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Walter Gose/ Thomas Würtenberger (Hrsg.)
Zur Ideen- und Rezeptionsgeschichte des Preußischen Allgemeinen Landrechts

Trierer Symposion zum 250. Geburtstag von Carl Gottlieb Svarez
Friedrich Frommann Verlag. Günther Holzboog, Stuttgart 1999

Die Absicht des Trierer Symposions wie des vorliegenden Buches ist in einem Satz gesagt: Gewürdigt werden sollen der wohl bedeutendste deutsche Rechtsreformer, der beamtete Jurist Carl Gottlieb Svarez (1746–1798), und sein wichtigstes Werk, das rechtshistorisch unvergängliche Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten, so der exakte Titel.
     »Mit seinem bis in unsere Tage nachwirkenden Lebenswerk zählt er zu den prägenden Gestalten nicht nur der preußischen Spätaufklärung, sondern auch der deutschen Rechtskultur überhaupt.« So die Herausgeber im Vorwort des Sammelbandes von 1999. Nur am Geburtsdatum des Geehrten ist – gewissermaßen dezent – zu erkennen, daß jenes Symposion bereits im Februar 1996 stattgefunden hat. Außer Svarez' 250. Geburtstag gab es noch einen vergleichsweise marginalen Anlaß für die wissenschaftliche Veranstaltung, den 60. Geburtstag des Historikers Peter Krause, der an der Universität Trier zur preußischen Rechtsreform forscht und das letzte Kapitel des Bandes, »Der Monarch als Depositar des Allgemeinwillens«, beigetragen hat.
     Die acht Autoren bieten bemerkenswert kurze Aufsätze. Sie äußern sich zum Thema mit Arbeiten, die sich durch hohes wissenschaftliches Niveau, gepflegte Sprache und nicht zuletzt durch ihre Unterschiedlichkeit auszeichnen. Gelungen ist eine facet-

