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Gerhard Keiderling
Hans Peters und die Gründung der FU 1948

»Gefordert und erkämpft von Studierenden, unterstützt von Oberbürgermeister Ernst Reuter und entscheidend gefördert durch ideelle und finanzielle Hilfe der USA konnte die Gründung der Freien Universität Berlin gelingen«, schrieb FU- Präsident Johann W. Gerlach zum 50. Gründungstag.1) Daß die Professorenschaft in diese Würdigung expressis verbis nicht einbezogen wurde, hatte Gründe. Nur wenige Hochschullehrer der Linden- Universität2) unterstützten die Vorbereitung einer Universität in den Westsektoren. In den Hörsälen kursierten studentische Flugblätter: »Unsere Professoren schweigen – wir dürfen es nicht.« »Der Tagesspiegel«, der seine Spalten dem Gründerkreis weit öffnete, griff am 8. Mai 1948 die zaudernden Professoren scharf an: »Es geht nicht darum, die Berliner Universität zu zerschlagen. Es geht darum, sie vom Einfluß des Kommunismus zu befreien ... Und wer es heute versäumt, Mut zu zeigen, der wird morgen vergessen sein.« Den Leitartikler interessierten die Gründe des Schweigens, »ob aus einem zwölf Jahre lang geübten Respekt vor der Behörde oder aus der sprichwörtlichen Abneigung des deutschen

Wissenschaftlers, sich in Dinge einzumischen, die den Anschein des Politischen haben«, sehr wenig, er forderte kämpferische Haltung.
     Zu den Professoren der Linden- Universität, die politische Bedenken ins Feld führten, gehörte Hans Peters (1896–1966), Dekan der Juristischen Fakultät von 1947 bis 1948. Als Verfechter der Weimarer Republik hatte ihn seine tiefe Ablehnung des Nationalsozialismus in den Widerstandskreis um den 20. Juli 1944 geführt.3) Seine Erfahrungen brachte er als Mitbegründer der CDU in die Debatte um den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft nach 1945 ein. Zum engeren Führungskreis der Berliner CDU gehörend – er war stellvertretender Fraktionsvorsitzender in der Stadtverordnetenversammlung und Mitglied des Verfassungsausschusses seiner Partei –, widmete er sich besonders kultur- und verfassungspolitischen Fragen. Plänen der US- Militärregierung, in ihrem Sektor eine neue Hochschule zu errichten, widersprach er frühzeitig und fühlte sich darin durch die westzonale Rektorenkonferenz, die gleichfalls Bedenken äußerte, bestärkt. Als im November 1947 der amerikanisch lizenzierte »Tagesspiegel« mit dem polemischen Artikel »Universitas oder Parteihochschule?« den Pressefeldzug für eine Gegengründung startete, verwahrte sich Peters gegen »willentliche Verunglimpfungen«. Gewiß sah er die Schwierigkeiten, die der verstärkte Griff
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der SED nach den Hochschulen mit sich brächte, doch in der damaligen Situation kam es ihm vor allem auf eine Schadensbegrenzung im aufbrechenden Ost-West- Konflikts für Berlin an. Die Gründung einer Universität im Westteil Berlins betrachtete er als gewollte Belastung der Berliner Lage und als weiteren Schritt zur Teilung der Stadt. In einer seiner Meinung nach verfahrenen Situation wollte er retten, was zu retten war.
     Da er in seiner Partei wenig Unterstützung fand, wandte sich Peters am 24. April 1948 hilfesuchend an Jakob Kaiser. Ihn hatten die Sowjets Ende Dezember 1947 als Vorsitzenden der CDU in der SBZ abgesetzt, doch seine Leitidee von einem »Brückenschlag zwischen Ost und West«, der auch Peters nachhing, besaß immer noch großen Einfluß. Hans Peters schrieb ihm:
     »Was jetzt zur Zeit geschieht, bedeutet lediglich die Herbeiführung chaotischer Zustände, an der jedenfalls ich mich und auch sich m. E. die CDU nicht beteiligen kann. In der Angelegenheit der Studentenrelegierung4) hätte nach meiner Ansicht ein formelles Disziplinarverfahren stattfinden sollen. Das war ein Fehler. Wenn aber jetzt eine allgemeine Aufputschung des an sich sehr friedlichen und verständigen Gros der Studenten stattfindet und dabei die unsinnigsten Dinge behauptet werden, so sollte m. E. die CDU nicht eine solche radikale Hetze mitmachen, auch wenn man
dafür vielleicht bei vielen leicht erregbaren Jugendlichen einen geeigneten Boden findet.
