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Gerhard Keiderling
Heißes Pflaster im Kalten Krieg

Der Potsdamer Platz zwischen 1945 und 1990 (II)

Einem Paukenschlag gleich riß der 13. August 1961, der Tag des Mauerbaus, den Potsdamer Platz aus seinem politischen Dornröschenschlaf, in den er Ende der 50er Jahre versunken war. Noch einmal rückte er in den Brennpunkt der großen Politik. Als in den 70er Jahren der Entspannungsprozeß zwischen Ost und West vorankam, wurde es wieder ruhiger.
     Damals erstreckte sich hinter der Grenzmauer zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor eine öde Brache. Von einer Plattform auf der Westseite warfen tagtäglich mit Bussen herbeigekarrte Besuchergruppen mit Abscheu und Verwunderung einen Blick auf die Hauptstadt der DDR. Erst die stürmischen Ereignisse im Herbst 1989 brachten unverhofft neues Leben in den bis dato »toten Winkel«. Im Jahrzehnt nach dem Fall der Mauer steht die größte innerstädtische Baustelle Europas für den Aufbruch der wieder geeinten deutschen Hauptstadt. Es erfüllt sich auf neue Weise, was Theodor Fontane einst schrieb:

»Der Potsdamer Platz, da ist das meiste Leben. Und Leben ist nun mal das Beste, was eine große Stadt hat.«

13. August 1961
Gegen 1.00 Uhr beginnen die am Vortag von den Warschauer-Pakt-Staaten angekündigten »Maßnahmen zur Sicherung des Friedens«. Grenzpolizei und Betriebskampfgruppen reißen auch am Potsdamer Platz das Pflaster auf, senken Betonpfosten in die Erde und entrollen Stacheldraht. Auf dem freien Gelände zwischen Pariser Platz und Leipziger Straße parken Stoßstange an Stoßstange Armeefahrzeuge. Dahinter gehen T34-Panzer in Stellung. Als Berlin an diesem Sonntagmorgen erwacht, ist die bislang offene DDR-Grenze zu West-Berlin abgeriegelt.
     Nach der Schließung des U-Bahnhofs Potsdamer Platz enden die von Pankow kommenden Züge der Linie A auf der Station Thälmannplatz (heute Mohrenstraße). Die S-Bahn-Züge der Nord-Süd-Bahn halten in Ostberlin nur noch auf dem Bahnhof Friedrichstraße.
     Westberliner Polizisten, die in dieser Nacht an der Grenze ihren Dienst verrichten, melden ihren vorgesetzten Dienststellen laufend die ungewöhnlichen Aktivitäten auf der Ostseite.
     Amerikanische und britische Offiziere erscheinen erst nach 3.00 Uhr am Potsdamer Platz und stellen erleichtert fest, daß keine offensiven Maßnahmen gegenüber West-Berlin zu erwarten seien.

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Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, trifft gegen 8.30 Uhr, vom Bundestagswahlkampf aus Hannover kommend, auf dem Flughafen Tempelhof ein und begibt sich sofort zum Potsdamer Platz, um sich ein Bild von den Ereignissen zu machen. Später erscheint auf der Ostseite der Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht, mit einem großen Gefolge von Partei- und Armeefunktionären zu einer Frontbesichtigung.
     Im Laufe des Vormittags sammelt sich auf der Westseite des Platzes eine auf mehrere Tausende anwachsende Menge, die ihrem Protest lautstark und mit Steinwürfen Luft macht. Die Situation ist explosiv. Über Lautsprecher fordert die Volkspolizei, einen Abstand von 100 Metern zur »Staatsgrenze« zu halten, und unterstreicht dies durch Rauch- und Tränengasgranaten. Aus Furcht, die Lage könne völlig außer Kontrolle geraten, drängt schließlich Westberliner Polizei die Menge ab.
     Ostberliner, durch Morgenpresse und Sonderberichte im Rundfunk informiert, werden von der Volkspolizei schon an der Leipziger Straße zurückgehalten.

15. August 1961
In einem Befehl weist der Ostberliner Polizeipräsident an, an »Schwerpunkten« wie dem Potsdamer Platz alle »Zusammenrottungen an der Grenze nach West-Berlin und in der Tiefe« grundsätzlich zu verhindern.

Auf der Ostseite des Platzes beginnt – wie auch an anderen Grenzabschnitten – die Errichtung einer von Stacheldraht bewehrten Mauer aus 1,5 Meter hohen Betonplatten.

22. August 1961
Während seines ersten Westberlin-Besuchs nach dem 13. August kommt Bundeskanzler Konrad Adenauer auch zum Potsdamer Platz. Aus östlichen Lautsprechern tönt es: »Sieh dir diese Mauer an und begreife, daß sie das Ergebnis deiner Politik ist!«

21. November 1961
Die Pressestelle des DDR-Innenministeriums teilt mit, daß in der Zeit vom 19. bis 21. November mit der Errichtung einer »festen Mauer« begonnen wurde. Am Potsdamer Platz sind zusätzlich »Panzersicherungen« in Gestalt von isenbahnschienen und Betonblöcken angelegt worden. Das sei nach der tagelangen Konfrontation von amerikanischen und sowjetischen Panzern am nahen Checkpoint Charlie Ende Oktober notwendig geworden.

