Rezension von Horst Wagner



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Hitlers „unglückliche Liebe”?

 

Joachim Fest: Speer
Eine Biographie.

Alexander Fest Verlag, Berlin 1999, 538 S.

 

 


 

Er wurde, noch nicht 32 Jahre alt, von Hitler zum „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt” ernannt, baute die neue Reichskanzlei in der Voßstraße und entwarf die Pläne für die künftige „Welthauptstadt Germania”, von denen allerdings nur ein paar Dutzend Laternen in der heutigen „Straße des 17. Juni” reale Gestalt annahmen. Als späterer Minister für Rüstung und Kriegsproduktion war er unumschränkter Wirtschaftsdiktator im Nazireich, im hohen Maße mitverantwortlich für den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte in Deutschland, Einpeitscher des totalen Kriegseinsatzes; widersetzte sich aber auch erfolgreich Hitlers „Nerobefehl”, das ganze Land in eine verbrannte Erde zu verwandeln. Albert Speer galt zuweilen als „Hitlers unglückliche Liebe”, wurde eine Zeitlang als zweiter Mann im Staate angesehen, war aber auch der einzige in der Umgebung des braunen Diktators, der diesem ungeschminkt die Wahrheit sagte und ihn am Ende einen Verbrecher nannte. Als einziger der im Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozeß Angeklagten übernahm er dort eine Art „Gesamtverantwortung für die Untaten des Regimes” und kam knapp an einem Todesurteil vorbei. Zu seinem Überlebenstraining während der Haftjahre im Spandauer Gefängnis gehörten umfangreiche Aufzeichnungen, die er in Kassibern nach draußen schmuggeln konnte und die nach seiner Entlassung 1966 Grundlage für sein Buch Erinnerungen wurden. Als dieses 1969 erschien, schrieb Golo Mann, man müsse es „unter die Spitze der politischen Memoirenliteratur” rechnen. Andere warfen Speer vor, daß er seinen Enthusiasmus für Hitler verkleinert, seine Vorbehalte und seinen späteren Widerstand aber über Gebühr herausgestrichen habe.

Joachim Fest, Historiker und Publizist, langjähriger Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung”, bekannt geworden vor allem durch seine Hitler-Biographie (1973) sowie sein Buch Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli (1994), nennt zwei Hauptgründe, die ihn zu seiner jüngsten Arbeit bewogen. Zum einen habe ihn vor Jahren Speer selbst gebeten, Berater für seine Erinnerungen zu sein, was ihm, Fest, Gelegenheit für zahlreiche Gespräche mit Speer und entsprechende Aufzeichnungen gab. Zum anderen sei Speer „bis heute kein Gegenstand einer annähernd zureichenden historischen Biographie” geworden. Die 1982 erschienene „bedeutsame Abhandlung” von Matthias Schnell habe das ebensowenig leisten können wie zwei in England veröffentlichte Arbeiten. Auch nicht das geistreiche Stück von Esther Vilar, das 1998 in jenen Räumen der Berliner Akademie der Künste aufgeführt wurde, wo Speer einst mit Hitler Welthauptstadtpläne schmiedete. „Diese Zurückhaltung” - hinsichtlich einer Speer-Biographie - „mag nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, daß sein Lebensweg keine der raschen Antworten zuläßt, wie sie alle Welt zunehmend verlangt.”

Um eine vertiefende, ausgewogene Antwort hat sich Fest in seinem Buch bemüht. Allerdings zeigt sich auch hier, was Fest immer mal wieder und nicht zu Unrecht vorgeworfen wird: daß er Geschichte zu einseitig als Handeln einzelner Personen sieht, ökonomische Zusammenhänge und Interessen gern ausklammert, dafür psychologische Momente als Handlungsmotiv überbetont. Gerade an der Speer-Biographie fällt auf, daß für Fest die Mitschuld großer deutscher Konzerne für die Naziverbrechen, nicht zuletzt auch bei dem jüngst stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückten Geschäft mit der Zwangsarbeit (das nach Berechnungen des Wirtschaftshistorikers Thomas Kuczynski Extraprofite von 16,2 Milliarden Reichsmark einbrachte), gleichsam ein Tabu ist. Auch finde ich, daß die hinsichtlich des Verhältnisses Speer - Hitler wiederholt herangezogenen Begriffe wie „Spuren eines erotischen Motivs” und „unglückliche Liebe” psychische Besonderheiten und suggestive Wirkungen unzulässig vereinfachen, Karrierestreben und Machtbewußtsein einen romantischen Schleier geben.

