22   Probleme/Projekte/Prozesse Gustav Adolph Schlöffel  Nächste Seite
Kurt Wernicke
Schlöffels neue Spuren

Gerade noch rechtzeitig für eine Veröffentlichung im 150. Todesjahr von Gustav Adolph Schlöffel (1828–1849) ist als Folge unseres Artikels »Die Spuren eines Revolutionärs« (BM 6/99) eine weitere Illustration aufgetaucht, auf der sich ein Porträt des jungen hitzköpfigen Agitators und Publizisten befindet. Es handelt sich allerdings wiederum um eine Karikatur aus dem Jahre 1848 – wie schon das im Juni vorgestellte Porträt auf eine Berliner Karikatur zurückgeht. Den Hinweis auf diese zweite verdanken wir Dorothea Minkels, die sie beim Studium in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Berlin/PK entdeckte, wo auch Porträts und Einblatt- Illustrationen verwahrt werden.
     Die Karikatur »Demonstration« bezieht sich eindeutig auf das Fiasko der zum Gründonnerstag, dem 19. April 1848, angekündigten Massendemonstration von erwarteten 60 000 Teilnehmern, die der Forderung der demokratischen Linken nach direkten statt von der liberalen Märzregierung

verordneten indirekten Wahlen Nachdruck verleihen sollte. Im Vorfeld war tagelang von Regierung, Magistrat, Unternehmern und »ruhigen Bürgern« gegen die Manifestation gewühlt worden. Auch populäre Linke und die Vertreter der Berliner Arbeiter hatten sich aus der Vorbereitung des Vorhabens zurückgezogen, da sie bei möglicherweise vorkommenden gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Ordnungsmacht Bürgerwehr unkalkulierbare Risiken hinsichtlich eines von allen verabscheuten neuerlichen Einsatzes des seit Ende März in Berlin wieder präsenten Militärs befürchten mußten. Statt der angekündigten Zehntausende erschienen nur einige tausend Demonstranten an den verkündeten Sammelstellen, und diese zerstreuten sich auf die Nachricht von entschlossener Haltung der Bürgerwehr. Die Führer der Bewegung versagten ziemlich kläglich: Es kam nicht an einer einzigen Stelle zu zündenden Auftritten, und der Weisheit letzter Schluß war dann die Parole, sich an der legendären Versammlungsstätte der stürmischen Märztage, in den »Zelten« am Nordrand des Tiergartens, zu treffen, wo dann allerdings –
Gustav Adolph Schlöffel, Ausschnitt aus der Karikatur »Demonstration«
SeitenanfangNächste Seite


   23   Probleme/Projekte/Prozesse Gustav Adolph Schlöffel  Vorige SeiteNächste Seite
Karikatur »Demonstration«, Lithographie von Julius Böhmer, 1848
weitab vom Schuß – wieder von demokratischer Entschiedenheit kündende Reden gehalten wurden. Allerdings war die Bürgerwehr gar nicht so entschlossen gewesen, einer wirklichen Massendemonstration mit Gewalt entgegenzutreten, und das Antreten der einzelnen Bataillone hatte erstens recht lange gedauert und zweitens viele Wehrmänner gerade an diesem Tage krank sein lassen. Das muß man wissen, um die von Julius Böhmer (Lebensdaten unbekannt) offenbar direkt auf den Stein gezeichnete Lithographie verstehen zu können (es wird kein Zeichner genannt, sondern nur der Lithograph). »Reißt aus, reißt aus, reißt alle aus! Dort steht ein constitutionelles Schilderhaus!« spielt mit der Schnecke unter dem Schilderhaus auf die unentschlossenbehäbige Bürgerwehr an,
SeitenanfangNächste Seite


   24   Probleme/Projekte/Prozesse Gustav Adolph Schlöffel  Vorige SeiteNächste Seite
amüsiert sich aber noch mehr über die Hasenfüßigkeit der vorher so scharfzüngigen linken Publizisten – sie werden durch die Gänsefeder als Berufsattribut des Literaten charakterisiert. Vier von diesen werden direkt angesprochen: Friedrich Wilhelm Held (1813–1872), der eine Lokomotive auf seiner Kopfbedeckung trägt (»Die Locomotive« hieß das von ihm publizierte streitbare Blatt); Dr. Ludwig Eichler (1815–1870) ist durch die Eichenblätter am Hut gekennzeichnet; der pausbäckige Bursche ist schlecht zuzuordnen – er könnte auf Adolph Glaßbrenner (1810–1876) anspielen; der vierte ist, um keine Irrtümer aufkommen zu lassen, mit einem großen (Koch-) Löffel ausgerüstet, vor den »Sch« gesetzt ist – also ist Schlöffel gemeint.
     Zieht man das – gewiß ebenfalls karikierte – Porträt Schlöffels aus der karikierenden Darstellung heraus, kann man mit dem Wissen
 

um den von uns im Juni-Heft mitgeteilten Steckbrief, den die Polizei hinter dem flüchtigen Schlöffel herjagte, nichtdestoweniger auf eine ziemliche Porträtähnlichkeit insistieren: blondes Haar, gewölbte Stirn, hervorstehende gebogene Nase, rundes Kinn, blasse Gesichtsfarbe, schlanke Gestalt. Wir haben es also eindeutig mit einem zweiten Schlöffel- Porträt zu tun!
Theodor Hosemann, Agitator bei den Rehbergen; Lithographie nach einer Zeichnung vom April 1848
SeitenanfangNächste Seite


   25   Probleme/Projekte/Prozesse Gustav Adolph Schlöffel  Vorige SeiteAnfang
Schlöffels langgetragenen blonden Haare machen deutlich, daß Theodor Hosemann (1807–1875), als er im April 1848 eine Versammlung der Notstandsarbeiter in den Rehbergen aufs Papier bannte, einen anderen Redner antraf, der während des Malers und Zeichners Besuch im Begriff war, die Arbeiter zu agitieren. Da der von Hosemann skizzierte dunkelhaarige Redner als Kopfbedeckung einen sogenannten Stürzer trägt, wie er damals typisch für Studenten war, und eine Steckpfeife in der Hand hält – auch ein beliebtes studentisches Attribut –, ist er der Studentenschaft zuzuordnen.
     In Frage kommt in erster Linie Paul Boerner (1829–1885), Medizinstudent, Mitglied im Fliegenden (Bürgerwehr-) Korps der Studentenschaft – und zwar dort in der radikaldemokratisch geprägten »Rotte Monecke« – der in seinen nachgelassenen Erinnerungen die »Rehberger« treffend zu schildern wußte. Möglich wäre auch

Paul Börner

 

Edmund Goswin Monecke

Boerners »Rotten«- Führer, der Theologiestudent Edmund Goswin Monecke (1826–1871), der mit Schlöffel so eng vertraut war, daß er nach dessen Verurteilung und Abtransport zur Festung Magdeburg noch zwei Ausgaben des Schlöffelschen Blattes »Der Volksfreund« herausbrachte, bevor er selbst wegen Majestätsbeleidigung in die Hände der Justiz fiel. Vergleiche mit einem Foto von Monecke, das nach dessen zweijähriger Festungshaft ca. 1851/52 angefertigt wurde, und einem ca. 1858 entstandenen Fotoporträt Boerners schließen beide Vermutungen nicht unbedingt aus.

Bildquellen:
Staatsbibliothek zu Berlin/PK, Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Zentrum für BerlinStudien, Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin- Nikolassee, Stadtarchiv Schönebeck/ Elbe

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de