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Bernhard Bremberger
»Rixdorf im Jahre 2000«

Eine futuristische Lokal- Komödie aus dem Jahre 1899

Man schreibt das Jahr 1899. Rixdorf feiert ein lokales Großereignis nach dem anderen. Seit genau einem Vierteljahrhundert sind die beiden Dörfer Deutsch- und Böhmisch- Rixdorf vereinigt, und so können nun die Jubiläen der Politiker ausgiebigst zelebriert werden. Im Januar findet das Dienstjubiläum von Gemeindevertreter Johann Schudoma (1840–1903) statt, im Februar wird der langjährige Bürgermeister Hermann Boddin (1844–1907) für seine 25 Amtsjahre geehrt mit einem mehrtägigen Fest, Fackelumzug und allem, was dazugehört. Unter seiner Verwaltung ist das Dorf zu einer blühenden Ortschaft geworden, die Bevölkerung stieg von 10 000 im Jahre 1874 auf über 80 000 an; Rixdorf gilt als das größte Dorf Preußens. Am 1. April 1899 wird Rixdorf Stadt – ein lokalpolitisches Ereignis höchsten Ranges.
     In dieser Atmosphäre kündigt das »Rixdorfer Tageblatt« im Sommer 1899 ein »originelles lokalhistorisches Festspiel aus der Feder eines bekannten Mitbürgers« an, welches »ein Zukunftsbild der Entwickelung unserer

aufblühenden jungen Stadt geben wird und somit das weitgehendste Interesse unserer Bürgerschaft finden dürfte«. Gezeigt wird »Rixdorf im Jahre 2000«, und darin dürften »auch die kühnsten Erwartungen unserer Lokalpatrioten übertroffen werden. Auch manch andere Neuigkeit erfährt man dabei, wie z. B. die Rückkehr Andrees (1854–1897) vom Nordpol, den Abschluß eines Weltfriedens, der selbst die Hoffnungen der Baronin von Suttner (1843–1914) übertrifft, die Erfindung des lenkbaren Luftschiffes etc. etc.« (Andree war zwei Jahre vorher zu einem Ballonflug über den Nordpol gestartet, und sein Verschwinden beherrschte immer noch die Schlagzeilen.)
     Der Autor der Komödie, dessen Name bis zur Uraufführung verschwiegen wurde, war niemand anderes als Gustav Siedeberg, der Lokalredakteur des »Rixdorfer Tageblatts«. Zusammen mit Musikdirektor Ernst Brüning – der auch die Liedeinlagen zu dem Stück beisteuerte – hatte er 1894 den Theater- und Unterhaltungsverein zu Rixdorf (TUV) gegründet. Dies war eine Gruppe von Amateurdarstellern, und in Rixdorf, dem damaligen Mekka der Unterhaltungsbranche vor den Toren Berlins, gab es eine scharfe Konkurrenzsituation zwischen den professionellen Bühnen und dem Laientheaterbetrieb. Amateurtheater durften in der Regel nicht vor zahlendem Publikum spielen,
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nur vor Mitgliedern. Hier begann die Trickserei: Bei manchen Laienbühnen konnte man mit dem Kauf der Eintrittskarte eine außerordentliche Mitgliedschaft erlangen, welche nach dem Abend wieder erlosch. Andere deklarierten ihre Vorführungen als Familienabende oder als Wohltätigkeits- Veranstaltungen.
     Und so finden wir die Ankündigung vom 27. August 1899 nicht unter den Theateranzeigen (siehe Faksimile).
     Die Premiere fand im Deutschen Wirtshaus, Bergstraße 137 (heute: Karl-Marx- Straße 163), statt. Durch eine Rezension im »Rixdorfer Tageblatt« sind wir recht gut über den Inhalt des bis heute verschollenen Stückes informiert:
     »Das erste Bild: >Ein fideler Vereinsabend<, spielt in der Gegenwart und führt uns in eine Sitzung des >Vereins der Wasserscheuen<, wohl der einzige Verein, der in unserer vereinsreichen Stadt bisher wohl noch nicht existierte. Aber es sind biedere Leute, die sich hier unter dem Vorsitz des >Onkel Schulze< zusammengefunden haben, der echten Rixdorfer Gemütlichkeit und Fröhlichkeit huldigen und dabei ihre Vaterstadt innig lieben, wie ihr Vereinslied beweist, in dem es heißt:
Der jüngsten Stadt im Deutschen Reich
Sei unser Lied geweiht!
Kein Ort kommt unserm Rixdorf gleich
Wohl an Gemütlichkeit.
Wir war'n als Dorf schon kreuzfidel,
Als Stadt auch woll'n wir's sein;
Mit Traurigkeit, bei meiner Seel',
Läßt man sich hier nicht ein.
O blüh' und gedeihe Jahrtausende noch,
Mein liebes Rixdorf leb' hoch, hoch, hoch!