tenreiche Darstellung, die einem interessierten Publikum den Zugang zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eröffnet, eine Zeit, die auf vielerlei Weise in Europa bleibende Zeichen für die folgenden Jahrhunderte gesetzt hat.
     Da lesen wir von Walter Gose über »Volksaufklärung und Rechtspädagogik in politischer Absicht«, ausgehend vom Grundanliegen des Carl Gottlieb Svarez, auf verschiedenen Wegen zur »rechtlichen Volksaufklärung« beizutragen, wie Gose formuliert, also den 99 Prozent Nichtjuristen in der Bevölkerung die Gesetze verständlich zu machen, zu erläutern, inhaltlich zu vermitteln. Der Autor weist darauf hin, daß Svarez sogar »zeitweise der ebenso gewagten wie originellen Idee einer doppelten Kodifikation nachging: einem allgemeinen Gesetzbuch für Gebildete und Fachleute sowie einem gemeinverständlichen »Volksgesetzbuch«. Gose vermerkt auch die bindende Vorgabe des frankophilen Königs Friedrich II., »daß all Gesetze für unsere Staaten und Unterthanen in ihrer eigenen Sprache abgefaßt« werden sollen. Nicht nur in diesem Punkt trafen sich die Intentionen des großen Friedrich und seines nachmaligen Geheimen Oberjustizrates Svarez.
     Wie hier am Beispiel eines Kapitels angedeutet, enthält dieser Sammelband in allen seinen Beiträgen eine Fülle Interessantes und Wissenswertes über das Jahrhundert der Aufklärung, Lektüre also, die in einer Zeit besonderes Gewicht haben sollte, da ein erstarrtes deutsches Staats- und Rechtswesen nach Reformen verlangt. An der Person Svarez' übrigens wird deutlich, wie klein die Zahl der Rechtsreformer in Deutschland geblieben ist, ein Umstand, auf den das Symposion hätte hinweisen können.
     Bis in die kontroversen Auffassungen der Gegenwart, wenn auch leider nur in Ansätzen, führt Thomas Würtenberger seine Untersuchung »Der Schutz von Eigentum und Freiheit im ausgehenden 18. Jahrhundert«. Hier lesen wir übrigens nicht ohne Schmunzeln, daß damals des Bürgers »edelstes Kleinod« weder sein Eheweib noch sein Geldbeutel
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waren (das Auto kam dafür ohnehin noch nicht in Frage), sondern die Möglichkeit, »gegen seinen Landesherren in jedem Fall bei einem Oberrichter Hilfe finden zu können«, so Karl F. Häberlin im Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Berlin 1794. Bis auf die eben genannten Ansätze haben alle Teilnehmer des Symposions – soweit aus ihren Buchbeiträgen ersichtlich – darauf verzichtet, die Ideen und Absichten und das Lebenswerk des Reformers Svarez in Beziehung zur deutschen Gegenwart zu setzen.
     Eine besondere und durchaus erfreuliche Farbe bringt Jörg Wolff mit dem Beitrag »Theodor Fontane und die Zeit des ALR« in den Band. Er vermittelt kenntnisreich die Atmosphäre, in der das Allgemeine Landrecht entstand (der lapidare Zusatz »und seine politische Bedeutung auch wieder verlor« reizt zum Widerspruch, zumindest hätte er der Erläuterung bedurft).
     Originell hat Hans Hattenhauer das Allgemeine Landrecht »im Spiegel von Erwartung, Lob und Kritik« dargestellt. Er zitiert aus den Jahren 1643 bis 1910 insgesamt 23 Persönlichkeiten mit ihren Vorstellungen von einem guten Gesetz und ihren kontroversen Urteilen über das ALR. Unter ihnen sind Montesquieu, Friedrich II., Svarez, Achim von Arnim und Savigny. Ein Hinweis auf die berühmte klassische Forderung an einen Gesetzgeber, der sich auch Svarez verpflichtet fühlte, hätte sich angeboten. Gemeint ist die von Seneca (ep. 94, 38) zitierte Maxime des Posidonius, geboren um 135 v. Chr.: Ein Gesetz soll nämlich kurz sein, damit es von den Unkundigen um so leichter befolgt werden kann (hier in deutscher Übersetzung). Damit allerdings hätte Hattenhauer seiner eigenen und durchaus fragwürdigen These widersprochen, die er vor der Zitatensammlung vertritt, wonach Volkstümlichkeit und Kürze sich nicht miteinander vereinbaren lassen. Svarez war da ganz anderer Ansicht.
     Mit der Person Svarez' (eigentlich hieß er Schwaretz) hatten die Teilnehmer des Symposions erwartungsgemäß ihre Schwierigkeiten: Er »entzieht sich
dem Zugriff der Forschung. Außerordentlich diskret verbirgt er sich hinter seinen Werken«, wie es im Vorwort des Buches heißt. Angesichts von Bescheidenheit und Publikumsscheu des großen Juristen mußten die Beiträge sich auf das Umfeld der preußischen Rechtsreform und die Inkraftsetzung des ALR konzentrieren.
     Eine rechtsvergleichende Behandlung von ALR und Bürgerlichem Gesetzbuch, die eigentlich nahegelegen hätte, haben die Autoren vermieden. Das entspricht einem weitgehend eingehaltenen Konsens unter Politikern und Juristen (eine bemerkenswerte Personalunion in den alten Bundesländern), nicht unnötig darauf hinzuweisen, wie volksfremd, unzulänglich und praxisfeindlich das inzwischen hundertjährige BGB ist, und es ad infinitum einer Reform zu entziehen. Unterblieben ist in sämtlichen Beiträgen auch jeder Hinweis darauf, daß mit dem Zivilgesetzbuch (ZGB) der DDR vom 19. Juni 1975 an die Tradition des ALR angeknüpft wurde. Immerhin haben andere Rechtshistoriker aus den alten Bundesländern sich dazu geäußert: »Im ZGB ist man zurückgekehrt zu einem klaren, schönen und volkstümlichen Stil, den man im deutschen Recht zum letzten Mal in der Zeit der Aufklärung findet, wie im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794. Keine geringe Leistung.« (Uwe Wesel, Schuldrecht, besonderer Teil, in: »Die Zeit«, Hamburg, 11/1991) Und: »In der Kürze und Verständlichkeit erinnert das ZGB an Forderungen der Aufklärung (Voltaire, Friedrich der Große) an ein Gesetzbuch.« (Gerhard Dilcher, Vom Bürgerlichen Gesetzbuch zu den »Rechtszweigen«, in: Rechtserfahrung DDR, Berlin 1997, S. 121)
     Die angedeuteten Einschränkungen und offengebliebenen Wünsche sind keineswegs als Abstriche von der Wertschätzung für diesen Sammelband zu verstehen. Er ist bildungsbeflissenen Juristen und Historikern ebenso wie allen, die sich ein gehobenes Lesevergnügen gönnen möchten, sehr zu empfehlen.

Karl-Heinz Arnold

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© Edition Luisenstadt, 1999
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