96   Geschichte und Geschichten Handel und Handwerk 1945  Nächste Seite
Heiko Schützler
Handel und Handwerk 1945

Der Befehl Nr. 3 des Militärkommandanten der Stadt Berlin vom 18. Mai 1945 erlaubte den freien Privathandel mit allen Waren. Dadurch sollte die wirtschaftliche Tätigkeit belebt und die Warenzufuhr auf dem Markt zur Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Industriewaren – zusätzlich zu den von der Stadtverwaltung laufend ausgegebenen normierten Waren zu festen Preisen – erhöht werden. Die Umsetzung gestaltete sich schwierig. Denn es ging nicht um die Gewährleistung eines absolut freien Handels, vielmehr sollte nur ein gewisser Prozentsatz der Produktion, der aber nicht festgelegt wurde, zu freien Preisen auf den Markt kommen. So hatte der Magistrat mit einem rasanten Preisanstieg zu kämpfen, den er nicht eindämmen konnte.
     Ähnlich gelagert war der Befehl Nr. 122 der sowjetischen Militärverwaltung vom 30. Oktober 1945. Dieser Befehl regelte den freien Verkauf der verbleibenden Lebensmittelüberschüsse auf den Märkten nach der Pflichtablieferung durch die Bauern der sowjetischen Besatzungszone.
     Mit der Anordnung der Abteilung für Handel und Handwerk vom 22. Mai 1945 wurde

das Ziel verfolgt, den Handel von sogenannten faschistischen Elementen zu bereinigen. Gleichzeitig ist unterschwellig eine Erziehungsmaßnahme zu erkennen: Es wird darauf verwiesen, daß die Stellung des Kaufmannes in den letzten Jahren zunehmend eine politische geworden sei. Der Kaufmann müsse als Beeinflusser der öffentlichen Meinung gesehen werden und habe daher die Aufgabe, im Verkaufsgespräch immer wieder darauf hinzuweisen, daß die gegenwärtige Not auf den »von der Hitler-Partei herbeigeführten und verlorenen Krieg zurückzuführen« sei. Daher könne nicht geduldet werden, wenn der Kaufmann die Schuld der neuen Verwaltung zuschiebe. Um solches zu verhindern, dürften Geschäfte, deren Inhaber aktive Mitglieder derNSDAP, der SA oder SS waren, nicht mehr mit bewirtschafteten Bedarfsgütern beliefert werden. Geschäftsinhaber, die nicht der NSDAP angehört hätten, trotzdem aber Propaganda im obengenannten Sinne betrieben, seien zu verwarnen, ihre Geschäfte nötigenfalls zu schließen. In diesem Falle sei von Amts wegen ein neuer Geschäftsführer zu ernennen.
     Mit dieser Anordnung wird das Augenmerk auf einen wichtigen Tatbestand gelenkt. Die Bevölkerung hatte nach dem Kellerdasein während der Straßenkämpfe ein verstärktes Kommunikationsbedürfnis. Zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in der Stadt war es wichtig, hierbei entstehenden Gerüchten möglichst schon
SeitenanfangNächste Seite


   97   Geschichte und Geschichten Handel und Handwerk 1945  Vorige SeiteAnfang
im Ansatz entgegenzutreten. Die Idee, Kaufleute als Agitatoren einzusetzen – in ihrer Originalität aus der Not geboren –, erwies sich für den Kaufmann insofern von Nutzen, da er von seiner Loyalität zur Verwaltung unmittelbar profitieren konnte. Ob diese Verfahrensweise moralisch unbedenklich war, sei dahingestellt.
     Bis Oktober 1945 öffneten von 25 000 Einzelhandelsgeschäften der Lebensmittelbranche etwa 80 Prozent wieder. Im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe sah es wesentlich schlechter aus: Von ursprünglich 12 000 Restaurants waren 9 500 zerstört, bis Ende des Jahres konnten 5 000 den Betrieb wieder aufnehmen. Gab es im Jahre 1939 in Hotels und Pensionen 24 000 Betten, so waren es im Mai 1945 gerade noch 1 000; immerhin erhöhte sich ihre Zahl bis zum Herbst auf 3 000.
     Von den rund 50 000 Handelsbetrieben waren 20 000 zerstört, in den 30 000 unversehrt gebliebenen wurde die Arbeit im Juli wieder aufgenommen.
     Die einzig wirklich funktionierenden Betriebe waren die des Handwerks. So gab es 2 684 Bäckereien, 1 828 Fleischereien, 2 948 Schuhmacher, über 8 000 Schneider, 1 518 Maler, 582 Uhrmacher und 2 002 Tischlereien mit bis zu fünf Arbeitern. Diesen Handwerksbetrieben kam beim Wiederaufbau eine entscheidende Rolle zu.
     Zunächst war es notwendig, aktive Nazis aus den zu reorganisierenden Innungen zu
entfernen. Anhand der restlos erhaltenen Handwerksrollen konnten fachlich geeignete Personen gefunden werden, die mit der Leitung der Sparten beauftragt wurden.
     Es galt, Berlins Wirtschaft in die neue Zeit zu führen. Zwei Ziele standen dabei im Vordergrund: die Versorgung der Bevölkerung mit allen notwendigen Gegenständen des täglichen Bedarfs sowie die Erzeugung von Austauschgütern als Gegenleistung für die Lebensmitteleinfuhr.
     Ein Ergebnis der mangelhaften Versorgung war der schwarze Markt. Hier blühte der Tauschhandel, und in kurzer Zeit bildeten sich stark erhöhte Preise heraus. So kostete mit Stand vom 23. Dezember 1947 z. B. Butter mit 250 bis 280 RM etwa soviel wie Gold von 900 Karat, Kaffee war gar doppelt so teuer. Versuche, den Schwarzhandel zu unterbinden, bargen die Gefahr, mit dem Befehl über den freien Handel zu kollidieren.
     Die von der Alliierten Kommandantur befohlene Errichtung von Tauschhandelsgeschäften sollte den auf dem Schwarzmarkt vorherrschenden Tauschhandel in geordnete Bahnen lenken. Zur Kontrolle der Preise schuf der Magistrat ein Preisamt und erließ eine Verordnung gegen Preistreiberei.

Die Angaben stützen sich v. a. auf:
Verordnungsblatt 1945, in: »Berliner Zeitung«, 21. 5. 1945,
Magistratsprotokolle 1945 – Landesarchiv Berlin

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de