Prof. Dr. Otto Suhr

* 17. 08. 1894 in Oldenburg
+ 30. 08. 1957 in Berlin

Regierender Bürgermeister (West-Berlin)
vom 11. 01. 1955 bis 30. 08. 1957

Bildnis Otto Suhr Nach Kriegsende war Suhr Mitbegründer der unabhängigen Gewerkschaften in Berlin und wurde in die Zentralverwaltung der Sowjetischen Besatzungszone als Hauptabteilungsleiter für Industrie einbezogen. Dort setzte er sich entschieden gegen die Vereinigung von SPD und KPD in Berlin zur Wehr. Suhr bejahte jedoch das künftige Zusammengehen der beiden Arbeiterparteien, allerdings unter der Voraussetzung eines unabhängigen deutschen Weges zum Sozialismus.

Suhr war am 7. April 1946 Teilnehmer des Zehlendorfer Parteitages der SPD und wurde zum Generalsekretär des SPD- Landesvorstandes Berlin ernannt. Im August 1946 wurde er auf dem 3. Landesparteitag der SPD zum Mitglied des Parteiausschusses des SPD-Landesverbandes Berlin gewählt. Bei den ersten demokratischen Wahlen am 20. Oktober 1946, die SPD errang 48,7 Prozent der Wählerstimmen, wurde er als Stadtverordneter von Berlin gewählt. Von 1946 bis 1950 war er Vorsteher der Stadtverordneten von Groß-Berlin bzw. Berlin (West) sowie Vorsitzender des Ältesten- und des Hauptausschusses. In Erinnerung blieb seine mutige Erklärung vom 23. März 1948, in der es hieß, daß er weder in der Lage sei, "Büttel irgendeiner alliierten Macht zu sein", noch sei er gewillt, "Zensor der gewählten Stadtverordneten zu werden". Von 1948 bis 1949 wirkte er als Mitglied des Parlamentarischen Rates an der Ausarbeitung des Grundgesetzes mit und nahm als alleiniger Berliner Vertreter an dem vorbereitenden Verfassungskonvent in Herrenchiemsee im Sommer 1948 teil. Er war einer der zunächst nur acht Berliner Abgeordneten im ersten Bundestag. Suhr war einer der Väter der West-Berliner Verfassung, für deren Verwirklichung er in nahezu acht Jahren als Präsident des Abgeordnetenhauses und als Vorsitzender des Verfassungsausschusses unermüdlich wirkte. Ernst Reuter, der damalige Regierende Bürgermeister, schrieb am 5. August 1950, es sei ihm ein Bedürfnis, Otto Suhr als Stadtverordnetenvorsteher für seine Unterstützung, sein Entgegenkommen und Verständnis zu danken. "Der Abschluß der Verfassungsberatung ist Ihr ganz persönliches Werk", heißt es in diesem Brief.

Am 11. Januar 1955 wurde Suhr als dritter Sozialdemokrat nach Ernst Reuter und Louise Schroeder Regierender Bürgermeister von West-Berlin. Mit seiner Wahl und der Willy Brandts zu seinem Nachfolger als Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses hatte der Berliner Landesvorstand der SPD einen innerparteilichen Waffenstillstand geschlossen; denn Suhr hatte nicht nur einen Fuß in jedem der beiden Lager, sein persönliches Ansehen und seine gute Reputation als Sozialdemokrat waren so groß, daß der linke Flügel sein politisches Feuer zurückhielt. Im Grunde unterschied sich Suhrs Politik jedoch nicht wesentlich von der Ernst Reuters; letztlich konnte man damit rechnen, daß Suhr sich in politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Partei immer auf die Seite der Brandt-Gruppe schlagen würde.

Suhr übernahm das Amt mit starkem Selbstbewußtsein und der Parole "Jetzt wird wieder regiert". Suhrs Orientierung an der Bonner Politik hatte wirtschaftliche und finanzielle Gründe. So entwickelte er das Konzept einer Wirtschaftspolitik, die einen neuen Abschnitt des Wirtschaftswachstums eröffnen und ein großzügiges Wiederaufbauprogramm verwirklichen sollte. Die Konzeption wurde im April 1955 vom Bonner Wirtschaftsministerium als "Berliner Aufbauprogramm" verabschiedet.

