Literaturstätten



Der literarische Salon
Britta Gansebohm
Podium für junge Autoren im Podewil
 

Sie ist keine Flanier- und Geschäftsmeile oder edle Wohngegend - die Klosterstraße in Berlins Mitte. Zwischen grauen Bürohäusern wirkt das Podewilsche Palais mit der barocken Fassade, den hohen Fenstern und repräsentativem Eingangsportal eher fremd. Wer mit der U-Bahn kommt, wird an den Treppenausgängen aus in der Wand verborgenen Lautsprechern mit Klangcollagen empfangen. Das Podewil ist bekannt als Experimentierstätte für neue Musik.

Doch die Besucher finden hier auch Traditionelles - einen „Literarischen Salon”. An zwei Abenden im Monat lädt Britta Gansebohm dazu ein. Die Atmosphäre ist gediegen. Kleine Bistro-Tische mit grünen oder roten Samtdecken. Platz für gut 50 Leute. Rote Rosen- und weiße Liliensträuße. Schalen mit Gebäck. Eine weit ausladende Palme neben dem Lesepult. Kerzen in Gläsern und Messingleuchter sorgen für Behaglichkeit. Um Getränke, die es an einer kleinen Bar gibt, kümmern sich die Gäste selbst. An manchen Abenden wird es eng im Salon, und es kommt vor, daß Lesungen ins Foyer des Hauses verlegt werden müssen.

Britta Gansebohm, in dunklem Nadelstreifen-Hosenanzug, begrüßt die Gäste, stellt den Autor und sein Werk vor. Als kürzlich Ulrich Peltzer aus seinem neuen Roman Alle oder keiner las, waren nicht viele Worte nötig. Die Feuilletons widmen dem dritten Buch Peltzers ausführliche Besprechungen, bescheinigen ihm großes erzählerisches Talent. Und zudem war er nicht das erste Mal im Salon zu Gast.

Konzept bei Britta Gansebohm ist, jungen Autoren ein Podium zu bieten. Jung setzt sie gern in Anführungszeichen, denn gemeint ist nicht der Geburtsjahrgang, sondern eher die erste Veröffentlichung, das literarische Debüt. Dazu gehört auch, die Debütanten ein Stück zu begleiten, ihren literarischen Weg zu verfolgen, Verbindungen zu schaffen. So ist der Salon für junge Autorinnen und Autoren zu einer wichtigen Adresse geworden. Kathrin Röggla, Peter Wawerzinek, Alexa Henning von Lange, Thilo Köhler, Stephan Krawzyk, John von Düffel, Felicitas Hoppe, Jan Peter Bremer, Judith Hermann lasen hier. Einige von ihnen haben mittlerweile Preise bei renommierten Nachwuchswettbewerben gewonnen. Auch Grenzüberschreitendes wird versucht. Zur Fotografie oder zur Musik. Anagramme, Lautpoesie und Musik bot im Dezember der Münchener experimentelle Dichter Michael Lentz in einer ungewöhnlichen, spannenden Interpretation.

Im Mai dieses Jahres feiert der Salon sein fünfjähriges Bestehen. Begonnen hat es zunächst als private Veranstaltung. Gemeinsam mit einem befreundeten Maler. Leute verschie dener Generationen und Berufe sollten sich in einem geselligen Kreis kennenlernen. Die Initiatoren setzten darauf, daß die Gäste selbst das Programm der Abende gestalteten - aus einem unveröffentlichten Text lasen, ein neues Bild vorstellten, musizierten oder sich die Köpfe heiß redeten. Der Zustrom war von Anfang an groß, nur mit Eigenem wagten sich die wenigsten hervor. Die Idee eines „Literarischen Salons” bildete sich erst allmählich. „Es war ein ,Wandersalon`”, so Britta Gansebohm, wenn sie über die Gründerjahre spricht. Von der ehemaligen Pferdeschmiede der Schultheiss-Brauerei in Kreuzberg über alternative kleine Theater bis zu einem Atelier im Prenzlauer Berg war sie auf der Suche nach geeigneten Räumen und eigenem Profil. Seit Januar 1998 hat der Salon sein Domizil im Podewil. Mit einem Pachtvertrag jeweils für ein halbes Jahr und zur Zeit noch mit Unterstützung durch die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur. Mittlerweile sei sie eine „Kleinunternehmerin ohne Umsatzsteuer” geworden, meint scherzhaft die attraktive Dreißigerin. Seit 1997 wird für den Erhalt des Salons Eintritt erhoben - für die Miete und ein kleines Honorar für die Autoren.