Die Zukunft Rixdorfs bildet das Gesprächsthema der frohen Zecherrunde, wobei >Onkel Schulze<, ein glühender Lokalpatriot, sein lebhaftes Bedauern darüber kundgiebt, daß es ihm nicht vergönnt ist, zu sehen, wie es in hundert Jahren, im Jahre 2000, wohl in unserer Stadt aussehen werde ... Dabei stellt sich heraus, daß er selbst in die Begeisterung, welche die herrliche Boddinfeier hervorgerufen, den Pegasus erstiegen und ein >Loblied Rixdorfs< verbrochen hat, das er seinen Freunden zum besten geben muß und auch in deren Herzen jubelnden Widerhall findet, denn es trifft den Nagel auf den Kopf. Der erste Vers des Liedes lautet:
Von allen Städten auf der Welt
Am besten Rixdorf mir gefällt;
Es ist so freundlich hier und nett,
Wohin man schaut, es ist adrett
Birgt auch sein Schoß nicht Erz und Gold,
Sind uns doch andre Schätze hold.

Und nun zählt >Onkel Schulze< die Schätze Rixdorfs auf, welche in seiner Industrie und seinem Gewerbefleiße bestehen, sowie in den Diluvialfunden aus den Rixdorfer Kiesgruben, welche in den Museen aller Welt zu finden sind. Begeistert klingt der Vers alsdann in den Refrain aus:
O Rixdorf, schöne Stadt,
Die solche Schätze hat,
Du bleibest allezeit
Mein Stolz und meine Freud!

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Des weiteren besingt Schulze die Rixdorfer Wohltätigkeit und Hilfsbereitschaft, den treuen Bürgersinn, dem in erster Linie der Ort sein Aufblühen verdankt, und schließlich auch die Rixdorfer Damen, denn:
Willst, Jüngling, Du ein Mädchen frein,
So darf es nur aus Rixdorf sein!

Die animierte Stimmung der Vereinsmitglieder erreicht damit den Höhepunkt. >Onkel Schulze< hat aber in der Begeisterung doch zu tief ins Glas geguckt, wie das ja mitunter auch anderen Leuten ergehen soll, und während des allgemeinen Aufbruchs sinkt er unbemerkt von seinem Stuhl unter den Tisch, während seine Freunde der Meinung sind, er sei ihnen schon vorausgeeilt. Das Lokal wird darauf geschlossen und Schulze schläft unterm Tisch den Schlaf des Gerechten, noch im Traum vom Jahr 2000 phantasierend. Die von den Zechern aus den Flaschen befreiten Wein- und Sektgeister geben sich nun ein Stelldichein, entdecken den besiegten Zecher und wollen an demselben ihren Uebermut auslassen. Da erscheint das >Berliner Kindl< als Schulze's Schutzgeist auf der Bildfläche, denn >für gewöhnlich ist es seine Labe, wie jeden ehrsamen Bürgers dieser Stadt<, wie es auch von sich sagen kann:

 

Ankündigung des Theaterstücks im »Rixdorfer Tageblatt«

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Wer mich einmal gekostet,
Der läßt nicht mehr von mir,
Der trinket nur zeitlebens
Das gold'ne >Kindl<-Bier!