     Sie haben mit Recht sich stets für die Politik des Ausgleichs von Ost und West und für einen deutschen Kurs eingesetzt. Will die CDU es verantworten, daß, bloß weil einiges politisch nicht so ist, wie wir es wünschen, die Berliner Universität, die es wahrlich schwer genug hat, ihre Position zu behaupten, zerschlagen oder der SED einfach in die Arme getrieben wird? ... Die jetzt plötzlich propagierte Idee einer >Berliner Universität für die Westzonen< ist ein Hirngespinst, an dessen Verwirklichung kein ernster Mensch in einem Augenblick glaubt, in dem selbst der Plan der Dahlemer Forschungsuniversität5) vor größten Schwierigkeiten steht ... M. E. ist es für mich nicht mehr zu verantworten, diese Dinge stillschweigend so abrollen zu sehen, daß man für Studenten, von denen z. B. unser Herr Schwarz gar kein wirklicher Student ist, jetzt einen solchen Streit gegen die Universität führt.«6)
     Das gewünschte Gespräch mit Jakob Kaiser kam wohl nicht zustande. Im Berliner Landesvorstand der CDU stand Hans Peters mit seinen Auffassungen allein da.
     Als seine Partei am 11. Mai 1948 im Stadtparlament mehrheitlich einem SPD-Antrag zur Errichtung einer »freien Universität« zustimmte, legte er aus Protest seine Ämter in der Fraktion und im Ältestenrat nieder.
     Der Ausbruch der Berliner Krise im Juni 1948 trieb die Entwicklung zur West- Universität
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mit Riesenschritten voran. Am 22. Juni 1948 konstituierte sich in einer Wannsee- Villa der »Ausschuß für eine neue Universität«. Am 30. August 1948 gab Militärgouverneur General Clay in einem Privatschreiben an Ernst Reuter grünes Licht. Am 6. Oktober 1948 griff »Der Tagesspiegel« die reservierten »Professoren der Zentralverwaltung, an ihrer Spitze Peters«, erneut in scharfer Form an: Wer sich jetzt nicht zur »freien Universität« bekenne, hätte »sich nicht nur für das System der geistigen Zwangsarbeit, sondern auch für eine politische Herrschaftsform entschieden, die für die Blockade Berlins ... verantwortlich ist«.
     Erzürnt über die Pressekampagne, schrieb Hans Peters am 15. Oktober 1948 dem Rektor der Universität Heidelberg, Geiler:
     »Daß hier zwei Universitäten in Berlin bestehen, die sich gegenseitig bekämpfen, ist natürlich ein unmöglicher Zustand. Da aber die Neugründung lediglich aus dem Motiv heraus geschehen ist, die Berliner Universität und ihre Professoren zu diffamieren, ist von Seiten der Berliner Universität eigentlich keine andere Haltung als Ablehnung möglich.
     Hinzu kommt, daß man als Professor hier das Gefühl hat, gewisse Leute wollen uns in den Rücken fallen, so daß das Ergebnis schließlich die Zerstörung beider Universitäten sein wird. Ich selbst führe zwar nach wie vor das Dekanat meiner Fakultät, überlege aber, angesichts der Gesamtentwicklung
Berlins, innerhalb derer die alte Universität Berlin noch eine Oase des Friedens ist, in absehbarer Zeit Berlin doch zu verlassen, da ein vernünftiges Arbeiten hier kaum noch möglich ist. Persönlich glaube ich, daß die vier politischen Parteien bei einer einigermaßen vernünftigen Haltung viele der jetzigen Schwierigkeiten hätten mildern können. Ich muß allerdings gestehen, daß sich in meiner eigenen Fraktion die gemäßigten Elemente nicht durchgesetzt haben; ähnlich scheint es auch in den anderen Parteien zu sein.«
     In Sorge über die politische Entwicklung wandte sich Peters auch an den Rektor der Goethe- Universität Frankfurt am Main, Walter Hallstein. Dieser hatte auf einer westzonalen Rektoren- Tagung im Juli 1948 eine Freie Universität abgelehnt, weil dadurch die Linden- Universität »zur reinen Universität des Ostens« würde und damit keine »Stütze für die Elemente bedeutet, die Verbindung mit dem Westen halten wollen«.7) In Peters Brief vom 2. November 1948 hieß es:
     »Seit dem Sommer hat sich die Lage in jeder Weise verschlechtert. Das Leben ist ziemlich unerträglich geworden und die Schwierigkeiten, die sich die Deutschen selbst machen, werden von Tag zu Tag größer.
     Die amerikanische Militärregierung, die m. E. nur sehr einseitig informiert wird und anscheinend auch noch kaum den Versuch macht, sich von allen Seiten Informationen
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zu verschaffen, geht m. E. zum Teil von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Der von den Herren Reuter, Suhr und zum Teil auch Landsberg empfohlene Kurs läuft auf die Teilung Berlins in zwei Teile hinaus; damit wird Berlin-Ost den Sowjets in die Hand gespielt. M. E. soll man nicht glauben, daß es möglich ist, auf Dauer Berlin-West für die Westmächte zu halten, wenn der Ostteil Berlins rein sowjetisch ist. Anstatt von deutscher Seite aus den Konflikt der Alliierten möglichst zu überbrücken, jedenfalls seine Entwicklung für die deutsche Bevölkerung zu erleichtern, wird genau entgegengesetzt verfahren. Immerzu sucht man Gelegenheit, selbst den kleinen Mann zu Bekenntnissen zu zwingen für oder gegen die eine Seite, mit der Wirkung, daß der Terror, den im Ostsektor die SED zum Teil mit brutaler Gewalt und im Westsektor SPD und Tagesspiegel mit der Waffe der Diffamierung ausüben, doch kein wahres Ergebnis liefert. Daß 95 % der Berliner gegen die Blockade sind und daß etwa 90 % für die Westmächte sind, ist so klar, daß es doch erzwungener Bekenntnisse nicht bedarf ... Ich bin der Meinung, daß trotz des Konflikts zwischen USA und Sowjet- Rußland für Berlin vieles glatter laufen könnte, wenn nicht willkürliche Verschärfungen vorgenommen würden. Es ist bedauerlich, daß die deutschen politischen Parteien, alle vier, hierbei völlig versagen.
