Erhard Krack

* 09. 01. 1931 in Danzig (heute Gdansk)

Bildnis Erhard Krack

Oberbürgermeister (Ost-Berlin)
vom 11. 02. 1974 bis 22. 02. 1990

Erhard Krack hat eine Bilderbuch-Karriere hinter sich, typisch für eine Generation, die auf Grund ihrer Jugend noch nicht in den Waffenrock der Hitler-Wehrmacht gesteckt werden konnte. Als Jugendlicher verlor er seine Heimatstadt Danzig, die nach den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens unter polnische Verwaltung gestellt worden war, und mußte nach Stralsund umsiedeln. Hier nutzte er die Chancen zur schulischen und beruflichen Bildung, die ihm die im Gefolge der Spaltung Deutschlands entstehende DDR als Arbeiterkind in umfassendem Maße bot.

Er absolvierte die Mittelschule und beendete die Oberschule 1951 mit dem Abitur. Als 18jähriger hatte er sich politisch entschieden: er wurde Kandidat der SED und - nach den obligaten zwei Jahren - Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Es war eine Zeit, da beim Aufbau des neuen Staates allenthalben faschistisch unbelastete Kräfte dringend gesucht wurden. Er begann seine berufliche Laufbahn als persönlicher Mitarbeiter des Stralsunder Bürgermeisters. Bereits 1952 wechselte er zum Studium an die Universität Rostock; als "Arbeiter-und-Bauern-Student" erhielt er ein Grundstipendium, das er durch gute Leistungen und die Übernahme von Assistentenfunktionen noch aufbesserte. Der Universitätsbetrieb gefiel ihm und er erwog, nach Abschluß seines Staatsexamens als Wirtschaftswissenschaftler 1956 in diesem Bereich als Hochschullehrer zu bleiben.

Im September 1956 wurde er Betriebsassistent auf der Warnow-Werft Warnemünde. Der Schiffbau interessierte ihn. Dieser in der DDR neu entstehende Industriezweig bot engagierten jungen Leuten große Aufstiegschancen. Erhard Krack "roch" überall rein, machte viele Vorschläge zur Rationalisierung der Abläufe und war bald ein gefragter Experte. Zum beruflichen kam das parteiliche Standbein: er war - ehrenamtlich - Sekretär für Wirtschaft der Betriebsparteileitung. 1963 wurde er Abgeordneter des Bezirkstages von Rostock und - als Wirtschaftsfachmann - zum Vorsitzenden des Bezirkswirtschaftsrates berufen. Sein Zuständigkeitsbereich war die gesamte Klein- und Mittelindustrie des Bezirks, soweit sie volkseigen oder staatlich war. Seine Aufgabe bestand in der Ausarbeitung der Pläne und in der Einbindung der Betriebe in die Zielstellungen der zentralgeleiteten Kombinate. Erfahrungen sammelte er in diesem Zusammenhang auch in der Zusammenarbeit mit privaten und genossenschaftlichen Handwerksbetrieben. Es war dies ab 1963 die Zeit des "Neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung" (NÖSPL), das die bisherige starre Planung zeitweilig ablöste, den Betrieben mehr Eigenverantwortung übertrug und das erklärte Ziel hatte, ein sozialistisches Gesellschaftsmodell mit hocheffektiver Wirtschaftlichkeit zu schaffen.

Krack war von der Aufgabe fasziniert, galt als erfolgreich. Anfang 1965 wurde er im zentralen Volkswirtschaftsrat als Stellvertreter für den Bereich bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie eingesetzt. Für einen 35jährigen war das Auszeichnung und Herausforderung zugleich. Doch Zeichen setzen konnte Krack hier kaum. Bereits Ende 1965 war der Volkswirtschaftsrat schon Geschichte, aufgelöst und in Industrieministerien umgebildet. Sein Arbeitsgebiet blieb als "Ministerium für bezirksgeleitete und Lebensmittelindustrie" erhalten; der verantwortliche Minister: Erhard Krack. Neun Jahre lang sammelte er nun Erfahrungen im stets neuralgischen Bereich der Versorgung der Bevölkerung.

Diese Kenntnisse um einen besonders wunden Punkt des planwirtschaftlichen Systems sowie sein unbedingtes Durchsetzungsvermögen waren wohl ausschlaggebend, als 1974 ein Kandidat für den Ostberliner Oberbürgermeisterposten gesucht wurde. Krack besaß den Vorzug, Verwaltungs- und Wirtschaftserfahrungen in seiner Person zu vereinen. Daß es Honecker ernst meinte mit jemandem, der bei Umsetzung zentraler Entscheidungen in der DDR-Hauptstadt durchaus deren spezifische Interessen geltend machen sollte, zeigte sich bald. Krack wurde (1976) formell Mitglied des Ministerrates, womit er gegenüber den übrigen Vorsitzenden der bezirklichen Räte einen beträchtlichen Informations- wie Machtvorsprung besaß. Im selben Jahr wurde er Kandidat des Zentralkomitees der SED (ab 1981 Mitglied).

