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Heinrich Lange
Der Schatz des Hauses »An der Schleuse 13«

Wo der Refugié Jeremie Michaut den Zinnsarg Friedrichs des Großen schuf

»Indem wir hier gleichsam einen Schatz vergraben, so denken wir an die Vergänglichkeit aller Dinge, an die Möglichkeit, daß dieser Stein einst wieder aufgenommen werden könne. Dann wird man an uns denken und an die Vorzeit.« So steht es am Ende der jetzt ausgewerteten Grundsteinlegungsurkunde, die der Brunnenbauer Alfred Dicht am 2. September 1997 beim Durchbruch der Fundamentmauer eines Hauses nahe der Schleusenbrücke in Berlin-Mitte entdeckte (BM 8/98). Anlaß zu den Baggerarbeiten war die Anlage eines Schachts an der Einmündung des neuen Regenüberlaufkanals in den Spreekanal östlich des ehemaligen Staatsratsgebäudes, nun vorläufiges Bundeskanzleramt, gegenüber dem mittlerweile emporgewachsenen Erweiterungsbau des Außenministeriums.
     Der mehr als ziegelgroße Grundstein aus Bleiblech und die Bauurkunde mit dem Titel »Berlin, im November 1835« sind seit 9. Oktober in der neuen Dauerausstellung des Märkischen Museums, »...schaut auf diese Stadt!«,

Der Brunnenbauer Alfred Dicht fand den Grundstein des Hauses An der Schleuse 13
 

zu sehen. Wenn auch der Grundstein außer der Urkunde nicht, wie das bisweilen der Fall ist, Silbertaler enthielt, sondern nur drei Tageszeitungen, so stellte sich doch der Fund als wertvoller historischer Schatz heraus.
     Das von Carl Theodor Schneider in Zierschrift geschriebene und mit Schmuckrändern

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eingefaßte fünfseitige Dokument mit Siegel verrät uns den »Eigenthümer und Bauherrn dieses von Grund auf jetzt neu aufgeführten Hauses« »am Wasser, am sogenannten Schleusengraben« in der »Straße an der Schleuse«: Es war der Zinngießer Carl Friedrich Michaut, der 1835 »das alte Haus wegen Baufälligkeit mußte abtragen lassen«. Nach dem Zeugnis einer Geschäftsannonce von 1856 war er zuletzt sogar Königlicher Hof-Zinngießer- Meister und wohnte »An der Schleuse No. 13«. Die genaue Adresse ist zuvor im Trauregister der 1839 geborenen Tochter Rosalie Sophie Agnes vermerkt.
     Somit handelt es sich um das im Zweiten Weltkrieg zerstörte und 1960 anläßlich der Errichtung des Staatsratsgebäudes abgetragene Haus mit klassizistischer Fassade in der ehemaligen Straße An der Schleuse, südlich der Schmalfront des Wohn- und Geschäftshauses »Rotes Schloß«. Das dreistöckige Haus mit Balkon, in dem sich zum Mühlengraben hin auch die Werkstatt befand, scheint fotografisch zuerst um 1875 festgehalten zu sein. Zu dieser Zeit hatte Carl Friedrich Michaut, dessen einziger Sohn Carl Eduard Emil, der das Geschäft hätte fortführen können, 1837 mit zwei Jahren gestorben war, das Haus bereits an den Bankier C. R. Engelhard verkauft und wohnte als Rentier mit Ehegattin Emilie in der Boyenstraße, wo er 1877 im Alter von 77 Jahren verstarb.

Titelseite der Bauurkunde vom 25. November 1835 mit Nennung des Jeremie Michaut

Wie die Bauurkunde berichtet, veränderte sich das Gesicht der Gegend in jener Zeit erheblich. Die #187;vorzüglichsten Bauten« sind vom »hochverehrten Könige Friedrich Wilhelm den Dritten« »ausgeführt worden;

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Meisterbuch der Berliner Zinngießerinnung mit dem Eintrag zu Carl Friedrich Michaut von 1823
 

das Palais des Prinzen Wilhelm, Sohn des Königs, und die allgemeine Bauschule an der Schleusen- Brücke, wo zuletzt der alte Packhof war«. Als besonderes Ereignis des Jahres 1835 wird das Erscheinen des »berühmten Halleyschen Kometen, der 1759 zuletzt erschienen war«, erwähnt.
     Aus der Urkunde erfahren wir auch, daß Carl Friedrich Michauts Vater Johann Friedrich Michaut 1834 in dem alten Haus verstorben