     An der Berliner Universität geht es im Augenblick noch am besten, weil die Universität
glücklicherweise von dem Spaltungsrummel nicht berührt ist. Als Einwohner Berlins aber merken natürlich Professoren und Studenten die Not ebenso. Die Westuniversität hat bisher noch nicht mitgeteilt, wer zu ihr kommt. Da fast keine Studenten und nur verschwindend wenige der Professoren von hier herübergehen, ist sie auf Praktiker, Gäste und Ostzonen- Professoren angewiesen. Sie lebt allein vom Kampf gegen die Berliner Universität, der gegenüber sie ständig unwahre Unterstellungen verbreitet. Der vor einem halben Jahr mit so großem Pomp verkündete Programmpunkt: Befreiung der Professoren und Studenten der Berliner Universität aus der Knechtschaft, hat bisher keinerlei Widerhall gefunden, weil man von erdichteten Tatsachen ausging, über die man sich von einigen wilden Leuten unterrichten ließ. Das Ergebnis wird schließlich die Störung und Zerstörung beider Universitäten sein.«
     Aus der Kenntnis des faktischen Geschichtsverlaufs scheinen heute manche Einsichten und Voraussichten des CDU-Mannes Hans Peters unzutreffend gewesen zu sein. Doch darum geht es nicht. Vielmehr haben wir es hier mit zeitgenössischen Bekenntnissen zu tun, die uns mitteilen, daß es in der damaligen Welt rasanter politischer Polarisierung auch Stimmen der Warnung und der Vernunft gab. Die kleine Schar von Berliner Parteipolitikern und Hochschullehrern, zu denen Peters zählte, engagierte sich für eine
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neutralistische Nationalpolitik, für eine Ost-West- Verständigung; sie vermochte aber den Lauf der Dinge nicht abzuändern.
     Die vom Kalten Krieg geprägte Geschichtsschreibung in Ost und West nahm später von den »Dritten Weg«- Vertretern kaum Notiz oder bescheinigte ihnen Weltfremdheit. Auch Hans Peters wurde von der offiziellen FU- Historiographie als Sonderling und kauziger Querulant abgestempelt, der als vermeintlicher Parteigänger der SED den FU- Gründern nur Knüppel zwischen die Beine geworfen hätte.8) Eigentlich hatte der katholische Staatsrechtler und aufrechte Demokrat wie auch die anderen »Neutralisten« für eine schweigende Mehrheit der Deutschen gesprochen. Tief enttäuscht verließ Hans Peters 1949 Berlin und übernahm einen Lehrstuhl an der Kölner Universität.

Quellen und Anmerkungen:
1     FU/Nachrichten, 12/98, S. 4
2     Rektor und Senat der Universität Berlin beantragten bei der ostzonalen Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung am 26. Oktober 1948 die Verleihung des Namens »Humboldt- Universität«. Sie erfolgte am 8. Februar 1949
3     Vgl. Levin von Trott zu Solz, Hans Peters und der Kreisauer Kreis. Staatslehre im Widerstand, Paderborn 1997

4     Um die Berliner Studentenzeitschrift »Colloquium« sammelte sich im Frühjahr 1948 eine Gruppe von Studenten, die gegen die SED- Hochschulpolitik und für eine freie Universität in Westberlin eintrat. Wortführer waren Otto Hess und Otto Stolz (beide SPD) sowie Joachim Schwarz (CDU). Ihre Relegation im April 1948 durch die Zentralverwaltung für Volksbildung in der SBZ löste den öffentlichen Kampf um die Universität aus
5     Gemeint sind die seit 1946 betriebenen Pläne der US- Militärregierung, die in ihrem Sektor liegenden Institute der Kaiser-Wilhelm- Gesellschaft zu einer Forschungshochschule zusammenzufassen
6     Alle zitierten Briefe befinden sich im Nachlaß von Hans Peters im Bundesarchiv
7     Zitiert bei Ulrich Schneider, Berlin, der Kalte Krieg und die Gründung der Freien Universität 1945 bis 1949, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 34, Berlin (West) 1985, S. 93
8     Vgl. James F. Tent, Freie Universität Berlin 1948–1988. Eine deutsche Hochschule im Zeitgeschehen, Berlin (West) 1988, S. 134 f.
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