Rezension von Christel Berger



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Vom obersten Spaßmacher im Staatszirkus der DDR

 

Fritz Rudolf Fries: Der Roncalli-Effekt

Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1999, 254 S.

 


 

Um es gleich vorwegzusagen: Für mich ist es das schönste Buch, das nach der Wende über die DDR geschrieben wurde. Gegner dieser Lesart werden berechtigt einwenden, daß dieser Roman in erster Linie ein Buch über ein Künstlerleben und einen Lebenstraum ist, der im Gefängnis in Venedig endet. Ein Buch über die Spezies Zirkuskünstler, über Liebe und Verrat an der Liebe, über Kreativität und Broterwerb. Ja, schon, wer aber mit Begriffen wie „Clown neuen Typus”, dem Roncalli-Effekt: „Überholen ohne einzuholen”, Beschreibung von Zuständen im Staatszirkus, Konferenzen von Unterhaltungskünstlern mit Claqueuren, Nummerngirls, „Baskenmützenmalern aus dem Kinderfernsehen, ... Schriftstellern zwischen den Stühlen ... und der Regierungsdelegation, die zu jedem Kongreß gehörte”, einer Hochzeit am 13. August 1961 etwas anzufangen weiß, hat mehr vom Buch, amüsiert sich doppelt und dreifach und wird meinen Eingangssatz so verkehrt nicht finden. Ein Buch, das sich, wie meist bei Fritz Rudolf Fries, jeder Beschreibung entzieht: Jede Inhaltsangabe läßt das Eigentliche vermissen, und jeder Versuch, Eindrücke zu beschreiben, wird dieser seltsamen Mischung aus Lebensbeichte und Kriminalroman, Groteske und naturnaher Darstellung, Satire und Tragödie, Melodram und Satyrspiel, Ernst und Spaß nicht gerecht. Ein Buch halt zum Selberlesen ...

Fritz Rudolf Fries spielt wie immer mit seinem Leser. Diesmal ist sein Held der oberste Clown im Staatszirkus, den es ja in der DDR gab. Wie auch einen Parteisekretär und einen staatlichen Direktor selbiger Institution. So auch im Roman. Nur ein bißchen schriller und zugleich charmanter - gemäß der Phantasie und der Kunst (die von „Können” kommt!) des Autors, der dem untergegangenen Staat und dem abgewickelten Unternehmen hinterherdenkt wie sein Held seinem Leben, das er nicht mit anderen tauschen kann, er hat nur dieses eine. Ein Leben mit Auf und Ab, Unergründlichkeiten, Zufällen, Clownsnummern, wie sie leider kein staatlich bezahlter Spaßmacher „drauf” hatte, nur im nachhinein denkbar, die aber den ehemaligen Groß-Staats-Zirkus, der die DDR ja auch war, sowohl kritisch kennzeichnen als auch phantasievoll (v)erklären. (Schon diese Clownsnummern sind es wert, das Buch zu verfilmen, und es würde ein herrlicher Film!) Der Clown August Augustin hat Affären und natürlich eine schöne und kluge Frau. Sie adoptieren Kinder, deren Schicksal nach der Wende die Historie ebenso phantasievoll und zugleich treffend weiterschreibt. Das wichtigste ist dem Clown jedoch seine Arbeit: nicht zum Brötchenverdienen, er will wie jeder (Zirkuskünstler?) etwas bewirken, aussagen. Und vor allem, hier findet sich ein Aphorismus oder Merksatz nach dem anderen, der mit schöner Leichtigkeit Unsinn und Sinn der Bemühungen von damals (oder überhaupt: von Kunst, Unterhaltung? oder gar: Gesellschaft, menschlichem Miteinander? oder etwa: Utopien, Sozialismus?) beschreibt.

Der Vergleich mit Günter Grass' „Blechtrommel” scheint vermessen, und dennoch bestehe ich darauf: Wie der Nobelpreisträger mit seinem Oskar Matzerath eine Figur fand, die das Leben unter den Nazis und den Kleinbürgern, die die Nazis ermöglichten und stützten - natürlich über das Groteske verzerrt -, beschreibt, enthüllt, entblößt, so ist hier die Figur des Clowns samt seiner Nummern geeignet, damalige Verhältnisse - ebenso mit Mitteln der Groteske, aber leichter, sinnlicher - erkennbar/durchschaubar zu machen. Doch: Wen außer uns paar interessierte „Ehemalige” interessiert heute noch die DDR und schon gar ihr künstlerisches Bild? Aber: Auch Grass' „Blechtrommel” war zur Zeit der ersten Veröffentlichung verkannt! Deshalb also: Ein großes, schönes Zirkusbuch, ein Clowns-Roman, ein Buch über eine große und viele kleine Lieben, ein Buch mit irren Träumen und „Nummern”, das im Gefängnis endet. Ein Buch, in dem Fritz Rudolf Fries so frei und wunderbar leicht fabuliert wie zu seinen besten Zeiten (oder sogar: wie nie zuvor?)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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