient. Der Mehrwert bleibt in der Region, der Handel mit kurzen Wegen schont die Umwelt.

Dies ist ein wichtiger Gedanke: „Mit lokalem Geld kommt eine der wichtigsten ökonomischen Zukunftsentwicklungen in Gang: das Netzwerk-Denken.” Sehr anschaulich beschreibt Manon Baukhage, wie im Gegensatz dazu das Geldwesen heute noch national und international in Institutionen jenseits jeglicher demokratischer Kontrolle geregelt wird. „Die Banker dieser Institutionen haben einen priesterhaften Status gewonnen. Ihre Entscheidungen beeinflussen so gut wie jeden Aspekt der Wirtschaft - und damit unser aller Wohl und Wehe. Sie beanspruchen das Recht, den Willen der Öffentlichkeit zu ignorieren.”

Hiermit stößt sie vor zu einer Erkenntnis, die ganz im Zentrum der heutigen Weltproblematik steht. Ich möchte hier Henry Kissinger zitieren: „Wenn man die Kontrolle über die Nahrungsmittel hat, hat man die Kontrolle über das Volk. Hat man die Kontrolle über das Erdöl und die Bodenschätze, so hat man die Kontrolle über die Nationen. Wenn man die Kontrolle über das Geld hat, kontrolliert man die Welt.” Dies erscheint mir die wichtigste Dimension der Tauschringbewegung zu sein, daß die Menschen sich mehr und mehr dieser finsteren Machtstrukturen bewußt werden und ihre Fähigkeit und ihre Macht entdecken, ihr Leben eigenverantwortlich in selbstgestalteten regionalen Strukturen zu regeln.

Aus dem Buch geht an vielen Stellen hervor, daß die Tauschringbewegung wesentlich von der „Natürlichen Wirtschaftsordnung” Silvio Gesells befruchtet wurde. Dieser Bewegung einen rechtsextremen Touch zu geben, wie es durch eine Reihe von Anmerkungen und Zitaten geschieht, tut dem Buch nicht gut. Das ähnelt der leider verbreiteten Meinungsmache, die mit Schlagworten ohne stichhaltige Begründung arbeitet. Dies, und daß bei den Zeitschriften ausgerechnet „Der 3. Weg”, das wichtigste Organ der freiwirtschaftlichen Bewegung, fehlt, sind meine einzigen Kritikpunkte an dem Buch.

Im Literaturteil würde ich mir eine thematische Untergliederung und eine kurze Charakterisierung der wichtigsten weiterführenden Bücher wünschen, da der Einsteiger sonst wenig mit der langen Auflistung anfangen kann.

Der Untertitel könnte überdacht werden. Es geht nicht um ein Leben ohne Geld, sondern um eine andere Form des Geldes. Durch Geld wird erst das Tauschen „um viele Ecken” möglich. Einer nachhaltigen Zukunftsentwicklung steht aber eines massiv im Weg: der Zins, der einer sehr kleinen Minderheit gigantische leistungslose Einkommen ermöglicht, mit großem Schaden für alle sozialen und ökologischen Strukturen. Dies müssen wir überwinden, wozu das Buch wesentliche Impulse gibt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite