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Bernhard Meyer
6. Dezember 1850:
Helmholtz informiert über den Augenspiegel

Hermann Helmholtz (1821–1894, BM 6/92 und 9/94)), der später als bedeutender Physiologe und Physiker für seine wissenschaftlichen Leistungen in den Adelsstand erhoben wird, schickt am 6. Dezember 1850 ein Manuskript an die Physikalische Gesellschaft in Berlin. Knapp einen Monat vorher, am 11. November, hat er bereits einen Vortrag im Verein für wissenschaftliche Heilkunde in Königsberg, dessen Vorsitzender er seit kurzem ist, dazu genutzt, über seine Erfindung, den Augenspiegel, zu referieren. Zu diesem Zeitpunkt ist der Absolvent der militärmedizinischen Pépinière in Berlin, der in den folgenden Jahren Professuren an vielen Universitäten haben und in Berlin Physik lesen wird, Professor für Physiologie an der Universität Königsberg mit einem Salär von 800 Talern.
     In einem Brief an seinen Vater, Ferdinand Julius Helmholtz (1792–1859), der in Potsdam als Gymnasialprofessor lebt und über alle wissenschaftlichen Vorhaben seines Filius genauestens unterrichtet sein will, spricht er fast beiläufig von seiner Erfindung. In dem Brief vom 17. Dezember 1850

berichtet er ausführlich über seine schon länger währenden Untersuchungen über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nervenreizung, ehe er gegen Ende des Schreibens anmerkt:
     »Außerdem habe ich bei Gelegenheit meiner Vorträge über Physiologie der Sinnesorgane eine Erfindung gemacht, welche möglicherweise für die Augenheilkunde von dem allerbedeutendsten Nutzen sein kann. Sie lag eigentlich auf der Hand, erforderte weiter keine Kenntnisse, als was ich auf dem Gymnasium von Optik gelernt hatte, daß es mir jetzt lächerlich vorkommt, wie andere Leute und ich selbst so vernagelt sein konnten, sie nicht zu finden. Es ist nämlich eine Kombination von Gläsern, wodurch es möglich wird, den dunklen Hintergrund des Auges durch die Pupille hindurch zu beleuchten, und zwar ohne ein blendendes Licht anzuwenden, und gleichzeitig alle Einzelheiten der Netzhaut genau zu sehen, sogar genauer, als man die äußeren Teile des Auges ohne Vergrößerungen sieht, weil die durchsichtigen Teile des Auges dabei die Stelle einer Lupe von 20maliger Vergrößerung für die Netzhaut vertreten. Man sieht die Blutgefäße auf das zierlichste, Arterien und Venen verzweigt, den Eintritt des Sehnerven in das Auge usw ... Durch meine Erfindung wird die speziellste Untersuchung der inneren Gebilde des Auges möglich.«
     Helmholtz konstruierte einen einfachen Apparat, brachte darin einige Brillengläser
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und Linsen unter: Nach acht Tagen hatte ich die große Freude, der Erste zu sein, der eine lebende menschliche Netzhaut sah, berichtete er Jahre später. Klarheit und Schärfe theoretischen Denkens führte Helmholtz zu seiner genauer Anschauung der anatomischen Bedingung des Sehens verbunden.
     Bei der Vorbereitung seiner Vorlesungen hat sich Helmholtz näher mit den Arbeiten seines Studienfreundes, des nach Wien
Erfindung, denn er besaß weder Erfahrungen als praktischer noch als Augenarzt.
     An der Universität Königsberg interessierten ihn ohnehin besonders die physikalischen Aspekte des Faches. Der physiologische Fachkollege und Studienfreund Emil du Bois-Reymond (1818–1896, BM 6/94) bescheinigte ihm mit Blick auf den Augenspiegel: Noch nie hatte sich die vollendete Kenntnis der physikalisch- mathematischen Optik mit ebenso

Zwei alte Exemplare des Augenspiegels von Helmholtz, mit einem Satz auswechselbarer konkaver Linsen
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berufenen Physiologen und Mitbegründers der experimentellen Medizin Ernst Wilhelm Brücke (1819–1892) befaßt. Brücke wollte beispielsweise die Ursache für die Reflektion der Augen der Katze herausfinden. Aber auch er konnte nicht klären, welchem optischen Bilde die aus dem leuchtenden Auge zurückkommenden Strahlen angehörten. Die Helmholtzsche Erklärung war schließlich der entscheidende Schritt zum Augenspiegel.
     Bis dato war das Innere des Auges eines Menschen für Ärzte total unsichtbar und damit der Diagnostik der sich gerade von der Chirurgie abnabelnden Augenheilkunde verschlossen. Dennoch stand das mangelhafte optische Verständnis der Ärzte sowie die zunächst noch komplizierte Handhabung des Spiegels seiner schnellen Verbreitung hindernd im Wege. Ein Arzt behauptete gar, der Spiegel sei nur für Kollegen mit schlechten Augen nötig. Der Ordinarius für Chirurgie an der Charité, Johann Christian Jüngken (1793–1875), sprach von einem gefährlichen Instrument, da grelles Licht in kranke Augen gelänge, und lehnte deshalb die Benutzung rundweg ab. Erst auf Umwegen erfuhr der in Berlin schon namhafte Augenarzt Albrecht von Graefe (1828–1870) von dem Instrument und erbat sich in einem Schreiben vom 7. November 1851 als Unbekannter, als Arzt- Operateur in Berlin ein oder zwei Augenspiegel von Helmholtz, die genau nach Ihren Angaben
gefertigt sein sollten, um sie als augenärztlicher Fachmann zu erproben.
     Die Popularisierung des technisch ständig verbesserten Augenspiegels durch den späteren Charité- Ordinarius Graefe trug maßgeblich zur Begründung der wissenschaftlichen Ophthalmologie bei.
     All die von Helmholtz entdeckten physikalischen Gesetze und medizinisch- physiologischen Vorgänge sowie alle Ehrungen und die vielen Ämter vermochten nicht, seinen Namen so bekannt zu machen, wie die Erfindung des Augenspiegels. Am Ende seines Wissenschaftlerlebens resümierte er anläßlich seine 70. Geburtstages in einer Tischrede, daß der Augenspiegel wohl die populärste meiner wissenschaftlichen Leistungen geworden sei. Dennoch stellte der Spiegel in seiner Forschung nur eine etwa dreimonatige Episode dar – die technische Vervollkommnung überließ er anderen, während das umfassende Thema Nervenreizung ihn in Königsberg vorerst wieder voll in Anspruch nahm.

Bildquelle: Archiv

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