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André Franik
Die St.-Joseph- Kirche in der Müllerstraße

So mancher Besucher der belebten Müllerstraße im Wedding läuft achtlos an der nicht gerade winzigen und architektonisch sehenswerten Doppelturmfassade der katholischen Pfarrkirche St. Joseph vorbei. Dabei verdient die in die Häuserfront eingebettete neoromanische Basilika, die am 2. Mai 1909 geweiht wurde, durchaus Beachtung.
     Durch den enormen Bevölkerungszuwachs vor allem nach der Reichsgründung (1823: 1146 Einwohner, 1910: 140000 Einwohner) mußten immer mehr Fürsorgeeinrichtungen geschaffen werden. So wurde 1902 der Entschluß gefaßt, für die inzwischen 8000 Katholiken des Umkreises neben der St.-Sebastian- Kirche am Gartenplatz (1893 geweiht) eine weitere katholische Kirche im Wedding zu errichten. Sie sollte dem heiligen Joseph, dem Patron der Arbeiter, geweiht werden. Unter der Leitung von Pfarrer Cortain von St. Sebastian und mit Unterstützung des dortigen Kirchsammelvereins entstand bis 1904 eine massive Notkapelle für 200 Gläubige. Sie wurde auf dem Gelände zwischen der Müllerstraße 161 und der Willdenowstraße 8–11 errichtet, wo sich bis dahin ein Restaurationsbetrieb und

Lagerschuppen befanden. Architekt war Hermann Bunning aus Berlin. Bei einem Architektenwettbewerb 1906 erhielt der Entwurf des Benediktinerpaters Ludgerus (Wilhelm Rincklake, 1851–1927) aus dem Kloster Maria Laach in der Eifel den Zuschlag, da dieser keine Bezahlung dafür verlangte. (Als gelernter Kirchenbaumeister war Pater Ludgerus im Laufe seines Lebens für die Planungen zahlreicher Kirchenbauten verantwortlich, u. a. im Münsterland, im Ruhrgebiet und im Rheinland, natürlich wurden auch Kirche und Kloster Maria Laach von ihm bearbeitet.) Die Überarbeitung der Pläne übernahm der Architekt Wilhelm Frydag aus Berlin/ Münster, mit der Bauleitung wurde Hermann Bunning betraut.
     Im September 1907 erfolgte die Grundsteinlegung, die Kirchweihe am 2. Mai 1909 nahm Kardinal- Fürstbischof Kopp aus Breslau vor (erst 1930 wurde das Bistum Berlin geschaffen). Bis zur Fertigstellung des Baus und noch viele Jahre danach litt die erst 1913 zur Pfarrei St. Joseph erhobene Gemeinde unter großer Finanznot, die trotz Spenden aus dem gesamten Reich und der Hilfe des 1906 gegründeten Gesamtverbandes der katholischen Kirchengemeinden Berlins nur teilweise gemildert werden konnte. Daher blieb die Innenausstattung noch bis in die zwanziger Jahre unvollständig.
     Besucher betreten die St.-Joseph- Kirche durch die schweren Eichentüren, die im
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Sockelgeschoß in fünf Rundbögen eingepaßt sind. Versehen mit Ornamenten des Jugendstils, verweist die Fassade in ihrer Gliederung auf die Dreischiffigkeit des Innenraumes. Das Schallgeschoß beider Glockentürme (nur in einem läuten die drei Glocken) zeigt charakteristische Drillingsarkaden im rheinischem Stützenwechsel, dem gleichmäßigen Wechsel von Pfeilern und Säulen. Die mächtigen Säulen aus rotem schwedischem Granit zeigen in ihren Palmettenkapitellen zum Mittelgang hin innerhalb reicher Pflanzenornamentik alttestamentliche Szenen aus der Geschichte des ägyptischen Josefs.
romanischen Stil; die ehemals hohen Pyramidendächer wurden nach schweren Kriegsbeschädigungen durch sehr flache ersetzt.
     Wer in den Innenraum tritt, staunt zunächst über die enormen Dimensionen, die die Kirche aufweist: Vom Eingang bis zur Apsis mißt sie 35 Meter Länge, das Mittelschiff ist 12 Meter breit, die Höhe bis zum Gewölbeschlußstein beträgt 18 Meter, die Seitenschiffe sind 5,80 Meter tief. Nach den damaligen Planungen sollten in St. Joseph 3000 Personen Platz finden können.
     Auf seinem Rundgang durch das Langhaus in Richtung Altarraum schreitet der Besucher auf originalen Solnhofener Bodenplatten (in der ganzen Kirche verlegt), über ihm erstreckt sich ein dreijochiges Kreuzrippengewölbe über

