Rezension von Bernd Heimberger



Linien eines bewegten und bewegenden Lebens  

Rainer Funk: Erich Fromm - Liebe zum Leben
Eine Bildbiographie.
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999, 176 S.  

Manchem, der gestern noch gern seinen Marx oder Lenin zitierte, kommt heute leicht ein Fromm-Zitat über die Lippen. Die Vor-Bilder leben. Und sie leben hoch! Vergötterung funktioniert immer. Vielleicht hätte Marx die Verherrlichung verdrossen. Fromm hätte sie vermutlich geduldig zur Kenntnis genommen und dann wohlanalysiert zurückgewiesen. Wie er auf das Verehrungs-Werk reagiert hätte, das ihm jetzt sein letzter Assistent und Nachlaßverwalter rechtzeitig zum 100. Geburtstag bescherte? Hätte er Rainer Funk von dem Vorhaben abgeraten? Fromm-Freunde werden mit Freude und Genugtuung die ergiebige Bild-Biographie Erich Fromm - Liebe zum Leben in die Hände nehmen, die nun da ist. Das Buch ist eine doppelte, dreifache Chance, sich dem Verehrten zu nähern. Viele der bisher nie in die Öffentlichkeit gegebenen Familienfotos sind mehr als Momentaufnahmen eines achtzigjährigen Lebens. Funk läßt Foto nicht Foto sein. Das Bild des Knaben, der der Welt die Faust zeigt, begleitet der Text: „Auch das gehört zu dem Kind Erich ...” Warum auch nicht? Alles hat halt seine Bedeutung. Von größerer Tragweite ist dem Autor ein Foto, das einen wohlgenährten Jungen zeigt, dessen rundlicher Kopf am üppigen Busen der korpulenten Mutter liegt. Den Blick auf das ungleich-engverbundene Paar gerichtet, wird die bedeutungsvolle Trauerweide - im Hintergrund - glatt übersehen, die „das Depressive einer solchen Beziehung symbolisiert”. Donnerwetter! Vorsicht also vor Trauerweiden im Hintergrund! Oder vor Analytikern, die über Analytiker herfallen? Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Funk ist kein Schüler, der den Lehrer diskreditiert oder demontiert. Auch nicht dadurch, daß er den Meister distanzlos kopiert. In seiner Annäherung an Fromm hält Funk immer den Abstand, den die Achtung verlangt. Der umgängliche Ton der Texte hat nichts Anbiederndes. Vertrautheit mit der Person, das heißt dem Leben, der Arbeit, dem Werk, wird nicht durch vertrauensselige Mitteilungen mißbraucht. Die Bildbiographie ist der Versuch des Fromm-Mitarbeiters, den Zugang zu einem besonderen Leben und Lebenswerk zu erleichtern. Die Neigung Funks, alles zu erklären, wird jedoch nie als vormundschaftliche Besserwisserei empfunden. Dennoch kann beim Betrachten des einen oder anderen Bildes der Wunsch nicht unterdrückt werden, der Verfasser hätte besser auf die Untertitel verzichtet und sich genau an das gehalten, was er zu einem Vater-Mutter-Sohn-Bildnis notierte: „Genauer und eindrucksvoller als psychologische Analysen vermitteln manchmal Fotos die Beziehungsstrukturen einer Familie.”

Es liest sich gut, was und wie der Psychologe über den Psychologen schreibt, wenn er der Aufzeichner und nicht der Analytiker ist. Die Fotografien entwickeln die eine Linie, die Unterschriften die zweite, die Lebensschilderung die dritte Linie der Biographie. Rainer Funks Buch ist eine bündige Zusammenfassung des bewegten und bewegenden Lebens des philosophischen, soziologischen Psychoanalytikers Erich Fromm, der im Alter bekannte, schon seit Jahrzehnten Sozialist zu sein. Womit wir Marx wieder nah sind, der sich auch Sozialist nannte und 17 Jahre vor der Geburt Erich Fromms starb.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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