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Hainer Weißpflug
August Bier, der Waldheiler

Anläßlich des 50. Todestages haben die »Stiftung August Bier« sowie die »Europäische Gesellschaft August Bier für Ökologie und Medizin« am 12. März 1999 an der Berliner Charité ein Symposium zum Lebenswerk des großen Chirurgen und Waldarztes durchgeführt. Vor 100 Teilnehmern, unter ihnen auch Familienangehörige, würdigten Chirurgen, Anästhesisten, Naturheilkundler und Philosophen Biers Schaffen. Im Medizinhistorischen Museum der Charité gab es eine Sonderausstellung, auf dem Gutshof Sauen bei Beeskow trafen sich Vertreter verschiedener Fachgebiete der Forstwirtschaft, um das große Waldexperiment Biers und seine Bedeutung für die Forstwissenschaft zu würdigen. Am Grabe August Biers – er wurde nach seinem Tod am 12. März 1949 im Sauener Wald beerdigt – wurde ein Kranz niedergelegt.
     August Biers Leben war schon zweimal Gegenstand eines Beitrages in unserer Zeitschrift. In Heft 11/1994 wurde der berühmte Arzt der Charité als Philosoph vorgestellt, im Heft 4/1997 der Chirurg. Hier nun soll der Pionier einer neuen Art des Umgangs mit dem Wald, der Waldheiler August Bier, gewürdigt werden.

Der am 24. November 1861 geborene Sohn des Geometers und Gestalters von Parkanlagen Theodor Bier (1825–1898) und seiner Frau Christiane, geborene Becker (1822–1897), war schon frühzeitig der Forstwissenschaft zugetan. Auch der Biologie fühlte er sich verbunden. Schließlich studierte er Medizin und wurde ein berühmter Chirurg an der Charité. Der meisterhafte Operateur, der neue Methoden entwickelte und erprobte, kaufte 1912 in Sauen in der Mark Brandenburg ein Waldgut und begann sein »Lebensexperiment«, wie er es selbst nannte.
     Bier war zu dieser Zeit einer der bedeutendsten Chirurgen Deutschlands. Anders als seine Kollegen betrieb er nicht spezialisierte chirurgische Einzelforschung, sondern bemühte sich um eine Ganzheitsbetrachtung. Auf der Suche nach einer sein Denken und Handeln begründenden Weltanschauung hatte er sich Heraklit gewidmet, den er für den größten Geist aller Zeiten hielt. In dessen These von der Harmonie der Gegensätze fand er die Bestätigung des »Corpus Hippokraticum«, wonach die Gesundheit die richtige, die Krankheit die falsche Mischung von Gegensätzen darstellt, wie Bier selbst hervorhob (Der Wald in Sauen, Vortrag am 7. Juni 1933 in Bad Saarow).
     Die Naturphilosophie Heraklits schien ihm geeignet, Medizin und Forstwissenschaft auf eine höhere Stufe zu heben. Für beide betrachtete er das Biologische als das Bestimmende.
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August Bier
 

Davon ausgehend, richtete Bier das Hauptaugenmerk auf die Erforschung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten des Lebens. Reizbarkeit und Beseeltheit waren für ihn die wichtigsten Charakteristika des Lebens. Da er sich von der Zielgerichtetheit und Zweckmäßigkeit aller Lebenserscheinungen leiten ließ, diesen Zweck in der Erhaltung der Art