und der Großvater Jeremie Friedrich Michaut »zuerst von der Familie im Besitz des nunmehr abgetragenen Hauses gekommen« ist. »Beide, der Vater und Großvater waren gleichfalls Zinngießer.« Der Großvater soll »zur Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm des Großen aus Frankreich wegen der Religionsbedrückung« – es ist die bekannte Verfolgung der reformierten Hugenotten nach der Aufhebung des Toleranzediktes von Nantes durch Ludwig XIV. 1685 – »mit mehreren hieher« gekommen sein.
     Hier hat jedoch Carl Friedrich Michaut bei seinen Vorfahren etwas durcheinandergebracht. Nach den Kirchenbüchern der Französisch- Reformierten Gemeinde im Französischen Dom war dieser Refugié eindeutig sein in der Bauurkunde gar nicht genannter Urgroßvater Jacob Michaut, der um 1671/72 in Sedan im Elsaß geboren wurde, 1717 die ebenfalls aus Sedan gebürtige Marie Etienne in der Friedrichstadtkirche heiratete, in der auch 1719 ihre Tochter Jeanne Marie getauft und auf deren Friedhof Jacob Michaut 1746 beigesetzt wurde. Der Urgroßvater war demnach noch nicht auf dem Friedrichswerder, sondern in der Friedrichstadt ansässig. Da er in den französischen Kolonielisten in den Jahren um 1700 noch nicht auftaucht, kam er frühestens unter König Friedrich I. (1657–1713, Kurfürst ab 1688, König ab 1701), wohl aber erst unter dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. (1688–1740, König ab 1713) nach Berlin.
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Haus des Carl Friedrich Michaut von 1835/36 An der Schleuse 13 (zweites Haus von rechts), Foto um 1875 (Ausschnitt)
In dem noch in der Dokumentensammlung der Stiftung Stadtmuseum Berlin erhaltenen »Meister-Buch« der Berliner Zinngießer von 1689–1898 ist Jacob Michaut nicht auffindbar. Dies liegt aber nicht am Papierzerfall und Tintenfraß, die das für die noch ungeschriebene Geschichte des Berliner Zinngusses wichtigste Dokument angegriffen haben, sondern vermutlich daran, daß er unzünftiger Meister war. Denn daß auch Jacob Michaut schon Meister war, bezeugt der Eintrag »Maître potier d'étain« im Taufregister der 1723 geborenen Tochter Marie. Im Meisterbuch eingetragen aber ist sein Sohn Jeremie Michaut: »Den 3n october 1746 hat der Stück Meister Gesell Jeremias Mischo«, wie der Name hier von dem deutschsprachigen Assessor M. Grasshoff geschrieben wird, »sein ihm auf gegebenes Meisterstück auffgewiesen und da
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dawieder nichts ein zuwenden ..., so ist er zum Mitmeister von dem versamlete(n) Gewerk declariret und recipiret.«
     Laut Bauurkunde wurde Jeremie Michaut »während der Reise auf dem Zuyder-See geboren«, was die Kirchenbücher mit der Geburt oder Taufe in »Mastricht« (Holland) bestätigen.
Hermsdorf bei Berlin (heute Bezirk Reinickendorf), ein Walzenkrug der Schlachtergesellschaft von 1758 und eine Dose mit Klappdeckel ausfindig mache (siehe Titelbild). Die Zinngeräte sind bisher zum Teil fälschlich Johann Friedrich Michau oder Jain Metzier zugeschrieben worden. Diese Zinngießer
Da er 1793 im Alter von 74 Jahren an einem Schlaganfall starb – er wurde auf dem Friedhof vor dem Oranienburger Tor begraben –, muß er um 1719 geboren worden sein. Weiß man von seinem Enkel Carl Friedrich Michaut, daß er 1823 als Meisterstücke unter anderem »einen Nachttopf«, und zwar »in der Werkstatt seines Vaters«, also in dem Haus An der Schleuse 13, anfertigte, hat man bei Jeremie Michaut im Zinndepot des
Zinnmarken des Jeremie Michaut
erwarben jedoch ihr Meisterrecht nicht 1746, sondern 1786 bzw. 1735.
Den prominentesten Auftrag aber erhielt Jeremie Michaut als 67jähriger Altmeister im Jahre 1786: die Anfertigung des Zinnsarges Friedrichs des Großen. Er kann nämlich mit jenem »Réfugié Michaut« identifiziert werden, der nach Edouard Murets » Geschichte der Französischen Kolonie in Brandenburg- Preußen« den »Zinnsarg Friedrichs II.« verfertigte, in den am
Stadtmuseums Erfolg.
     Aufgrund der eingepunzten Zinnmarken, der Stadtmarke mit dem Bären und dem Meisterjahr 1746 und der Meistermarke mit dem Hahn und den Initialen »I M« lassen sich von ihm bisher ein Paar Altarleuchter von 1759 aus der friderizianischen Kirche von
30. August 1786 der Eichensarg mit dem Leichnam des dreizehn Tage zuvor im Schloß Sanssouci verstorbenen Königs gesetzt wurde. Auch Friedrich Laske, dem die im Zweiten Weltkrieg verlorenen Archivalien des Geheimen Staatsarchivs Berlin offenbar noch zur Verfügung
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standen, nennt in seinem Buch »Die Trauerfeierlichkeiten für Friedrich den Großen« von 1912 nicht den Vornamen und die genaue Adresse von »Gießermeister Michaud in Berlin«, bei dem der Sarg bestellt worden sein soll.
     Da Jeremie Michauts Sohn Johann Friedrich Michaut (1758–1834) im August dieses Jahres noch nicht Meister war – er fertigte gerade sein »Meister Stück«, das dem »Zinngießer Gesell« am 19. Juni aufgegeben und am 11. September »vor gut erkannt« wurde – kann im Gegensatz zu der bisherigen Annahme (BM 8/98) nur Meister Michaut sen. den Auftrag für die Fertigung des Sarges erhalten haben. Friedrich Nicolai erwähnt zwar in seiner im Todesjahr des Königs herausgegebenen »Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam« einen ganz offensichtlich mit unserem Zinngießer identischen »Jeremias Michault« an der Schleusenbrücke, der dort »seit 1762 ... alle Arten bleyerner Röhren zu Wasserkünsten etc.« fertigte, doch von dem Zinnsarg Friedrichs II., dessen Meister und Herstellungsort erst jetzt genau bestimmt werden konnten, ist noch nicht die Rede.