Man kommt schließlich dahin überein, den Zecher im Traum ins Jahr 2000 zu führen, damit man sich an seiner Enttäuschung freuen kann, wenn er am Morgen in der Gegenwart wieder erwacht. Damit schließt das erste Bild.«
     Diese Rezension erschien im »Rixdorfer Tageblatt«, und so ist die wohlwollende Besprechung des Werkes des eigenen Lokalredakteurs zu verstehen. Den weiteren Fortgang der Geschichte müssen wir aus verschiedenen Besprechungen, auch von späteren Aufführungen, zusammensetzen:
     Man hat Onkel Schulze im Jahr 2000 in einem verfallenen Bierkeller in der Bergstraße (heute: Karl-Marx- Straße, südlich der Rollbergstraße) schlafend aufgefunden. Es stellt sich heraus, daß er schon seit 1899 dort in Morpheus' Armen ruhte. Alle Welt ist über das Wunder erstaunt, und Schulze, der als Ehrengast im Hause des Oberbürgermeisters Aufnahme gefunden, ist der Mann des Tages – »ein modernes Dornröschen«, wie auch der zweite Akt betitelt ist. Die Tochter des Bürgermeisters ist Gattin des städtischen Badearztes Dr. Stürmer, und beide machen Schulze mit dem neuen Rixdorf vertraut. Es konnte eine wundersame Heilquelle entdeckt werden, zu der Tausende aus aller Welt pilgern. So ist unsere Stadt reich und in aller Welt berühmt geworden.

In allen Rixdorfer Institutionen sind Frauen vertreten. Die Stadt hat sich bis nach Buckow ausgedehnt. Selbstverständlich gibt es ein eigenes Opernhaus, in einer gewaltigen Kuppelhalle ist das Rixdorfer Museum untergebracht; der Museumsgründer Emil Fischer selbst hatte noch den Grundstein gelegt. Die »Alma Mater Rixdorfia« – eine eigene Universität! – steht auf dem Rahmigplatz. Auch andere Lokalpolitiker sind im Stadtbild verewigt, allen voran Hermann Boddin. Es gibt einen Sanderplatz, die Bürknerallee, die Marggraf- Eiche und die Thiemanngrotte.
     Alles funktioniert elektrisch, selbst die Bestattung der Toten. Diese werden nämlich elektrisch eingeäschert, um die Urnen in einem herrlichen Mausoleum beizusetzen. Friedhöfe gibt es nicht mehr. Das Verkehrswesen wird seitens der Stadt selbst geregelt. Es gibt nach überall hin elektrische Untergrundbahnen, dazu Schwebebahnen bei 10 Pfennig Gebühr für drei Stunden Fahrt. Mit dem lenkbaren Luftschiff und dem elektrischen Flugapparat kann man die schönsten Reisen für billiges Geld, an dem überhaupt kein Mangel mehr ist, unternehmen. Das »Rixdorfer Tageblatt« erscheint täglich dreimal, es bringt sogar Funkgespräche mit den Marsbewohnern.
     »Im Rixdorfer Stadtpark im Jahre 2000« spielt der dritte Akt. Dieser ist aus dem einstigen Tempelhofer Felde entstanden. Die Rixdorfer Alpen (die zwischen der heutigen Karl-Marx- und Hermannstraße gelegenen
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Rollberge, die damals Neubaugebiet wurden und für den Häuserbau abgetragen wurden) sind in einen Gebirgspark verwandelt. Inmitten des großartigen Stadtparkes steht ein Lustschloß des Herrscherhauses. Mittels Fernhörer werden die Aufführungen des Rixdorfer Opernhauses in den Stadtpark (ebenso wie in die Wohnungen) übertragen. Hier befindet sich das Denkmal für Hermann Boddin. An diesem Brunnen feiern die dankbaren Rixdorfer alljährlich den Geburtstag ihres ersten Bürgermeisters mit einem großen Volksfest. »Auch Schulze hat Gelegenheit, einem solchen beizuwohnen. Dazwischen spielen auch einige Liebesgeschichten, die hübsch erfunden sind und viel Heiterkeit erregen.« Zwei Fragmente der Gesangseinlagen sind überliefert, nämlich das Walzer- Couplet mit dem Refrain:
Ja, es giebt nichts schön'res auf dem Erdenrund —
Als ein Zusammentreffen in stiller Abendstund

sowie das Duett:
Im Jahre Zweitausend zur Rosenzeit,
da hab' ich mein Schätzlein gefunden.

Überdies wird von einem durch Herrn Tanzlehrer Meisel einstudierten »Tanz des kleinen Pärchens aus dem Jahre 2000« berichtet; dieses »Tanz-Duett des allerliebsten Rokkokko- Pärchens en miniature« bildete einen der Glanzpunkte der Aufführung und fand stürmischen Beifall.