 

Die St.-Joseph- Kirche kurz nach Vollendung des Baus

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Auf die alte Predigtkanzel, von zwölf roten Marmorsäulchen getragen, gelangt man über eine Sandsteintreppe. Auf dem Eckpfeiler des Geländers ruht ein Löwe, ebenfalls aus Sandstein, in Anlehnung an das Prophetenwort vom Rufer in der Wüste (Jesaja 40,3). Der Kanzelkorb trägt die Reliefs der vier lateinischen Kirchenväter Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und Gregorius.
     Der Altarraum wurde 1989/90 durch das Centro Ave aus Loppiano/ Italien neu gestaltet. In die fünf hohen Apsis- Rundbogenfenster wurden Scheiben aus Opalglas mit Alabastercharakter eingesetzt, der Altartisch,
die Tabernakelstele, der Ambo und der Priestersitz wurden aus Carraramarmor gefertigt, der Tabernakel, in die Stele eingefügt, besteht aus vergoldeter Bronze mit Halbedelsteinbesatz. Der Altarraum einschließlich der Treppenstufen wurde mit Veroneser Rotmarmorplatten belegt. Die Eingänge zur Krypta werden heute vom gußeisernen Gitter der ehemaligen Kommunionbank gerahmt. Der ursprüngliche aufklappbare Hochaltar mit Marmor- und Bronzepartien ging wie die gesamte Chorausstattung bei einem verheerenden Luftangriff 1945 verloren; in der darunterliegenden Krypta starben dabei 35 Menschen.
Langschiff vom Altarraum aus gesehen
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Der Marienaltar
Bei den Renovierungen ab 1948 verzichtete man auf die Wiederherstellung der überwiegend goldfarbenen Deckenbemalung und der Wandbilder im Langhaus. Nachdem St. Joseph 1998 den Denkmalstatus erhielt, werden noch in diesem Jahr restauratorische Maßnahmen zur Feststellung der Originalfarbgebung beginnen. Weitgehend original erhalten ist das großartige Mosaik in der Halbkuppel der Apsis, das hier seit 1923 als Kopie des »Triumphes des Kreuzes« aus San Clemente in Rom zu sehen ist: In altchristlicher Symbolik wächst das Kreuz aus einem Akanthusbusch als Zeichen der Erlösung heraus, es trägt Christus, den Heiland, und wird von Maria und Johannes flankiert. Die Apostel werden durch zwölf weiße Tauben am Kreuz dargestellt. Aus dem Akanthusbusch wachsen zwei riesige Ranken, die sich in regelmäßigen Voluten über die gesamte Halbkuppel verbreiten. Zwischen ihnen sind neben zahllosen geflügelten und ungeflügelten Wesen auch hier die vier lateinischen Kirchenväter zu erkennen.
     In der Kappe vor der Apsis findet sich eine weitere Kopie eines berühmten Mosaiks: Im Mausoleum der römischen Kaiserin Galla Placidia in Ravenna befindet sich die Vorlage für das Mosaik mit golden schimmernden
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Herz-Jesu-Figur
Schöllnach in Niederbayern. Über dem originalen Marienaltar in neoromanischer Art und mit teilvergoldetem hölzernem Aufsatz erblickt man das Gemälde der Mater divinae gratiae (Mutter der göttlichen Gnade) inmitten einer Reihe von Heiligen, die im Nimbus jeweils ihren Namen tragen. Das Motiv der thronenden Muttergottes ist einer Skulptur des berühmten Benediktinermönches Pater Desiderius (Peter Lenz, 1832–1928), dem Begründer der Beuroner Kunstschule, nachempfunden. Ein Kuriosum stellt der Text im geöffneten Buch im Arm des heiligen Benediktus dar, der den Maler Scherer als Schöpfer der Gemälde über den beiden Seitenaltären im Jahre 1926 und des Kreuzweges 1925 bezeichnet, was bezweifelt werden darf.
