Rezension von Birgit Pietsch



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Das „Prinzip Hoffnung”

 

Christopher Reeve: Immer noch ich
Mein zweites Leben.
Deutsch von Katarina Ganslandt.

Franz Schneekluth Verlag, München 1999, 383 S.

 


Eigentlich war überhaupt nicht vorgesehen, daß er nach Culpeper fuhr. Es sollte der letzte Wettkampf der Saison sein, anschließend waren Dreharbeiten in Irland geplant. Christopher Reeve gehörte zu diesem Zeitpunkt zu den großen Stars im amerikanischen Filmgeschäft. Sein Film „Superman” hatte ihn in der ganzen Welt bekannt gemacht, aber auch in Charakterrollen hatte er bestanden. Und Reeve agierte nicht nur als Schauspieler, er war Segler, Flieger, Tennisspieler und Reiter, bis zu jenem Tag im Jahr 1995, der alles veränderte. Auf dem Plan stand ein Wettkampf in Culpeper, wie er schon viele absolviert hatte. Nach der Dressurprüfung folgte der Geländeritt. Bereits beim dritten Hindernis scheute das Pferd, und der Reiter stürzte vornüber. Die Wucht des Aufpralls zerschmetterte ihm den ersten und zweiten Halswirbel. Reeve kann nicht mehr gehen, er kann nichts anfassen, sich nicht zur Seite drehen, nicht allein essen, ja nicht einmal allein atmen. Nichts davon hat sich in den letzten Jahren geändert, und ob es sich ändern wird, ist ungewiß. Ereignet hat sich aber etwas anderes. Christopher Reeve ist immer noch präsent. Er versteckt sich nicht und erduldet, daß hin und wieder nur ein mitleidiger Bericht in den Medien erscheint, nach dem Motto „Was macht eigentlich Christopher Reeve?”. Er führt 1996 erstmals Regie und arbeitet auch wieder als Schauspieler, so in der Neuinszenierung des Hitchcock-Klassikers „Das Fenster zum Hof”. Er sammelt Geld für die Erforschung von Rückenmarkserkrankungen und redet bei politischen Veranstaltungen. Und er diktiert ein Tonbandprotokoll, auf dem dieses Buch über sein Leben vor und nach dem Unfall basiert.

Nun mag man entgegenhalten, als Prominenter wäre es allemal einfacher, über einen derartigen Schicksalsschlag wegzukommen. Reeve räumt auch ein, daß seine Bekanntheit manches erleichtert habe. Sein erfolgreiches Sammeln von Spendengeldern für Forschungszwecke wäre ohne seine Berühmtheit tatsächlich nicht möglich gewesen. Auch bei seiner eigenen medizinischen Versorgung mangelte es kaum an Geld, obwohl die ungeheuren Kosten, die seine Behandlung erfordern, aus eigener Tasche schon längst nicht mehr aufzubringen wären. So ist er dann wie jeder andere Bürger Pressionen durch die Bürokratie ausgesetzt. Da verlangte beispielsweise seine Versicherung, daß ein Aufenthalt bei seiner Familie nur bis 18 Uhr dauern dürfe, da ihm sonst die Zuwendungen gestrichen werden. Hierzu kommen die vielen kleinen Probleme, die oft zu einer Lebensbedrohung werden. So die Angst, daß der Beatmungsschlauch sich löst und niemand zu Hilfe kommt. Oder daß ein kleiner Knick im Blasenkatheter letztlich zu einem Schlaganfall führt.

Doch diese täglichen Schwierigkeiten kommen alle erst nach der Frage, die ebenso nichts mit Berühmtheit noch mit Reichtum zu tun hat: Hat das Weiterleben nach so einem Unfall überhaupt noch einen Sinn? Wäre es nicht einfacher, gleich zu sterben, als ewig Gefangener eines zerstörten Körpers zu sein? Reeve schildert diese Phase nach seinem Unfall ungeschminkt und mit allen Selbstzweifeln. Da wechseln Wut, Verzweiflung, Angst, Ohnmacht, Selbstmitleid mit Dankbarkeit und Hoffnung. Kraft zum Überleben schöpfte er zu diesem Zeitpunkt vor allem aus seiner Familie.

Egal, ob man ein Freund des Schauspielers Reeve war oder nicht, beim Lesen dieses Buches gewinnt man größte Hochachtung vor ihm, wie er mit seiner Situation umgeht und auch noch versucht, anderen zu helfen. So abgenutzt dieser Satz auch oft klingt: Dieses Buch könnte anderen in vergleichbarer Lage Mut machen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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