23.–26. Mai 1962
Von Westberlin aus werden zahlreiche Sprengstoffanschläge auf die Mauer – auch im Bereich des Potsdamer Platzes – verübt. Die DDR-Grenzorgane reagieren mit der Anlage von Beobachtungstürmen und Bunkern für die Grenzpolizei.

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22. Juli 1962
In der Stresemannstraße, unweit der Ruine des Hauses Vaterland, explodiert ein Sprengsatz, der ein etwa zweieinhalb Meter breites und einen Meter hohes Loch in die Mauer reißt. Am 25. Juli wird im benachbarten Grenzabschnitt in der Niederkirchnerstraße erneut ein Sprengkörper gezündet.

17. August 1962
Am Nachmittag versuchen zwei junge Ostberliner, in der Nähe des Kontrollpunktes Checkpoint Charlie an der Friedrichstraße nach Westberlin zu flüchten. Während dem einen der Sprung über die Mauer gelingt, wird der andere – Peter Fechter – von Schüssen der DDR-Grenzpolizisten getroffen und verblutet hilflos. Auf Westberliner Seite versammelt sich eine empörte Menge, die entlang der Mauer bis zum Potsdamer Platz zieht.

29. Juli 1965
Vom Dach des Hauses der Ministerien, unweit des Potsdamer Platzes, gelingt in der Nacht einer dreiköpfigen Leipziger Familie mit einem 200 Meter langen gespannten Seil die Flucht nach Westberlin.

Anfang der 70er Jahre
Der Potsdamer Platz, jetzt im Niemandsland zwischen Ost und West gelegen, ähnelt einer öden Sandwüste. Auf Ostberliner Seite sind weiträumig alle Ruinen

und Gebäude abgerissen, die dem DDR-Grenzsystem im Wege standen. Wo einst die Leipziger Straße in den Leipziger Platz mündete, endet in Höhe des ehemaligen Preußischen Herrenhauses, das noch Einrichtungen der Akademie der Wissenschaften der DDR birgt, der öffentliche Verkehr an einer vorgezogenen Sperrmauer.
     Auf Westberliner Seite steht neben der Halbruine des Hotels »Esplanade« nur noch das Weinhaus Huth. Auf einem benachbarten Grundstück hat sich eine Hundedressieranstalt angesiedelt.
     Zwischen Potsdamer Straße und Kemperplatz entsteht seit Mitte der 60er Jahre das Kulturforum nach den Plänen von Hans Scharoun.
     Direkt an der mit bunten Graffitis und Sprüchen »verzierten« Grenzmauer halten Reisebusse. Von einer Besucherplattform kann man einen Blick auf das beängstigend leere Terrain mit seinen Grenzanlagen werfen. Zahlreiche Budenbesitzer leben vom Verkauf von Souvenirs und Currywürsten an Mauer-Touristen.
     Im Untergrund rattern ununterbrochen die S-Bahn-Züge. Grenzpolizisten kontrollieren Tag und Nacht im fahlen Lampenschein die beiden Geisterbahnsteige, um »Provokationen« zu verhindern.

21. Juli 1972
Im Rahmen des im Vierseitigen Abkommen vom 3. September 1971 vereinbarten Gebietsaustausches zur

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   53   Probleme/Projekte/Prozesse Potsdamer Platz  Vorige SeiteNächste Seite
Regelung der Frage von Enklaven kommen die Regierung der DDR und der Senat von Berlin (West) überein, ein Gebiet am ehemaligen Potsdamer Bahnhof bei einem Wertausgleich von 31 Millionen DM dem Senat zu übereignen. Für die weitere Nutzung der U-Bahn-Anlage am Potsdamer Bahnhof zahlt der Senat in einer Zusatzvereinbarung vom 3. Juni 1975 jährlich 9 000 DM.

15. Oktober 1983
Zum Auftakt der von der Friedensbewegung in der Bundesrepublik initiierten Aktionswoche gegen die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen bildet sich entlang der Mauer zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz eine Menschenkette, die Luftballons mit der Aufschrift »Macht Schwerter zu Pflugscharen von Jena bis Aachen« nach Osten fliegen läßt.

6. Dezember 1983
Während einer Protestaktion gegen das Waldsterben in West und Ost werfen Mitglieder der Umweltschutz-Organisation »Robin Wood« am Potsdamer Platz von einem LKW aus rund 50 abgestorbene Kiefernkronen über die Mauer auf Ostberliner Gebiet.

1. Mai 1984
Auf der Grundlage einer Vereinbarung mit der DDR vom Januar 1983 nimmt die Westberliner BVG auch den S-Bahn-Betrieb im

Nord-Süd-Tunnel zwischen Gesundbrunnen und Anhalter Bahnhof wieder auf.