 

Wahrscheinlich hatte Jeremie Michaut entgegen der Angabe bei Nicolai Geschäft und Wohnung schon seit 1746/47 in dem Haus An der Schleuse 13. Im Trauregister – er heiratete am 6. Januar 1747 Susanne Routier – ist die Werdersche Kirche (»temple du Verder«) vermerkt, in der auch ihre zehn zwischen 1748 und 1764 geborenen Kinder

 

Alexander I., Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise am Sarg Friedrichs des Großen, Kupferstich von F. W. Meyer, 1806
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getauft wurden. Die Meisterwerdung und Heirat, möglicherweise auch schon der Tod des Vaters am 30. Oktober 1746, dürften der Anlaß für den Umzug von der Friedrichstadt auf den Friedrichswerder – in das Gschäfts- und Handwerksviertel zwischen Schloß- und Schleusenbrücke, wo sich damals zahlreiche Hugenotten niederließen – gewesen sein.
     Zuerst im Bilde festgehalten ist der Sarg, der auf Wunsch des Königs noch von einem Sarg aus Carrara- Marmor aufgenommen werden sollte, auf dem Ölgemälde von Franz Catel um 1805 im Schinkel- Pavillon des Charlottenburger Schlosses. Es zeigt König Friedrich Wilhelm III. (1770–1840, König ab 1797), Königin Luise (1776–1810) und Zar Alexander I. (1777–1825, Kaiser ab 1801) am Sarg Friedrichs des Großen in der Gruft der Potsdamer Garnisonkirche. Das Gemälde von Catel diente als Vorbild für Friedrich Wilhelm Meyers Kupferstich von 1806 im Kupferstichkabinett mit dem Titel »Alexander I. Kaiser in Russland verehrt die Ueberreste Friedrichs des Grossen, und nimmt vom Könige Friedrich Wilhelm III. und der Königin Louise von Preussen Abschied, zu Potsdam den 4ten November 1805«.
     Zinnmarken oder eine Signatur des Zinngießers – wie bei dem Prunksarg des 1802 verstorbenen Bruders Friedrichs II., des Prinzen Heinrich von Preußen (BM 8/98), den der keineswegs »nicht näher bekannte«, nämlich nach dem Berliner Meisterbuch
aus Anklam zugewanderte, 1786 den Meistertitel in Berlin erwerbende und daraufhin seine Werkstatt Unter den Linden betreibende Hof- Zinngießermeister Ernst Christoph Siercks schuf – sind auf dem Sarg Friedrichs des Großen bisher nicht beobachtet worden. Auch nicht 1991 anläßlich der Überführung des Sarges von der Christuskapelle der Burg Hohenzollern bei Hechingen am Rande der Schwäbischen Alb in die Gruft am östlichen Halbrondell der obersten Terrasse von Schloß Sanssouci.
     Nachdem im August 1999 die 1960 aufgehobene Straße An der Schleuse zwischen Schleusenbrücke und Sperlingsgasse zumindest als Uferweg wieder hergestellt und eröffnet wurde – er orientiert sich laut Hinweistafel »in seiner Dimension und Gliederung am ursprünglichen Straßenverlauf« –, wäre es auch möglich, ein Stück der Fundamentmauer des Michaut-Hauses zu kennzeichnen und auf die Verfertigung des Zinnsarges Friedrichs des Großen durch Jeremie Michaut im August 1786 in diesem Hause zu verweisen. Dann würde sich auch die eingangs zitierte Ahnung des Bauherrn in der Bauurkunde – »Dann wird man an uns denken und an die Vorzeit« – noch deutlicher bewahrheiten.

Bildquellen: Aufnahmen des Verfassers, Plansammlung der Technischen Universität Berlin, Umzeichnung H. Nehls, Kupferstich- Kabinett Berlin

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© Edition Luisenstadt, 1999
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