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Joachim Bennewitz
»So kehrst du, Allgeliebte! endlich wieder«

Die Rückkehr des preußischen Königspaares nach Berlin

Am 23. Dezember 1809 bewegte sich ein langer Zug von Kutschen, Reitern und beladenen Wagen auf der Chaussee von Freienwalde nach Berlin. Er war gegen acht Uhr aufgebrochen, nachdem die Reisenden die Nacht in dem an der Alten Oder gelegenen Ort verbracht hatten. Nun hatte die letzte Etappe der langen Reise begonnen, sie sollte schließlich zu einem prunkvollen Einzug in die seit drei Jahren von König und Regierung verlassene Residenzstadt führen.
     Nach der verheerenden Niederlage der preußischen Armee bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 war das Monarchenpaar, König Friedrich Wilhelm III. (1770–1840, König ab 1797) und Königin Luise (1776–1810, ab 1793 mit Friedrich Wilhelm verheiratet), das sich vor der Schlacht in der Nähe der Armee aufgehalten hatte, vor dem sofort weiter nach Berlin marschierenden Napoleon geflohen. Während der französische Kaiser zwei Wochen später in die Hauptstadt einrückte, reiste die Königin ihren bereits nach Königsberg evakuierten

Kindern nach, wo sie Anfang Dezember, an Typhus erkrankt, eintraf. Vor den eilig nach Osten nachrückenden Truppen des Kaisers folgte schon im Januar 1807 die Weiterreise nach Memel. Am 9. Juli fand in Tilsit die Unterzeichnung des Friedensvertrages statt, jenes Vertrages, den Napoleon trotz des Versuches der preußischen Königin, die Bedingungen zu mildern, hart und kompromißlos diktiert hatte. Preußen mußte hohe Kontributionen zahlen, alle linkselbischen Besitzungen und den größten Teil der aus den polnischen Teilungen stammenden Gebiete abtreten. Das Land wurde auf fast die Hälfte seiner Fläche reduziert, die Bevölkerungszahl schrumpfte von zehn auf etwa fünf Millionen. Es hatte damit vorerst aufgehört, auf der europäischen Bühne eine bemerkenswerte Rolle zu spielen.
     Das Volk, das den früheren Revolutionsgeneral hassen gelernt und – nach dem Raub der Berliner Quadriga – als Pferdedieb tituliert hatte, bescheinigte auch seinem König mangelnde Durchsetzungskraft und kolportierte den Spruch: »Unser Dämel sitzt in Memel.« Nicht zuletzt wurde damit wohl auch der Ärger darüber zum Ausdruck gebracht, daß die Mehrzahl der Preußen die harte Herrschaft der Franzosen zu erdulden hatte, während der Monarch weitab vom Schuß lebte. Man quittierte den Ausgang des Krieges, ganz besonders aber die
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dann folgenden Entscheidungen, die zumeist von den französischen Forderungen diktiert waren, mit Kritik gegenüber Friedrich Wilhelm III. Luises Haltung fand dagegen Zustimmung in der Bevölkerung. Die bis zum Tilsiter Treffen von Napoleon immer wieder geäußerten Vorwürfe gegenüber der Königin und ihre Bereitschaft, dennoch die demütigende – überdies vergebliche – Zusammenkunft mit dem Kaiser durchzustehen, hatte eine Welle der Verehrung Luises ausgelöst.
     Am 16. Januar 1808 kehrten Hof und Regierung aus Memel wieder nach Königsberg zurück. Hier begannen nun die ersten Schritte zur Erneuerung des Landes, kaum vom König, im wesentlichen von den endlich zum Zuge kommenden Reformern unter dem Ersten Minister, dem Freiherrn vom Stein, vorangetrieben. Luise fiel dabei eine wichtige Rolle zu, indem sie zwischen dem selbstbewußten Stein und dem ängstlich- mißtrauischen König vermittelte bzw. den König zum Nachgeben bewog. So nahmen in Nachfolge des schon im Oktober 1807 publizierten Edikts über die Aufhebung der bäuerlichen Gutsuntertänigkeit eine Heeres- und Verwaltungsreform wie auch die neue Städteordnung von hier ihren Ausgang. Obwohl Napoleons Truppen im Dezember 1808 Berlin verlassen hatten, dauerte es noch mehr als ein Jahr, bis die Residenz wieder von Königsberg in die Hauptstadt verlegt wurde. Am 15. Dezember 1809 verließ der Hof die Stadt am Pregel.
Am 22. Dezember, gegen fünf Uhr, traf das Königspaar mit seinem Gefolge in Freienwalde ein. Die Arbeiter des Alaunwerkes begrüßten den Zug mit Fackeln, Musik und Gesang. Anschließend wurden vier Berliner Stadtverordnete zu einer Audienz empfangen. Sie überbrachten die Grüße der Bürgerschaft und brachten den Wunsch zum Ausdruck, das Königspaar möge in dem Dorfe Weißensee ein von der Stadt vorbereitetes Frühstück einnehmen. Danach wurde im Gilly- Schlößchen übernachtet, das der Königin Friederike Luise (1751–1805), Mutter des Königs, viele Jahre als Witwensitz gedient hatte. Am folgenden Tag begann die Fahrt nach dem etwa sieben Meilen entfernten Berlin, begleitet von Ergebenheitsbekundungen in allen Orten. In Werneuchen, nur noch drei Meilen vor Berlin, begann der von der Stadt vorbereitete glanzvolle Empfang des Herrscherpaares. Ab hier zierten Girlanden die vier Chausseehäuser, an den Häusern hingen Tafeln mit Grußworten.
     In Weißensee war das an der Chaussee gelegene Landhaus des Berliner Ober- Hofbaurates Moser für das Frühstück vorbereitet worden: der Vorplatz mit Sand bestreut, der Weg vor dem Haus mit Moos und Blumen bedeckt, am Eingang eine Ehrenpforte, die Bäume ringsum mit Orangenzweigen und anderen grünen Gewächsen umwunden, die im Hause gedeckte Tafel mit frischen Blumen verziert. Zwölf Mädchen, unter ihnen die Tochter des Patronatsherrn
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Empfang der königlichen Familie am 23. Dezember 1809 in Weißensee