27. Mai 1985
Während ihres Staatsbesuchs in der Bundesrepublik und West-Berlin besichtigt die britische Königin Elizabeth II. die Mauer am Potsdamer Platz.

4. Oktober 1986
Aus Protest gegen den »Berlin Wall« balanciert der als »Mauerläufer« bekannte US-Bürger John Runnings auf der vier Meter hohen Grenzmauer vom Potsdamer Platz in Richtung Checkpoint Charlie an der Friedrichstraße. Er wird von DDR-Grenzposten heruntergeholt und zwei Tage später nach West-Berlin zurückgeschickt.

31. März 1988
Auf Grund einer Vereinbarung zwischen der Regierung der DDR und dem Senat von Berlin (West) über die Einbeziehung von weiteren Enklaven und anderen kleinen Gebieten in die Vereinbarung vom 20. Dezember 1971 über die Regelung der Frage von Enklaven durch Gebietsaustausch wird das Lenné- Dreieck – ein bisher zu Ostberlin gehörendes unbebautes Gebiet zwischen Lennéstraße am Tiergartenrand im Norden, Ebertstraße im Osten und Bellevuestraße im Süden – an Westberlin übergeben. Die ersten Gespräche über diesen Gebietsaustausch waren im März 1984 aufgenommen worden.

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1. Juli 1988
Vor der offiziellen Übergabe des Lenné-Dreiecks in die Hoheit West-Berlins am 1. Juli haben Umweltschützer und autonome Jugendliche das rund vier Hektar große Areal, das westlich der Mauer nur durch einen Maschendrahtzaun abgesperrt ist, besetzt und ein »alternatives Hüttendorf« errichtet. Sie wollen das »Grenz-Biotop« mit seinen vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten vor der Vernichtung durch einen Autobahnbau bewahren.
     Die Westberliner Polizei provoziert tagelang die Jugendlichen mit Tränengaseinsätzen und sperrt die Zugänge ab. Am Morgen des 1. Juli räumt sie mit Schlagstöcken, Wasserwerfern und Tränengas das »Öko-Dorf«. Mehr als 180 Jugendliche flüchten über die Mauer nach Ost-Berlin, wo sie freundlich aufgenommen werden und mit der U-Bahn nach Kreuzberg zurückkehren.

9. November 1989
Nachdem gegen 19.00 Uhr im DDR-Fernsehen scheinbar unbeabsichtigt die Öffnung der Grenzen verkündet wird, strömen wenige Stunden später Tausende Ost-Berliner an den verblüfften Grenzposten vorüber nach Westberlin. Die »Berliner Zeitung« schreibt zwei Tage später: »Hunderttausende DDR-Bürger schauten sich West-Berlin an. Ein denkwürdiger Tag. Die meisten kommen zurück. Vertrauen wächst wieder.«

 

12. November 1989
Am Potsdamer Platz wird der fünfte Grenzübergang eingeweiht. Die Oberbürgermeister der beiden Teilstädte, Erhard Krack (SED) und Walter Momper (SPD), treffen sich auf der weißen Linie, die bislang Ost und West teilte. Momper sagt: »Hier am Potsdamer Platz war das alte Herz Berlins. Dieses Herz wird jetzt wieder schlagen.«

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»Und wir werden in guter Nachbarschaft und Freundschaft leben«, erwidert Krack.
     In den Folgetagen sind überall »Mauerspechte« am Werk; sie brechen mit Hammer und Meißel Souvenir-Brocken aus den Betonplatten heraus, wobei bunt besprühte Teile besonders begehrt sind.

19. Februar 1990
Um 21.30 Uhr beginnen DDR-Grenzsoldaten am Brandenburger Tor mit dem Abriß eines zwei Kilometer langen Teilstückes der Mauer über den Potsdamer Platz bis zum Checkpoint Charlie an der Friedrichstraße.

14. April 1990
Im ehemaligen Niemandsland entlang der Mauer vom Pariser bis zum Potsdamer Platz säen Vertreter der Grünen Liga, Berliner Bürger und Grenzpolizisten mehrere Tonnen Lupinensamen aus.

24. April 1990
Im Freudentaumel der Wiedervereinigung bringt sich plötzlich der Zweite Weltkrieg in Erinnerung. Im Grenzbereich zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz wird eine sowjetische 150-Kilo-Bombe entschärft.

26. April 1990
Im »Esplanade« wird eine Ausstellung über die künftige Gestaltung des Gebiets um Potsdamer und Leipziger Platz eröffnet. Daimler-Benz hat bereits sein Interesse an einem Bau-Areal bekundet.

8. Juli 1990
In einem Open-Air-Konzert am Potsdamer Platz bringt vor rund 20 000 Berlinern ein eigens aus diesem Anlaß gebildetes Ost-West-Sinfonieorchester, in dem sich 120 Musiker aus beiden Teilen der Stadt zusammenfinden, Gustav Mahlers 2. Sinfonie, die »Auferstehungs- Sinfonie«, zur Aufführung.

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© Edition Luisenstadt, 1999
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