Trotzdem ist Fests Arbeit eine spannend zu lesende, literarisch beeindruckende, interessante Einblicke in historische Ereignisse wie in Persönlichkeitsstrukturen bietende Biographie, die zum Besten gehört, was gegenwärtig in dieser Branche zu finden ist. Interessant zum Beispiel, wie Fest aus der Frage, warum Speer, der wohlerzogene, hochbegabte, jeglicher Blut- und Bodenideologie abholde „Sohn aus gutem Hause”, lange Zeit bedingungslos der verbrecherischen Demagogie Hitlers verfallen konnte, Überlegungen ableitet hinsichtlich des großen Masseneinflusses, den die Nazis in Kleinbürgertum und Mittelschichten, aber auch unter der Arbeiterschaft gewinnen konnten. „Das Unbehagen”, so eine der Erklärungen Fests, „das vom wachsenden Gewicht der Parteien herrührte, vom Streit und Dauerzank zwischen ihnen, sowie überhaupt von jenem Stimmendurcheinander, das zum Wesen demokratischer Ordnungen gehört, beantworteten die neuen Machthaber durch die Gewähr ,unpolitischer` Leistungen. Eine rasch steigende Mehrheit dankte es ihnen geradezu ... in die angebliche Sachlichkeit reiner Effizienz entlassen zu werden.” Eine sicher nicht unwichtige Überlegung - auch hinsichtlich heutiger Gefahr, die von rechtsextremistischen Bestrebungen ausgeht.

Bei berlingeschichtlich Interessierten werden vor allem die detailreichen Kapitel über Speers Wirken als Chefarchitekt der Hauptstadt Aufmerksamkeit finden: die überdimensionale Reichskanzlei, die Speer in der Rekordzeit von weniger als einem Jahr fertigstellen ließ. Die weitgehenden Abriß des historischen Berlins bedeutenden Pläne für große Pracht- und Aufmarschstraßen. Die für eine Höhe von 220 Metern und eine Versammlungsfläche für 180 000 Menschen ausgelegte Kuppelhalle, die Reichstag und Brandenburger Tor neben sich „wie Spielzeug” hätten aussehen lassen. Der für das südliche Ende der „Großen Straße” in der Nähe des Tempelhofer Flughafens geplante Triumphbogen, der hinsichtlich seiner Ausmaße den Pariser Arc de Triomphe 50fach übertreffen sollte. „Es war Despotenarchitektur”, so Fest, „die trotz aller höher zielenden Absichten nicht über die Demonstration nackter Macht hinauskam, kalt, erstorben und menschenfern, aber auch von auffälliger Einfallsarmut ...”

Entlarvend, wie Fest durch Speer Einblicke gibt in die Borniertheit der meisten Nazigrößen und das Machtgerangel unter ihnen. Erschreckend, die so noch nicht gelesenen Schilderungen planmäßiger Menschenvernichtung, vor allem des Holocausts. Nicht geklärt bis heute, auch in dieser Biographie nicht, in welchem Maße Speer von diesen Verbrechen gewußt hat und persönlich in sie verstrickt war. Psychologisch interessant sein Gesinnungswandel in den letzten Kriegstagen und durch den Nürnberger Prozeß. Wobei, wie Fest bemerkt, „einige Beobachter zu der Auffassung gelangten, daß Speers Eingeständnisse weniger dem Bedauern über die Opfer entstammten als dem Gefühl der Enttäuschung über die zerschlagenen Träume ...”

Eine endgültige Antworten gebende Schrift ist Fests neues Werk sicher nicht. Eine bemerkenswerte Biographie und ein Stück guter Literatur allemal. Es erübrigt sich eigentlich zu sagen, daß sie sich auch durch eine solide Quellendokumentation, eine umfangreiche Bibliographie sowie ein ausführliches Personenverzeichnis auszeichnet. Von den zahlreichen Fotos stammen 17, darunter ein heimlich im Spandauer Gefängnis aufgenommenes, aus dem Privatarchiv Speers.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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