Vom Podewil, im 18. Jahrhundert Wohnpalais des preußischen Staatsministers Graf Podewil, in der DDR viel besuchtes „Haus der jungen Talente”, sind es nur ein paar Minuten zur Jägerstraße. Hier führte die junge Rahel Levin vor rund 200 Jahren in der „Dachstube” des Elternhauses ihren berühmten Salon. Treffpunkt der geistigen Elite. Gelehrte, Künstler, Diplomaten gingen bei ihr ein und aus. Die heutige Salonkultur sei anders, nicht vergleichbar, meint Britta Gansebohm. Früher holten sich die Gastgeberinnen mit den Salons Bildung ins Haus, weil sie kaum andere Möglichkeiten fanden. Öffentlich zu wirken galt als tabu. Heute gibt es diese Beschränkungen nicht mehr. Doch geblieben sei der Wunsch nach Begegnung und Gedankenaustausch, besonders in einer Zeit, in der es immer mehr Singles gibt.

Für Britta Gansebohm, mit Magisterabschluß in Germanistik und Theaterwissenschaft, ist der Salon eine Form, Menschen zusammenzuführen, unterschiedliche Ansichten kennenzulernen, und dabei entstehen neue Freundschaften; das sei eine schöne Nebenwirkung.

Viele Stammgäste von einst sind geblieben, neue hinzugekommen. An der Eingangstür liegt das Gästebuch aus. Wer sich einträgt, erhält eine Einladung zum nächsten Salon-Dienstag. Wer will, kann sich den Salon über Internet live ins heimische Wohnzimmer holen.

Nicht immer kommt es nach der Lesung spontan zum Gespräch. Bei Ulrich Peltzer allerdings dauerte das nicht lange. „Alle oder keiner” erzählt die Geschichte eines Mannes, Ende Dreißig, der in Berlin lebt und sein Leben ab Ende der siebziger Jahre überschaut. Inwieweit der Roman autobiographisch sei, will jemand wissen, es gibt Komplimente für die schöne Sprache, Fragen zum Schreiben, der Entstehungsgeschichte, dem offenen Schluß, der Botschaft, die der Autor vermitteln will. Britta Gansebohm versteht sich nicht als Moderatorin der Debatte, will nichts vorgeben. Sie möchte, daß die Gäste mit dem Autor und untereinander ins Gespräch kommen - über die neue Literatur und damit über das Leben. „Da sind Themen gestaltet, die uns beschäftigen. Da steht man nicht auf und geht nach Hause.” Manchmal, wenn die Hausordnung des Podewil zum Schluß mahnt, zieht ein Teil der Salongesellschaft ins nahe Scheunenviertel, ins „Atame”, um und diskutiert dort weiter.

Aus Lust, Menschen kennenzulernen, Gedanken auszutauschen, hat Britta Gansebohm den Salon gegründet. Sie ist neugierig geblieben, besucht Lesungen von Nachwuchs-Wettbewerben, hält Kontakt zu Autoren und Verlagen. Befragt nach ihrer Lieblingslektüre, nennt sie ohne lange zu überlegen Goethe, Thomas Mann und natürlich zeitgenössische Autoren, die oftmals noch keiner kennt. Aber da hält sie sich mit Namen zurück. Ihnen steht ihr Salon offen.
 

Gudrun Schmidt


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/00 © Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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