von Schenkendorf, begleiteten die Gäste zu ihren Stühlen. Die Tochter des Berliner Bürgermeisters Büsching verlas zur Begrüßung ein Gedicht. Es war direkt an die Königin gerichtet und begann mit den Worten: »So kehrst Du, Allgeliebte! endlich wieder, zu Deinem Volk, zu Deiner treuen Stadt.« Dann wurde es, eingebunden und mit einer Zeichnung versehen, der Königin überreicht. Einem kurzen Frühstück schloß sich die von der Stadt vorbereitete Zeremonie an. Inzwischen hatten sich die Dorfbewohner vor dem Haus zu einem Spalier formiert. Da die Weißenseer Schulkinder zu einem kraftvollen Gesang nicht ausreichten, wurden sie von Schülern aus den Nachbarorten unterstützt. Der Weißenseer Schulhalter Schröder konnte den Gesang, wie ein zeitgenössisches
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Bild zeigt, mit Unterstützung seines »Bakel«, auf den er sich anschließend wie ein Feldherr stützte, dirigieren. Die Deputation des Magistrats und der erst im April nach Erlaß der Steinschen Städteordnung gewählten Stadtverordnetenversammlung nutzte die Pause nach dem Gesang zu der feierlichen Übergabe des Ehrengeschenks: einer prachtvollen Kutsche. Die »Berlinischen Nachrichten« vom Dienstag, dem 26. Dezember 1809, berichteten in einem fünfseitigen Beitrag detailliert auch über die Ausstattung des Gefährts, das die Bürgerschaft der durch den Krieg gebeutelten Stadt Berlin »als einen geringen Beweis ihrer ehrfurchtsvollen und herzlichen Ergebenheit Allerhöchstderselben darzubieten gewagt hatte«. »Der Wagen ist eine viersitzige Kutsche nach englischer Form, ... der Kutschkasten ist broncefarben und mit dem feinsten Lack ... überzogen. Die Obertafeln ... sind mit massiv silbernen Arabesken verziert, von gleichem Metall sind die Klinken an den Kutschenschlägen und haben die Form eines Adlers mit ausgebreiteten Flügeln. Alle Leisten und Schnallen, so wie die Nackenbänder und deren Schrauben, desgleichen die Stahlfedern nebst den Spiralfedern, sind stark mit Silber plattirt. Innerhalb ist der Kutschkasten mit lilafarbenem Sammet ausgeschlagen, mit Silber gestickt, und der Himmel mit dergleichen Sternen verziert.« Es folgen Angaben zu den geschliffenen Fenstern, den mit Silber
Königin Luise