Unter Otto Suhr ist der Aufbau West-Berlins sichtbar vorangekommen. Suhr legte den Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf kommunale und verwaltungsreformerische Aufgaben. Dies trug ihm später den Vorwurf ein, bloße Kommunalpolitik betrieben zu haben. In seiner Regierungszeit prägte er das auch heute noch aktuelle Wort von der "sozialen Koalition". So konnte der mit dem wirtschaftlichen Aufschwung verbundene Ausbau der Sozialpolitik und Gesundheitsfürsorge sowie die längst fällige Verwaltungsreform mit dem Ziel eines vereinfachten Instanzenweges und klarer Zuständigskeitsabgrenzungen zwischen Senat und Bezirksverwaltung durchgeführt werden.

Suhr versuchte in den zwei Jahren seiner Amtszeit, in denen er eher als Wissenschaftler und Verwaltungsfachmann denn als Parteipolitiker regierte, einen technisch leistungsfähigen und in der Praxis demokratisch strukturierten Beamtenapparat aufzubauen. In seiner Regierungszeit wurden bedeutende Bauprojekte in Angriff genommen. Anläßlich der für 1957 geplanten Internationalen Bauausstellung wurde das zerstörte Hansaviertel am Rande des Tiergartens nach Entwürfen in- und ausländischer Architekten wie Walter Gropius, Alvaqa Aalto, Oscar Niemeyer und anderer wieder errichtet. Zur gleichen Zeit entstanden die Trabantenstädte in Britz, Buckow, Rudow und im Märkischen Viertel. Der Bau der Kongreßhalle und der Oper, die Wiederherstellung des Reichstages, des Schlosses Bellevue sowie des Charlottenburger Schlosses und der Umgebung mit der großen Zufahrtsstraße, der späteren Otto-Suhr-Allee, wurden beschlossen und in Angriff genommen. Trotz seiner nur zweieinhalbjährigen Amtszeit als Regierender Bürgermeister gelang es ihm, dem Führungsstil des Senats seinen Stempel aufzudrücken. Zu seinen unzweifelhaften Führungsqualitäten gehörten stetige Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit, selbst in kleinsten Dingen. Seine unspektakuläre, auf das Machbare orientierte Poltik, die politische Gesittung über politische Gesinnung stellte, verlangte den Anhängern aller politischen Richtungen uneingeschränkten Respekt ab.

Trotz intensiven politischen Engagements war Suhr seit 1952 Honorarprofessor für Theorie der Politik an der Freien Universität Berlin; von 1948 bis 1955 wirkte er als Direktor der Deutschen Hochschule für Politik, und hier gelang es ihm, tragbare Brücken zwischen der Wissenschaft und der Politik zu schlagen. Die Hochschule für Politik wurde 1958 als Otto-Suhr-Institut der Freien Universität angegliedert. Mit Louise Schroeder gab Suhr die Zeitschrift "Das sozialistische Jahrhundert" heraus. 1957 erfolgte wiederum seine Wahl zum Beisitzer des Landesvorstandes der Berliner SPD.

Otto Suhr entstammte einer bürgerlich-liberalen Beamtenfamilie und studierte in Leipzig Volkswirtschaft, Geschichte und Zeitungswissenschaften. Er veröffentlichte 1924 sein Buch "Die Organisation der Unternehmen", 1925 folgte "Die Welt der Wirtschaft vom Standort des Arbeiters" und 1928 "Die Lebensgestaltung des Angestellten".

Ein plötzlicher Tod setzte seinem Wirken am 30. August 1957 ein Ende. Die Grabstätte von Otto Suhr befindet sich auf dem Waldfriedhof Zehlendorf.

 

© Edition Luisenstadt, 1998
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