67   Im Detail Neue Rathausbrücke  Nächste Seite
Helmut Caspar
Neue Rathausbrücke ohne Kurfürst

Für 9,7 Millionen Mark wird bis zum Jahr 2001 zwischen Nikolaiviertel und Schloßplatz eine neue Rathausbrücke gebaut, weil die alte, nach dem Zweiten Weltkrieg als Provisorium erbaute weder funktional noch konstruktiv heutigen Anforderungen entspricht. Außerdem gewährleistet sie an dieser Stelle die Passage für große Europa- Schiffe nicht. Preisträger eines von der Senatsbauverwaltung ausgeschriebenen Wettbewerbs ist der Berliner Architekt Walter A. Noebel. Seine etwa 40 Meter lange Spreebrücke, die wegen der Passage der Schiffe eine leicht gebogene Kontur hat, nimmt alle notwendigen Versorgungsleitungen in sich auf und wird durch schmale Pfeiler gestützt. An den oberen Enden dieser Säulen werden verspiegelte Lampen installiert, die das mit Granitplatten verkleidete Bauwerk anstrahlen sollen. Geplant ist, den Uferweg vom Palast der Republik unter die Brücke zu führen und hier einen kleinen Ruheplatz mit Bänken anzulegen. Auf der anderen Seite kann sie vom Nikolaiviertel bis zum Marx-Engels- Forum unterquert werden.

Mit der Entscheidung für den Brückenbau nach Noebels Zeichnungen sind alle Pläne vom Tisch, das im Jahre 1700 von Johann Jacobi (1664–1725) nach einem Modell von Andreas Schlüter (1660–1714) in einem Stück gegossene Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620–1688, Kurfürst ab 1640) vom Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg wieder auf die Rathausbrücke zurückzuführen, wo es bis zum Zweiten Weltkrieg stand (BM 2/1998). Wegen des Streits zwischen Bauverwaltung, Kulturverwaltung, Denkmalschutz und Preußischer Schlösserstiftung um eine Rückkehr des Bronzemonuments an den alten Standort hatte sich die Entscheidung über den Wettbewerb verzögert. Wie daran erinnert wird, daß an dieser wichtigen Stelle eines der bedeutendsten Reiterdenkmäler der Barockzeit gestanden hat, soll noch geklärt werden. Der Architekt denkt an eine bildliche Darstellung im Geländer.
     Die Rathausbrücke, die früher Lange Brücke hieß und 1895 offiziell in Kurfürstenbrücke umbenannt wurde, ist nach dem Mühlendamm die zweitälteste Brücke Berlins. Im Jahr 1307 überspannte an der heutigen Stelle bereits eine Holzbrücke die Spree und verband Berlin und Cölln. Auf der Mitte stand ein für beide Schwesterstädte zuständiges Rathaus. Unter dem Großen Kurfürsten 1661 als Holzkonstruktion erneuert, wurde die Lange Brücke von 1692 bis 1695 auf Befehl des Kurfürsten Friedrich III.,
SeitenanfangNächste Seite


   68   Im Detail Neue Rathausbrücke  Vorige SeiteNächste Seite
ab 1701 König Friedrich I. in Preußen, durch einen repräsentativen Steinbau mit fünf Öffnungen ersetzt. Dieser macht- und prestigebewußte Herrscher, als Gründer zweier Akademien in Berlin und der Universität in Halle auch ein bedeutender Förderer der Künste und Wissenschaften, demonstrierte durch aufwendige Staatsbauten seine herausragende Stellung im Konzert der deutschen Fürsten. Der Entwurf für die Lange Brücke stammt von Johann Arnold Nering (1659–1695), während die Ausführung in den Händen des französischen Ingenieurs Jean Louis Cayard lag. Die drei mittleren Bögen dieses damals viel gefeierten architektonischen Wunderwerks besaßen eine lichte Weite von je acht, die Randbögen von je sechs Metern. Die gepflasterte Fahrbahn war 7,50 Meter breit, dazu kamen Gehwege von 2,50 Metern, die mit Granitplatten belegt waren.
     Der Brücke war in der Mitte ein gut acht Meter langes Podest vorgelagert, auf dem das 1703 enthüllte Reiterdenkmal stand. Der wie ein römischer Imperator kostümierte Große Kurfürst schaut hinüber zum Schloß. Zu seinen Füßen bitten vier angekettete Sklaven um Gnade. Eine gekrönte Wappentafel mit lateinischer Widmung sowie Allegorien zu beiden Seiten des Sockels verherrlichen den Wiederaufstieg Brandenburg- Preußens nach dem Dreißigjährigen Krieg unter der Regentschaft des Reiters und seines Sohnes. 1896 wurde die Lange
Brücke, die im frühen 19. Jahrhundert ein gußeisernes Geländer erhalten hatte, durch einen reich verzierten Neubau ersetzt. Er hatte drei Bogenöffnungen mit einer lichten Weite von 15 Metern und war in seiner eindrucksvollen Dimension – Fahrbahn zehn Meter, Gehsteige je 3,90 Meter – den Abmessungen der Königstraße, der heutigen Rathausstraße, angepaßt. Die Veränderungen waren nötig, um den mittlerweile sehr groß gewordenen Spreekähnen die Passage zu ermöglichen. Kaiser Wilhelm II. (1859–1941, König und Kaiser 1888–1918) ließ den Standort des Reiterdenkmals erhöhen und einen neuen Sockel anfertigen. Das ursprüngliche Postament aus dem frühen achtzehnten Jahrhundert wurde auf Initiative des Berliner Museumsdirektors Wilhelm von Bode (1845–1929) gerettet. Die galvanoplastische Kopie des Schlüterschen Reiterdenkmals steht auf dem Marmorsockel in der Mitte der Großen Kuppelhalle des Bodemuseums, das 1904 als Kaiser-Friedrich- Museum eröffnet wurde.
     Die vor 300 Jahren als architektonische Sensation gefeierte Lange Brücke wurde vom brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. als so wichtig erachtet, daß er eine Gedenkmedaille mit seinem Bildnis und der Brückenansicht prägen ließ. Wie die von Raimund Faltz geschaffene Prägung von 1692 erkennen läßt, sollte der laut Medailleninschrift »zum öffentlichen Nutzen und zum Glanz der Stadt« errichtete Weg über
SeitenanfangNächste Seite


   69   Im Detail Neue Rathausbrücke  Vorige SeiteAnfang

Kupferstich aus dem Buch »Historischer Schauplatz der merkwürdigen Brücken«, Leipzig 1735

die Spree in Sichtweite des Schlosses, das noch als altertümliche Renaissance- Burg mit vielen spitzen Türmen dargestellt ist und wenig später von Andreas Schlüter barock umgestaltet wurde, durch weiteren figürlichen Schmuck verziert werden. In alten Beschreibungen ist von Hohenzollern- Bildnissen die Rede. Jedenfalls erheben sich auf dieser seltenen Prägung zu Seiten des Reitermonuments weitere Plastiken. Darstellungen aus dem 18. und 19. Jh. allerdings lassen diesen zusätzlichen Brückenschmuck vermissen. In Friedrich Nicolais »Beschreibung der königlichen Residenzstadt Berlin« von 1786 ist nur noch von »unten liegenden Seegöttern und Najaden« und von »Laternen zur nächtlichen Erleuchtung« die Rede.

Foto: Archiv Autor

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de