 

bestickten Samtdecken für die Pferde und den mit massiv silbernen Beschlägen versehenen lackierten Ledergeschirren, den Stirnbändern, ebenfalls aus lila Samt mit Silber bestickt. Der Juwelier Lebrun hatte die Entwürfe geliefert und auch ausgeführt, der Sattler Kolbe den Wagen gebaut.
     Die Königin bestieg nach »huldvoller Entgegennahme des Geschenkes« die Kutsche. Mit ihr nahmen die elfjährige Prinzessin

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Charlotte (die spätere Zarin Alexandra Feodorowna von Rußland (1798–1860), Prinz Karl (1801–1883), ferner Prinzessin Friederike, Tochter von Luises gleichnamiger Schwester, und die Oberhofmeisterin der Königin, Gräfin Voß, Platz. Vor der Abfahrt wurde noch ein Blumenarrangement in den Wagen gereicht, hergestellt von dem auch als Stadtverordneten wirkenden bekannten Gärtner Jean David Bouché (BM 4/96), nicht zuletzt beliebt wegen seines auch vom Königshause gern frequentierten Kaffeeausschanks. »Ihre Majestät eilten nunmehr dem Könige, der unterdeß vorauf geritten war, nach.«
     Nach diesem »ländlichen Vorspiel« begann die eigentliche große Empfangszeremonie, mit der nun nach dem Magistrat auch die staatlichen Einrichtungen ihren Anteil beizusteuern hatten. Eigens aus den Kantonsquartieren in Frankfurt an der Oder und Landsberg an der Warthe abkommandierte Truppen standen, unterstützt durch das Leib-Kürassier- Regiment aus Nauen, entlang der Chaussee nach Berlin, der heutigen Greifswalder Straße. Daneben vier Artilleriebatterien, zusammen 32 Geschütze, weiter brandenburgische Ulanen und Husaren, Füsiliere, zum Schluß das Regiment Garde du Corps. Kommandiert wurde durch die obersten Offiziersgrade, die den Einheiten vorstanden, die Gesamtleitung hatte Generalleutnant von Tauentzien.
     101 Kanonenschüsse begrüßten die Ankommenden, der Vorbeimarsch des
Regiments Garde du Corps schloß sich an, dann begann der Einzug in die Stadt. An ihm beteiligten sich der König zu Pferd, die Königin mit Gefolge in der Galakutsche sowie, ebenfalls zu Roß, die Söhne, Kronprinz Friedrich Wilhelm (1795–1861, König ab 1840) und Wilhelm (1797–1888, Regent ab 1858, König ab 1861, Kaiser ab 1871). Am Bernauer Tor empfingen der gesamte Magistrat unter Führung des Oberbürgermeisters Leopold von Gerlach (1757–1813), die Stadtverordneten und die hohe Geistlichkeit Berlins das Herrscherpaar. Auch hier stand die Königin im Mittelpunkt, sie sprach aus der Kutsche Dankesworte, und wieder wurde ein Gedicht vorgetragen. Hinter dem Tor war eine große Estrade errichtet worden, auf der die bevorzugten Zuschauer Platz genommen hatten. Für andere gab es mehrere Gerüste, und von einigen Häusern entlang der Straße hatte man eilends die Dächer abgedeckt, um sie als Tribünen nutzen zu können. Auch »Der Freimüthige«, das »Berlinische Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser«, veröffentlicht bereits am Weihnachtsfeiertag seinen Bericht. Es schreibt von den vielen Vivat-Rufen, den Tränen, die in aller Augen glänzten: »II. MM. (Ihre Majestäten J. B.) waren sichtbar sehr gerührt und dankten mit der an Höchstdenenselben gewohnten Huld und Güte für diese ungeheuchelten Freudensbezeugungen.« Unter Glockengeläut und den wehenden Fahnen, die die ganze Stadt beherrschten,
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bewegte sich nun ein langer Zug durch die Straßen: Trompeter, denen 40 Postillione folgten, geführt von Königlichen Hof- Postsekretären mit gezogenen Degen. Hinter diesem Entree die Schlächterzunft in verschiedenfarbigen Uniformen mit Musik, dann eine Abteilung des berittenen Schützencorps, der Kommandierende der Parade mit dem Regiment Garde du Corps und schließlich der König selbst, hinter ihm die Prinzen und das Gefolge. Dann die Feldjäger und Stabs- Offiziere in Galauniformen, danach die Kutsche der Königin mit acht Pferden, begleitet von einer Eskorte des Schützencorps. Es folgten die Sechsspänner- Kutsche mit den Hofdamen der Königin, die bei der Parade vor dem Tor angetretenen Truppenteile und schließlich 49 Kompanien der Bürgergarde und die Angehörigen verschiedener Gewerke und Innungen wie Huf- und Waffenschmiede, Schiffbauer, Weber, Maurer, alle mit Fahnen und Insignien.