sah, kam Bier zwangsläufig dazu, in der Lehre vom Reiz das eigentliche Zentrum medizinischer wie waldbaulicher Theorien und Methoden zu sehen. Er entwickelte den Gedanken, Reize einzusetzen, um die Selbstheilungskräfte des menschlichen Körpers beziehungsweise des Waldes zu aktivieren. Dabei fand er in den Bemühungen solcher Forstleute wie Alfred Möller (1860–1922) zum Übergang von der Monokultur reiner Kiefern- oder Fichtenwälder zu Mischwaldbeständen günstige Ansatzpunkte. »... die Idee von der guten Mischung (ist) den Forstleuten durchaus geläufig, ist doch die Forderung des Mischwaldes oft von ihnen erhoben worden, des Mischwaldes, in dem das Nadelholz neben dem Laubholz, der Flachwurzler neben dem Tiefwurzler, der Humuserzeuger neben dem Humusverbraucher steht ...«, betonte Bier in erwähntem Vortrag.
     Die 500-ha-Wald in Sauen vergrößerte Bier 1913 durch Ankauf weiterer 800 ha. Im selben Jahr begann er mit der Bewirtschaftung. Es war ein typisches märkisches Waldgebiet mit Ödflächen, Kahlschlägen, mehr oder weniger guten Kiefernbeständen, Schonungen, Tongruben und einigen für die Begründung von Mischwäldern wichtigen Saatbäumen an Eichenalleen, aber auch Birken, Bergahorn, Roteichen und Weißbuchen an Waldrändern.
     Bier sah die Ursache für den kümmerlichen Zustand der Wälder Brandenburgs, der um 1800 seinen Tiefpunkt erreicht hatte, in
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der Fehlbewirtschaftung durch Kiefernmonokultur und Kahlschlagbetrieb. Es gab kaum Altholzbestände, keine Durchmischung, und deshalb, so Bier, war der Wald krank.
     Im Verlaufe seines Experimentes verwandelte er das Revier in einen Dreistufenwald aus Kiefer, Traubeneiche und Buche, womit er dem natürlichen und ursprünglichen Waldaufbau in unseren Breiten sehr nahe kam. Er erreichte so eine Verbesserung des Waldbodens und des Wasserhaushalts. Dafür setzte er Laubhölzer neben Nadelhölzer, mischte Flachwurzler und Tiefwurzler, Humuserzeuger und Humusverbraucher, Lichtholz und Schattenholz. So gelang ihm auch eine Verbesserung des Klimas in seinem Revier. Aus den vorhandenen Beständen schuf er einen artenreichen und dichten Waldmantel, der auch vor Frost- und Sturmschäden schützte. Dazu sorgte er für eine gute Bodendeckung durch Laub und Reisig, vermehrte den Artenreichtum des Bodenbewuchses sowie der Gehölze, um die Standortfruchtbarkeit zu erhöhen. Außerdem baute er luftstickstoffbindende Gehölze wie die Robinie als Untergehölz an.
     Sein großes Experiment konnte nur gelingen, weil er von Anfang an für gesundes und qualitativ hochwertiges Saatgut sorgte. Dazu ließ Bier ca. 1 000 Saatbäume auswählen, die besonders gepflegt und regelmäßig abgeerntet wurden. Einen Teil der Samen überließ er der Verbreitung durch Vögel und Wind.
Schließlich gelang es ihm, den alten Jahresklassenwald in einen Dauerwald zu verwandeln. Der unter den Forstleuten immer stärker Raum greifende Gedanke eines Dauerwaldes ging davon aus, daß Bäume unterschiedlichen Alters in einem Waldstück die gesunde Entwicklung des Bestandes fördern. Auch Bier wußte schon, daß man Alt- und Totholz, abgebrochene Äste und Zweige, im Wald beläßt.
     Das wichtigste Resultat seines Experimentes ist der ökologische Nachweis, daß auch ein schon zusammenbrechender Forst sich zum gesunden Mischwald entwickeln kann, wenn der Mensch den Kräften der Natur entspricht und nicht gegen sie arbeitet. Auch heute noch hebt sich das Sauener Revier von den Wäldern der Umgebung durch seine Artenvielfalt und Gesundheit ab.
     Bier wünschte sich die Weiterführung seines Experiments nach seinem Tode. Nach einem längeren Zeitraum sollte eine wissenschaftlich begründete Verallgemeinerung vorgenommen werden. Dies erfolgte nicht. Das Revier von Sauen ist heute ein Lehr- und Versuchsrevier des Institutes für Forstwissenschaften Eberswalde und trägt mehr oder weniger den Charakter eines Waldmuseums.
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© Edition Luisenstadt, 1999
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