Der vierte Akt »Am Schiffahrtskanal auf den Köllnischen Wiesen« würdigt wohl die Bedeutung dieser neuen Verkehrsverbindung, der man Ende des letzten Jahrhunderts eine wachsende Bedeutung für die Rixdorfer Industrie zuschrieb. In der ganzen Welt herrscht allgemeiner Volkswohlstand, denn längst haben alle Staaten abgerüstet und einen großen Freundschaftsbund geschlossen. Nur auf dem Gebiete des Wissens und der Bildung, des Handels und der Industrie sucht ein Staat den anderen zu übertrumpfen. Auch in Rixdorf bilden die mittlerweile sprichwörtliche Arbeitsamkeit und der Gewerbefleiß die Grundlage des Wohlstands. Eine eigene Marine bringt mit ihren elektrischen Schiffen Rixdorfer Produkte in alle Welt. Diese Flotte besteht aus »lauter heiratsfähigen Rixdorferinnen«, die meist als verlobte Bräute von ihren Meerfahrten zurückkehren. Bereits bei der Boddin- Ehrung im Stadtpark hatte Schulze das »schneidige Rixdorfer Damen-Heer« kennengelernt, »in dessen Führerin er seine Gattin zu erkennen glaubt, doch bekommt ihm eine derartige Aeußerung sehr übel«. Zu den Höhepunkten der Aufführung wird immer wieder »der prächtige Reigen der weiblichen Marine« gezählt, der »famose Amazonentanz« oder auch »Lanzen- Reigen«, der auf Verlangen der Zuschauer wiederholt werden mußte. Schulze faßt seine Eindrücke zusammen:
Da staunt man mit Recht und saget bloß:
Das Jahr 2000 ist grandios
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Am Schluß des vierten Bildes versuchen einige Engländer, den Rixdorfer »Wundermann« gewaltsam nach England zu entführen, indem sie sich seiner und des Schiffes »Rixdorfia« durch Verrat bemächtigen. Mit einer erregten Volksszene schließt das Bild.
     Im fünften Bild »Ein schöner Traum« sehen wir Schulze wieder im Lokal unter dem Tisch schlafen. Die Nacht geht vorbei, die Sektgeister verschwinden, und seine Gattin nebst Vereinsbrüdern befinden sich auf der Suche nach dem Vermißten, den sie schließlich auch entdecken. (Ab der zweiten Aufführung wurde hier zur großen Erheiterung des Publikums noch ein Gendarm auf die Bühne gebracht: Durch die Stadtwerdung wurden die bisher zuständigen Teltower Gendarmen versetzt, die Berliner Polizei übernahm das Kommando.) Schulze erwacht und weiß nicht, ob er wacht oder träumt, was zu den drolligsten Szenen führt, bis er schließlich durch die Rippenstöße und eine Gardinenpredigt seiner »teuren Karoline« in die Wirklichkeit zurückkommt. Da er noch immer von »Rixdorf im Jahre 2000« schwärmt, soll er beim Frühschoppen seinen Traum erzählen, wozu er auch bereit ist, denn, so meint er:
Freunde, lasset uns das heut' Fröhlich noch genießen!
Was uns auch die Zukunft beut'
Nichts soll uns verdrießen!
Rixdorf bleibt uns allezeit
Lieb und teuer, so wie heut'.
Der Inhalt des Stückes wurde aus verschiedenen Quellen rekonstruiert, da uns der Text heute nicht mehr vorliegt und nur durch Zeitungsberichte zu erschließen ist. Auch was die Inszenierung angeht, so sind wir auf dürftige Informationen daraus angewiesen: »Es ist in Wahrheit ein abwechslungsreiches, buntbewegtes Bild, das sich dem Auge darbietet, und all der Glanz steigert sich noch bei den Lichteffekten, welche die Stimmung vorteilhaft erhöhen.« So wird von einem »raschen Tempo der Darstellung« berichtet und daß »dem Auge ein Fest bereitet wurde durch die hübsch gestellten plastischen Bilder, Dekorationen, Evolutionen usw. ... Eine besonders farbenprächtige hübsche Gruppe bildeten die um Schulze sich ergehenden Sektgeister gekrönt von dem feschen Berliner Kindl.« Auch ist von den »farbenprächtigen und originellen Kostümen im Stadtpark« die Rede, was zu dem Schluß führt: »Die Trachtenfrage im Jahre 2000 war damit aufs glänzendste gelöst.« – Nur wissen wir leider nicht, wie diese Lösung aussah. Allerdings hat das namhafte Rixdorfer Fotoatelier Stange von einer Aufführung im Jahre 1907 Fotos erstellt, welche im Blumengeschäft Bading ausgestellt und verkauft wurden. Vielleicht lassen diese bis heute nicht wiederentdeckten Aufnahmen Rückschlüsse auf das Stück und seine Inszenierung zu.
     Während das »Rixdorfer Tageblatt« die Premiere enthusiastisch feierte, reagierte das Konkurrenzblatt, die »Rixdorfer Zeitung«,
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Das Deutsche Wirtshaus in Rixdorf – Ort der Premiere

