Rezension von Kathrin Bosien



Hauch und Äther
 
Karl Heinz Bohrer:
Die Grenzen des Ästhetischen
Edition Akzente.
Carl Hanser, München 1998, 203 S.  

Wann hatte es das in den letzten Jahren schon gegeben: In den führenden deutschen Massenmedien wird die Rede eines Philosophen diskutiert. Den Anlaß bot Peter Sloterdijk mit seinem Vortrag „Regeln für den Menschenpark”, in dem er sich u. a. auch zur „Menschenzüchtung” äußerte. Wie das inzwischen üblich ist, hat man sich mit dem Gesamttext wenig, mit einzelnen provokanten Passagen dafür um so mehr „auseinandergesetzt”, wofür der Philosoph auch gleich das Etikett „Faschist” verpaßt bekam. Wie man aber den Schlußpunkt unter eine Debatte setzt, zeigte der Mitherausgeber des „Merkur” und Autor des vorliegenden Buches Karl Heinz Bohrer: „Die Behauptung, die wochenlang die Edlen umtrieb, nämlich Sloterdijk entwickle ein faschistisches Konzept, ist diesbezüglich belanglos, denn ein Faschist kann sehr wohl ein Philosoph sein. Sloterdijk ist keines von beiden.” Die Sätze von Karl Heinz Bohrer im „Merkur” zeigen zweierlei: Einerseits den Widerwillen des Ästheten gegen die „Vermassung” von Themen, die nach seiner Meinung nur einer Elite vorbehalten bleiben sollten. Ein Prinzip, das durch die Diskussion in den Massenmedien schwer verletzt wurde. Andererseits demonstrieren sie Bohrers Vorliebe für finale Formulierungen, die streitbar klingen, aber keinen Streit hervorrufen, sondern vor allem scharf abgrenzen sollen. Und um Abgrenzung geht es auch in dem vorliegenden Buch. Grenzen des Ästhetischen zu ziehen ist nach Bohrers Auffassung eine bittere Notwendigkeit. Es geschieht zur Zeit nämlich etwas Schreckliches. „Ein Terror liegt über dem Land: Die Akzeptanz des Ästhetischen.” An anderer Stelle heißt das Entgrenzung, Aktualität oder Popularisierung des Ästhetischen. An zwei Begriffen macht Bohrer das von ihm beschriebene Phänomen fest: Kontext und Primat des Bildes. Die hier gestreiften Phänomene wären es nun tatsächlich wert, näher untersucht zu werden. So die Fähigkeit dieser Gesellschaft, irrationale, provokative Elemente zu absorbieren und zu integrieren. Oder die Favorisierung der Bilder in der Informationsvermittlung der Gegenwart. Aber das ist nicht das Anliegen Bohrers, ihm geht es darum, Ästhetik von den Sozialwissenschaften zu trennen, ohne dabei Definitionen zu verwenden. Denn bei Ästhetik haben wir es mit einem „Hauch”, mit einem „Äther”, etwas „Unwägbarem”, etwas „diffusem Momentanem” zu tun. Rettung bringen dann nur neue Hilfsbegriffe. Hier ist es der Begriff des „Präsens”, verstanden als „kontemplativer Modus eines Sprechens, das von intentionalen Bewußtseins- und Willensakten weit entfernt ist”. Daraus könnte man dann eine „Umschreibung” gewinnen, die für „eine Sinnstrukturierung des Ästhetischen ausreicht”.

Wenn das ausreicht, da verwundert es auch nicht, wenn Bohrer freiweg behauptet, Literatur hätte ja immer schon eine „präsentisch-kontemplative Bewußtseinsform” gehabt - selbst in Fällen bedeutender historischer Stoffe -, und „Interesse an der Zukunft waren ihr fremd”. Die Folgen solcher Behauptungen sind klar, der Autor macht genau das, was er anderen (u. a. George Bataille) vorwirft, seine Belege sind effektvoll ausgewählt. Was nicht seinem Maßstab entspricht, fällt unter den Tisch.

Die hier gesammelten Aufsätze und Reden von 1992 bis 1997 gehen vor allem von der romantischen und von der Romantik beeinflußten modernen Kunst aus. Die Ausführungen kreisen, wie der Autor in der Vorbemerkung schreibt, „durchweg um die Problematik der romantischen Metapher als Prototyp ästhetischer Sprache, die sich weder symbolisch (Brentano/Arnim), noch theologisch (Hölderlin/Novalis) oder philosophisch (Eichendorff, Tieck, Trakl), aber auch nicht anthropologisch-psychologisch (Gewaltmalerei) oder naturmystisch (Breton/Aragon) aufschlüsseln läßt. Das Romantisch-Phantastische wird als Vorläufer frühsurrealistischer Imagination jenseits natürlicher Objekte erkannt und als angemessenere Form, über die moderne Angst zu sprechen”, als etwa der Existentialismus.

Ein Aufsatz zum Verhältnis von Ästhetik und Gewalt widmet sich einer Frage, die sich bereits in anderen Arbeiten des Autors findet, so in „Die Ästhetik des Schreckens” oder „Surrealismus und Terror”. Bohrer sieht Ästhetik und Gewalt seit jeher aufeinander bezogen und begründet das damit, daß der künstlerische Blick im Gewaltstoff sein Ziel finde. Das wird wieder mit einer Unerbittlichkeit erklärt, als ob andere „künstlerische Blicke” gar nicht existieren würden oder aber keine Kunst seien.

Bohrer grenzt schon mit seiner Sprache ab. Da heißt es zum Phantastischen der Frühromantik: „... es verliert nie den Kontakt mit dem Signifikat einer ausgezeichneten höheren Sphäre”, oder man läßt das Phantastische als Unheimliches erklären, „als dämonisch-pathologische Relativierung”. Da klingt Novalis' Definition des Romantisierens als dem „Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Aussehen geben” natürlich etwas simpel. Der Sinn dieses Stils ist klar: Halt, hier ist der Zirkel, den nur Eingeweihte betreten dürfen. Womit der Leserkreis dieses Buches umrissen ist, mehr sollen es auch gar nicht sein.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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