Große Aufgaben standen insbesondere seit dem IX. SED-Parteitag 1976 für Ost-Berlin an. Es gab ein Berlin-Programm, das die Konturen bis in das Jahr 1990 vorzeichnete. Neben der weiteren Gestaltung der Innenstadt (Ausbau der Leipziger Straße, getreue Wiederherstellung des Gendarmenmarktes, Neubau des Nikolai-Viertels, Neubau der Charitè) ging es um die Schaffung kompletter neuer Wohngebiete. Damit war auch die Bildung der neuen Stadtbezirke Hellersdorf, Marzahn und Hohenschönhausen verbunden.
Zugleich wurde die 750-Jahr-Feier Berlins 1987 langfristig vorbereitet. Krack hatte nicht nur dafür zu sorgen, der Stadt ein würdiges Aussehen zu geben; auch über die Grenzen hinaus wurde er im Auftrag von Partei- und Staatsführung immer häufiger tätig, um Repräsentanten aus aller Welt zu diesem Ereignis in die DDR-Hauptstadt zu holen und sie - wenn möglich - West-Berlin vorzuenthalten.

Ständiges Sorgenkind blieb die Versorgung. Krack wußte um diese Achillesferse des Systems. Er schuf einen speziellen, ihm direkt unterstehenden Bereich, der darauf alleiniges Augenmerk legte. In diesem Punkt deckten sich die Auffassungen des Generalsekretärs der SED und seines Oberbürgermeisters zweifellos: die Hauptstadt der DDR mußte gut versorgt sein, auch aus politisch-optischen Gründen einer Besucherzahl in Millionengröße. So entstand - auf Kosten der anderen Bezirke - eine Sonderversorgung Berlins, die zum "Dauerbrenner" in der Bevölkerungsdiskussion wurde. Krack hat an diesem Versorgungssystem wesentlichen Anteil, erntete dafür aber stets sehr viel mehr Kritik als Anerkennung. Eine Vielzahl von Sondermaßnahmen trug dazu bei, daß vor allem in der Amtszeit Erhard Kracks Ost-Berlin immer mehr hauptstädtischen Charakter bekam und international aufgewertet wurde. Der Anteil des Oberbürgermeisters ist dabei kaum herauszufiltern, bleibt aber unbestreitbar.

Erhard Krack verstand sich stets vorrangig als "Macher". Öffentliche Reden nahm er als lästiges Übel. Hier tat er, was er mußte, doch fehlte seinen öffentlichen Auftritten jedes Charisma. Man merkte ihm an, daß er sich protokollarischer Pflichten entledigte. Reden konnte die Bevölkerung mit ihm, da war er schlagfertig. In Betrieben, die er häufig besuchte, war er gern gesehen, denn er verstand sichtlich etwas von Produktionsprozessen und dabei auftretenden Problemen.

So stand denn der Oberbürgermeister, als der Abbruch der DDR begann, nicht im Geruch des "Bonzentums". Eine Vertrauensabstimmung Mitte Dezember 1989 überstand Krack in der Stadtverordnetenversammlung ohne nennenswerte Gegenstimmenzahl. Den "Runden Tisch" akzeptierte er wie der ihn auch. Der Oberbürgermeister nahm nun auch den Westteil der Stadt zur Kenntnis und traf mehrmals mit seinem Partner Walter Momper zusammen. Bei der Öffnung des Brandenburger Tores war er mit diesem sowie Hans Modrow und Helmut Kohl wie selbstverständlich dabei und im Blickpunkt der Kameras. Krack sah sich wohl zu diesem Zeitpunkt noch als Architekt eines langfristigen Zusammenwachsens der jahrzehntelang geteilten Stadt.

Doch die Vergangenheit holte ihn ein. Da Wahlen unter den Bedingungen des "realen Sozialismus" möglichst auch Steigerungsraten, auf keinen Fall aber Abbrüche zeigen sollten, wurde in allen Teilen des Landes bei den Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 "geschönt". Ob der Parteichef Berlins oder der Oberbürgermeister dabei in der Hauptstadt den Hauptanteil hatte, blieb vor der Geschichte sekundär. Vorsitzender der Wahlkommission war Erhard Krack. Er bekannte sich schließlich zu dieser Verantwortung auch in einem Abschiedsbrief an die Stadtverordneten und beendete am 15. Februar 1990 nach einer 16jährigen Amtszeit faktisch seine Tätigkeit an der Spitze der obersten Stadtbehörde Ostberlins.

 

© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de