     Der Herz-Jesu- Altar als Pendant zum Marienaltar wurde in gleicher Weise ausgeführt. Auch das Wandgemälde darüber ist durch Komposition und Malstil gleichartig (beide Entwürfe stammen vom Kirchenmaler Schuto aus Bingen). Der thronende Heiland mit dem heiligsten
Rosetten auf dunkelblauem Grund. Zwischen rechtem Kryptaeingang und Seitenaltar steht der neue Kalkstein- Taufstein aus Herzen ist ebenfalls von Heiligen und Engeln umgeben. In den Händen des heiligen Joseph befindet sich das Modell der
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St.-Joseph- Kirche. Der Kreuzweg mit vierzehn Stationen wurde ebenfalls im Stil der Beuroner Schule und in Freskotechnik 1925 nach einer Empfehlung von Pater Ludgerus, dem geistigen Vater dieser Kirche, ausgeführt.
     Vor der alten Taufkapelle in der Verlängerung dieses Seitenschiffs im Turmuntergeschoß steht die originale Standfigur der Maria Immaculata aus Terrakotta. Die zwölf Sterne ihres Strahlennimbusses symbolisieren die Stämme Israels. Wie die Standfiguren im anderen Seitenschiff steht sie auf einem Altaraufbau, der in Form und Farbigkeit früher dem Stil der Kirche angepaßt war. Acht farbige Marmorsäulchen mit Sandsteinkapitellen tragen den Taufstein in der alten Taufkapelle, die heute nicht mehr benutzt wird. Er wird bedeckt durch einen kupfernen kuppelförmigen Deckel mit Spitzgiebeln und Rundmedaillons, die Christus Pantokrator, Johannes Baptist und die heilige Ida von Herzfeld (mit gerettetem Hirsch) zeigen. Über ihm befindet sich eine Heiliggeist- Taube im Stil der Beuroner Schule. Die Standfiguren auf der rechten Seite stellen den heiligen Antonius von Padua mit dem Jesuskind und den heiligen Joseph mit dem Jesuskind dar; etwas abseits davon eine Herz-Jesu- Figur, dazwischen eine kleine, unbemalte Pietà aus Holz. Mit ihrer annähernd vollständigen Disposition gehört die 1981 geweihte neue Orgel von Eisenbarth aus Passau zu den großen Instrumenten des Bistums Berlin.
Die Krypta von St. Joseph ist den Opfern des Krieges gewidmet. Vor allem aber dem zwischen 1940 und 1943 hier lebenden und wirkenden Priester Max Josef Metzger (1887–1944), dessen Streben dem Frieden in der Welt, der Ökumene und der Erneuerung der Kirche im Sinne der Bergpredigt galt. Das aus zwei Eisenträgern gebildete Kreuz mit einem in der Schnittstelle angebrachten stilisierten Fallbeil soll an die Hinrichtung Metzgers im nationalsozialistischen Zuchthaus Brandenburg- Görden erinnern. Der Altar wurde dem Hinrichtungstisch nachempfunden. Ein Kreuzweg aus alten Hacken ziert die Wand der Krypta. Am 30. April 1995 wurde die Krypta von Kardinal Sterzinsky feierlich eingeweiht.
     Der Verlag Schnell & Steiner in Regensburg hat 1999 zum Weihe- Jubiläum von St. Joseph einen reichbebilderten Kurzführer herausgegeben, der in der Kirche erhältlich ist.

Bildquelle:
Pfarrarchiv St. Joseph

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© Edition Luisenstadt, 1999
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