     Vor dem Schloß angekommen, mußten die Truppen noch einmal vor dem noch immer hoch zu Roß sitzenden König defilieren. Der Vorbeimarsch der Gewerke schließlich wurde vom Balkon aus abgenommen. Man mag es als Besonderheit der Situation des Landes ansehen, daß als erster – und an diesem Tage einziger – ausländischer Diplomat der französische Gesandte, Graf. St. Marsan, in Audienz empfangen wurde. Damit war das umfangreiche Tagesprogramm jedoch noch nicht abgeschlossen. Nach Einbruch der
Dämmerung fuhr das Herrscherpaar durch die »vornehmsten Straßen« der illuminierten Stadt. Bei der Rückkehr wurden sie am Schluß mit einem »dreimaligen Vivat« und einer Serenade, ausgeführt durch die Feldmusiken der beteiligten Regimenter, empfangen. Das Blatt vergißt am Ende nicht, auch darüber zu berichten: »Ausgezeichnet schöne Witterung, wie die vorhergehenden Tage und die Jahreszeit sie kaum erwarten ließen, begünstigte die Feier dieses frohen Tages, der durch keinen Unglücksfall getrübt worden ist, zu deren Verhütung aber auch, von Seiten der Polizei, die überdachtesten und kräftigst gehandhabten Anstalten das ihrige beitrugen; es waren nemlich alle diejenigen Stellen, wo vorzüglich Gefahr zu besorgen seyn konnte besonders zahlreich mit Polizei- Offizianten besetzt, desgleichen auch, auf Verfügung des Königl. Polizei- Präsidenten Herrn. Gruner, in der Nachbarschaft des Strohmes, nemlich an der Königsbrücke, im Commandantenhause, auf dem neuen Packhof und im Königl. Schlosse Rettungs- Apparate und die zu denselben verordneten Wundärzte in Bereitschaft vorhanden.« Die Hungersnot des Vorjahrs war vergessen, auch die Epidemien, die besonders die Mittelmark und wohl auch Berlin im Gefolge des Krieges heimgesucht hatten.
     Zur dauernden Erinnerung an den Einzug in Berlin wurden durch Kabinettsorder vom 10. April 1810 das Bernauer Tor in Königstor
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Das Gasthaus »Zum grünen Baum«, das 1928 abgebrochen wurde
und die in Verlängerung der Königstraße liegende Bernauer Straße in Neue Königstraße umbenannt. Am gleichen Tage siedelte Luise nach Potsdam über. Nach ihrem frühen Tod, sie wurde nur 34 Jahre alt, fand sie ihre letzte Ruhestätte in einem Mausoleum im nahe gelegenen Charlottenburg.
     Um 1880 erhielt der in der gerade gegründeten Gemeinde Neu- Weißensee gelegene Teil der früheren Dorfstraße den Namen Königs- Chaussee. Als diese 1910 Teil der Berliner Allee wurde, gab es im Hinblick auf den 100. Todestag der Königin in der Gemeinde Diskussionen, eine Luisenallee oder sogar den ganzen Ort Luisensee zu benennen.
Diese Vorschläge wurden nicht verwirklicht. Zum Gedenken an den Tag jedoch beschloß man die Errichtung eines Denkmals in der Nähe des Ortes, an dem das Frühstück stattgefunden hatte. An dem Haus, das inzwischen zur Gaststätte »Zum grünen Baum« geworden war, wurde eine Gedenktafel angebracht.
     Das Gasthaus mußte 1928 der Straßenverbreiterung weichen. Der Verbleib der Tafel liegt im dunkeln. Das Denkmal konnte, nachdem zuerst das Geld nicht reichte, erst 1934 im Park aufgestellt werden. Es stand nicht einmal zehn Jahre; im Zweiten Weltkrieg kam es in den Schmelzofen.
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© Edition Luisenstadt, 1999
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