bei allem Lob, das sie den Darstellern zollte, mit einer eher lauen Besprechung:
     »Dem Stück liegt die nicht mehr neue Idee von einer imaginären Welt im Jahre 2000 unserer Zeitrechnung zugrunde. Es wird uns in dem Stück nicht eine logisch gegliederte, in sich abgeschlossene Handlung geboten, sondern es stellt sich als ein Nebeneinanderreihen von komischen und
teilweise phantastischen Szenen dar, von denen einige ... als etwas gewagt erscheinen. Für den Lokalpatrioten haben die einzelnen Szenen jedoch großen Reiz, da sie die drolligsten Situationen und auch bisweilen einen recht pointierten und witzigen Dialog enthalten. Jedenfalls amüsiert man sich bei dem Stück, man lacht und applaudiert, und das ist doch die Hauptsache.«
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So oder so, das Stück war Stadtgespräch, und auch in diversen Zeitungsmeldungen wurde immer mal wieder Bezug auf diesen Zukunftsentwurf genommen. Es gab im September 1899 einige bestens besuchte Aufführungen, doch hatte das Ensemble Schwierigkeiten, »das zur Darstellung erforderliche kolossale Personal zu erhalten«. Mitte Dezember 1899, kurz vor der Jahrhundertwende, wurde zu einer fünften und letzten Aufführung eingeladen.
     Im März 1907, nach über sieben Jahren, griff das Ensemble wieder auf das Stück zurück und setzte einige Vorführungen an. Das Stück wurde in der Vorankündigung zwar als Novität gepriesen, doch gab man redlicherweise zu, daß es sich um die Reprise einer schon vor Jahren aufgeführten Lokalkomödie handelt. »Inzwischen ist vieles, was damals als Zukunftstraum erschien, in Erfüllung gegangen, weshalb das Stück eine gänzliche Umarbeitung erfahren hat.« Zu den Änderungen gehört vor allem eine Straffung des Stückes auf drei Bilder. Auch spielt die Eingangsszene nunmehr im Klemkeschen Lokal, wo die Gründung des 500. Rixdorfer Vereins gefeiert wird, und zwar des »Vereins zur Hebung des Fremdenverkehrs in Rixdorf«. Zum Vorsitzenden wird der biedere Rentier Schulze gewählt, gewissermaßen als Entschädigung dafür, daß man ihn bei der Stadtverordnetenwahl übergangen hat, obwohl er sich heiß um eine Kandidatur bemühte – Lokalpolitik bester
Sorte. Die Besetzung ist eine völlig andere, lediglich Paula Frey brilliert weiterhin in ihrer Doppelrolle als Berliner Kindl und als Tochter des Bürgermeisters. Herr Georg Noster, der schon 1899 die Inszenierung besorgt hatte, übernahm auch diesmal diese Aufgabe und spielte selbst in der Rolle des Badearztes. Doch obwohl das »Rixdorfer Tageblatt« von der »durchschlagenden Wirkung des hübschen Lokalstücks« sprach und voraussagte, daß es »noch lange auf dem Repertoire des Theater- und Unterhaltungsvereins verbleiben dürfte«, verschwand es nach drei Aufführungen endgültig in die Geschichte.

Bildquellen: Archiv Autor, Heimatmuseum Neukölln

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